12.01.2025 FA Cup Selhurst Park Stadium Zuschauer: 21.104
LONDON – Im Bericht vom Kollegen (fj) konntet ihr über die doch noch geglückte Anreise nach Liverpool lesen. In meinem Fall lief es komplett anders, denn ich hatte leider keinen Flug in Reserve. Stattdessen war eine der wichtigsten Eigenschaften des Hopperlebens gefragt: improvisieren!
Ursprünglich hatte ich für dieses Wochenende geplant, dem eigenen Verein nach Freiburg hinterher zu fahren. Allerdings spukte schon lange vorher die dritte Runde des FA Cup im Kopf herum und mit der Terminierung des Dopplers Liverpool-Leeds plus Crystal Palace am Sonntag fiel die Wahl auf England. Nach der Flugannullierung hieß es allerdings „zurück auf Los“ und noch am Airport wälzte ich Skyscanner und Co. auf der Suche nach Alternativen.
Tatsächlich konnte ich mir relativ schnell einen neuen Plan zusammenschustern. Mit der Bahn ging es am Samstagmorgen von Schwechheim nach Freiburg und erstaunlicherweise lieferte des Hoppers liebstes Sorgenkind pünktlich ab. Karte an der Gästekasse gekauft und rein ins Mooswaldstadion, welches mir sowieso noch fehlte. Am Bierstand traf ich ein paar bekannte Gesichter und erntete verdutzte Blicke: „Du hier? Solltest du nicht in England sein?“ – „Doch, fliege morgen früh noch rüber“ – „Du bist doch verrückt!?“ Den letzten Satz dürfte jeder Groundhopper schon einmal gehört haben.
Zur erneuten Niederlage der KSV spare ich mir einen Kommentar. Nach dem Spiel eierte ich mit dem Deutschlandticket nach Frankfurt und kam gegen Mitternacht an. Dort musste ich die Zeit totzuschlagen, denn zwei Stunden später fuhr der Bus zum berüchtigten Flughafen Frankfurt-Hahn. Immerhin bot die zweistündige Fahrt etwas Gelegenheit zum Schlafen. Vor Ort haute ich mich bis zum Boarding am Morgen nochmal aufs Ohr. Für faire 24 Euro (wohlgemerkt keine 24 Stunden vorher gebucht) hob Ryanair ab und ich kam letztlich etwa drei Stunden vorm Anstoß im Süden Londons an.
Im örtlichen Wetherspoon traf ich mich mit (fj), der die Nacht im Bus von Leeds nach London verbrachte und ebenso Streichhölzer zwischen den Augen gebrauchen konnte. Schnell noch die Kulinarik im Spoon genossen und ab zum Selhurst Park. Im Vorfeld verkaufte Crystal Palace die Pokaltickets sehr günstig und meldete morgens „sold out“. Tatsächlich passierten nur etwa 21.000 Zuschauer die Drehkreuze, davon allerdings fast 5.000 Gäste des Drittligisten aus Stockport. Und die hatten Bock: für britische Verhältnisse war der Support echt OK und auch mit etwas Abwechslung versehen.
Auf der Heimseite kämpften die Holmesdale Fanatics vor Anpfiff mit ihrer Gruppenfahne, die sich immer wieder aus der Befestigung löste. Ein Intro gab es nicht und auch sonst blieb mir der Auftritt nicht groß in Erinnerung, welcher mir im Januar bei Arsenal deutlich besser gefiel.
Sportlich lief zunächst alles nach Plan für die „Eagles“. Bereits nach vier Minuten erzielte Eze das 1:0 und Palace schien Ball und Gegner laufen zu lassen. Allerdings versiebte man im weiteren Spielverlauf mehrere Großchancen und verpasste leichtfertig die Entscheidung. Oliver Glasner wirkte an der Seitenlinie minütlich genervter und musste mit ansehen, wie Olaofe nach einem katastrophalen Fehlpass beinahe den Gästeblock ausrasten ließ. Es blieb aber dabei und die Gastgeber gurkten sich in die vierte Runde.
