20.06.2023: Moldawien – Polen – 3:2
„STERNSTUNDEN DES MOLDAWISCHEN FUẞBALLS“
Stadionul Zimbru
EM-Qualifikation
CHIŞINĂU– Das eigentliche Highlight dieser Spielpaarung fand schon vor dem Anpfiff statt: Die Anreise mit dem moldawischen Rumpelzug durch die nächtliche Walachei von Bukarest nach Chișinău. Über 12 Stunden verbrachte man in dem rund 50 Jahre alten Gefährt russischer Baukunst, in dem man gebratene Würstchen auf der Speisekarte findet, wo der halbe Liter „Helles“ weniger als 1€ kostet und auf Kunstlederpritschen genächtigt wird. Wie es der Zufall so wollte, teilte man sich das 4er-Abteil mit drei Jungs aus Sachsen. Die Drei waren zwar keine Groundhopper, wollten aber auch zu dem Spiel.
Nach anderthalbstündigen Grenzkontrollen und wenig Schlaf erreichte man vormittags die moldawische Hauptstadt und wurde sogleich von einer Bande streunender Hunde begrüßt. Abgesehen von ein paar Lumpenhändlern am Bahnhof und den Vierbeinern zuvor, fühlte man sich in der grünen und durchaus aufgeräumten Stadt aber von der ersten Minute an ziemlich wohl.
Im Vorfeld war alles erledigt und durchorganisiert worden, sogar eine Unterkunft gebucht, obwohl die Abreise zurück nach Bukarest mit dem Nachtbus bereits um 1 Uhr, kurz nach dem Abpfiff der Partie, erfolgen sollte. Nur ein Ticket für das Spiel, das fehlte noch. Über den Online-Shop des moldawischen Verbands konnte man sich bequem einen Platz aussuchen, scheiterte aber mit mehreren Kreditkarten jedes Mal bei der Bezahlung. Eine Recherche durch meine Bank ergab, dass der Verband nur moldauische Karten akzeptierte. Der Verband wurde angeschrieben. Ohne Antwort. Die Unterkunft wurde angeschrieben. Ohne Antwort. Fragen in einschlägigen Groundhopping-Gruppen wurden gestellt. Ohne Lösung. Dann war das Spiel ausverkauft. Schöner Mist.
Der einzige direkte Kontakt nach Moldawien – ein schreibfauler Sportjournalist – versprach mir ein Ticket zu besorgen, wollte die Karte aber nur persönlich vor Ort in Chișinău übergeben. Wird schon schief gehen, dachte ich. Während die drei Sachsen auf dem Schwarzmarkt kein Glück hatten, traf ich mich am späten Nachmittag mit meinem „Kontaktmann“ Sergej vor dem Mannschaftshotel der polnischen Auswahl. Wir gingen zusammen was essen, ich überreichte ihm als kleines Dankeschön ein Päckchen Marzipan aus meiner Heimatstadt und bezahlte für seine Dienste freiwillig den doppelten Preis. 5€ statt 2,50€ – endlich hatte ich ein Ticket.
Mit dem ziemlich überfüllten O-Bus ging es dann spätabends zum 21:45-Uhr-Termin für umgerechnet 25ct zum Zimbru-Stadion, in dem nicht nur die Länderspiele sondern auch die Begegnungen vom FC Zimbru Chișinău stattfinden. Das Stadion ist an und für sich nichts Besonderes, viele Moldawien-Reisende werden schon dort gewesen sein, auch Sheriff Tiraspol trägt ja die internationalen Spiele im „Zimbru“ aus. Charme versprüht vor allem der Hochhaus-Komplex hinter der Gegengerade. Die Balkons der Wohnungen fungieren als VIP-Logen der arbeitenden Klasse. Im ausverkauften Stadion hatten die Polen ihr Kontingent abgesetzt, allerdings bestand der Gästeblock vielleicht aus 500 Leuten. Auch bei den polnischen Schlachtenbummlern kommt der Support der Nationalelf nicht an die Vereine heran, obwohl sogar gezündet wurde und lange Zeit eine hohe Mitmachquote bestand.
Ziemlich zügig ging der Weltranglisten-Dreiundzwanzigste durch Arkadiusz Milik in Führung und legte mit einer schönen Einzelleistung von Robert Lewandowski nach. Der Superstar vom FC Barcelona wurde frenetisch von allein Seiten begrüßt, im Laufe der Partie aber ausgebuht und ein bisschen verhöhnt. Das lag vor allem daran, dass der im ersten Abschnitt völlig chancenlosen Heimelf direkt nach der Pause mit einem satten Schuss der Anschlusstreffer gelang. Plötzlich war das Stadion hellwach und die polnische Elf ließ sich verunsichern. Moldawien zog ein Powerplay auf, das man ihnen nicht zugetraut hätte. Immer wieder schallte der „Moldova“-Schlachtruf aus vollen Kehlen durch das pulsierende Stadion. Als der mögliche Ausgleich vom slowakischen Schiedsrichter-Gespann zurückgenommen wurde, hatte man kurz das Gefühl, die moldawische Druckphase findet ihr ungekröntes Ende und Polen schaukelt das Ding nach Hause. Doch die Bemühungen der Gäste zerbrachen regelmäßig an der eindrucksvollen Zweikampfstärke der Hausherren.
Die polnischen Ballverluste wurden auf Heimseite in mitreißende Tempogegenstöße umgewandelt und zwei Mal konnte Weltklasse-Keeper Wojciech Szczęsny noch überwunden werden. Wahnsinn, was der Weltranglisten-Einhunderteinundsiebzigste für eine Show bot! Das Stadion kochte und nicht nur der deutsche Groundhopper war überrascht, auch die Einheimischen konnten nicht fassen welchen Verlauf die zweite Halbzeit genommen hatte! Kein Wunder: Vanuatu, Fidschi oder der Jemen – all diese Nationen stehen in der Weltrangliste vor Moldawien. Und jetzt das!
Der größte Erfolg der Nationalmannschaft in den letzten 10 Jahren war ein Sieg im Jahre 2013 gegen Saudi-Arabien. Andorra, Lettland, Liechtenstein, Aserbaidschan, San Marino und Kirgisien heißen die weiteren Nationen, gegen die in diesem Zeitraum Siege gelangen. Nachvollziehbar, dass die Zeitungen am nächsten Tag den Sieg gegen Polen zum größten Erfolg der moldawischen Verbandsgeschichte kürten. Mit dieser Sternstunde im Gepäck ließ sich auch die zehnstündige Rückfahrt via Nachtbus zurück nach Bukarest ganz gut meistern. (MM)







