FC Voran Ohe – SC Condor Hamburg – 6:1
01.11.2019
Landesliga Hansa
Hans-Heinrich-Hackmack-Stadion
„WOHLFÜHLVEREIN AUF SOLIDEM TRINKERNIVEAU“
REINBEK – Die Szenerie könnte zunächst trister nicht sein. Der erste November-Tag, schon seit den Morgenstunden regnet es in Hamburg und Umgebung Bindfäden. Nebelschwaden hängen an Häuserecken fest und ich wandere durch eine dunkle und etwas spießige Vorort-Siedlung eines Hamburger Vororts. Ohe, ein abgelegener Stadtteil von Reinbek. Der Ground liegt auch noch am Waldrand. Düster. Wenn es etwas früher so stark angefangen hätte zu regnen, das Spiel wäre nicht angepfiffen worden, wie mir eine Schiedsrichter-Beobachterin anvertraut. Doch nun stehe ich hier im Hans-Heinrich-Hackmack-Stadion und alle sind gekommen. Vor mir glänzt ein funkelneuer Ford „Ranger“ im gleißenden Flutlicht. Selbst in diesem Vorort-Vorort verschont die Marketing-Maschine den Fußball nicht. Ein örtlicher Autohändler hat seine Schmuckstücke ins Ohe-Tal gekarrt und versucht unter den vielleicht 100 Zuschauern neue Käuferschichten zu erschließen. Bizarr. Aber auch irgendwie putzig. So hat das in der Bundesliga auch mal angefangen.
Das war’s dann allerdings auch mit den, nun ja, etwas sonderbaren Winkelzügen. Der abgelegene Ort steht ansonsten eindeutig für Landesliga-Fußball von echtem Schrot und Korn. Stammgäste, Fan-Gemeinde, Merchandise, Holzkohle und Bratwurst. Klappt man die erste Seite des Spielprogramms auf, so ist bald ein ausführlicher Bericht vom „Nettelnburger Haxenessen“ zu finden, das offenbar beim Coach der ersten Mannschaft stattgefunden hat und in dem geschildert wird, wann welche Spieler ihren höchsten Pegelstand am Abend erreicht haben. Frei nach Max Merkel, der mal die Alkoholiker im Training gegen die Nicht-Alkoholiker hat antreten lassen – das Resultat ist bekannt -, befinden sich die Reinbeker Kicker trotzdem im Höhenflug. Letztes Jahr lange um den Aufstieg in die Oberliga mitgespielt, dieses Jahr in der Verfolgertruppe dabei. Mit simplen Methoden, aber das ist ja irgendwie das, was dem Fußball abhanden gekommen ist: Einfachheit.
Das Spiel geht mit einem Donnerwetter los: Der FCVO führt nach weniger als fünfzehn Minuten mit drei Toren! Nach einer halben Stunde gar mit 4:0. Und alle Toren fallen in Folge von Ecken durch verschiedene Torschützen. Ohe – übrigens einer von gerade mal zwei Vereinen in Deutschland mit dem Titel „Voran“ – macht Kleinholz aus dem Oberliga-Absteiger, ist in jedem Zweikampf präsenter und weiß wie man die Kugel nach vorne spielt. Auf diesem Niveau habe ich selten so eine Demonstration gesehen. Und Condor ist nun wahrlich kein Fallobst. Dennoch sitzt kurz vor der Halbzeit die immerhin zweite Condor-Chance und der Ball zappelt wenigstens einmal im Netz der Reinbeker.
Ein Ehrentrefffer? Im Nachhinein schon, doch die Ost-Hamburger drängen auf das zweite Tor und es liegt sogar ein wenig Spannung in der diesigen November-Luft. Das Spiel ist allerdings nach einer Roten Karte für den Gast eine Viertelstunde vor Schluss entschieden. Und Ohe enttäuscht auch in der zweiten Halbzeit nicht. Konterchancen werden aufgezogen und mit einem Mann mehr auf dem Feld versüßt man den frierenden Anwesenden durch zwei weitere Tore zum Endstand den Brückentag. Auch mit dem Publikum komme ich ins Gespräch und neben mir steht ein Mann in meinem Alter, der sich als Kaderspieler der Oher entpuppt und von dem sich herausstellt, dass er das Fußballspielen teilweise von und mit den gleichen Trainern und Mitspielern erlernt hat wie ich. Der Gute erzählt mir alles über das spielende Personal der Oher und nebenbei bechert er ein paar „gute Tropfen“ weg.
In die Spitzengruppe der Landesliga hätte ich es als Aktiver wohl nicht geschafft. In Reinbek wäre ich sicher trotzdem willkommen. FC Voran Ohe – ein Wohlfühlverein auf solidem Trinkerniveau, der nicht aufzuhalten sein wird. Fußball ohne Maske. Und trotzdem erfolgreich. Der Ford-Händler ist mit seinem „Ranger“ am Spieltag darauf übrigens wieder verschwunden.