Nach dem Spiel brachte uns die Tube zuverlässig nach Heathrow. Auch der Rückflug glückte. Unterm Strich zufrieden mit dem Wochenende, aber totmüde fiel ich ins Bett. Hoppen muss eben manchmal wehtun. (hr)
„LANGER HAFER UND KONTROLLIERTE DEFENSIVE – WILLKOMMEN IN DER PREMIER LEAGUE!“
07.03.2020
Premier League
Selhurst Park
Zuschauer: 25.461
LONDON – In Dortmund-Sölde nächtigte ich in einer recht einfachen Unterkunft – in Corona-Zeiten undenkbar: Mit Gemeinschaftsbad. Die Schlafmöglichkeit war nur ein paar Kilometer vom Flughafen entfernt. Vom Bahnhof Holzminden ging es mit einem Shuttle-Bus zum Terminal, obwohl man das Ziel von dort auch bequem nach 20 Minuten Fußmarsch erreicht. Auf dem dortigen P+R-Parkplatz am Bahnhof kann man kostenlos parken – für 48 Stunden. Denn den Holzmindenern sind Flughafen-Parker ein Dorn im Auge. Wochenend-Groundhopper mit dem Ziel England, die die fabelhaften Flugzeiten am Samstag und Sonntag nach und ab London nutzen, sind vom Zorn der Holzmindener somit zum Glück verschont geblieben. Am Dortmunder Airport erwartete mich ein menschenleerer Hangar. „The german angst“, betitelte ich ein Foto, das ich von der verwaisten Sicherheitskontrolle anfertigte und in einschlägige Whats-App-Gruppen tickerte. Selten war Fliegen so angenehm wie an diesem Tag – draußen schien die Sonne, der Zufall hatte mir einen Fensterplatz zugelost. Und in gerade fünf Stunden wartete eine Premier-League-Partie in der Hauptstadt des Fußballs auf mich.
Da der Rückflug am nächsten Tag auch schon wieder in den Morgenstunden erfolgen sollte und der Abflughafen Stansted ja gut und gerne 60km nördlich der Londoner Kernstadt liegt, entschied ich mich für eine Low-Budget-Unterkunft in der Flughafen-Peripherie von Stansted. Mit dem Unterschlupf hatte ich Glück. Ein Typ namens Ahmet hat in der Ortschaft Takeley ein Haus zu Appartement-Wohnungen umgebaut und dabei nette Einheiten geschaffen, die man für unter 40 Euro pro Tag mieten kann. Das Beste aber: Den Ort kann man vom Flughafen zu Fuß erreichen. Eine halbe Stunde spaziert man dafür durch das englische Nirwana. Außerdem befindet sich der einzige Pub in der Ortschaft („The Four Ashes“) direkt gegenüber der Appartement-Anlage. Dort gibt es auch hausgemachte Pizza zum Mitnehmen, was mir im Laufe des Tages noch zu Gute kommen wird.
„WANDSBEKER SCHMUDDEL IN LONDON“
Jetzt aber erstmal ab zum Stadion: Nachdem ich meine Tasche in der Unterkunft deponiere, geht es wieder zurück zum Flughafen und von dort mit dem Airport-Express nach South London. Das dauert rund zwei Stunden, hört sich aber komplizierter an, als es ist. Tatsächlich muss man nur ein Mal umsteigen. Vorbei geht es an den berühmten „Hackney Marshes“ und auch am Olympiastadion, das ja mittlerweile von West Ham genutzt wird. Der Umsteige-Bahnhof „Shoreditch High Street“ wird der zentrale Knotenpunkt in den gerade mal 24 Stunden, die ich in der Stadt verbringe. Bezogen auf meine Heimatgroßstadt Hamburg, kann man die Ecke mit dem Bahnhof „Dammtor“ ganz gut vergleichen. Gepaart mit ein bisschen Wandsbeker „Schmuddel“ und bestückt mit Hipstern im Sternschanzen-Style, herrscht dort rund um die Uhr eine gewissermaßen faszinierende Betriebsamkeit. Hinter dem Bahnhof entdecke ich mehrere Kunstrasen-Käfigplätze, in denen munter vor der Großstadt-Kulisse gekickt wird. Okay, daran merkt man dann doch: Das ist gerade London und nicht Hamburg.
Eine gute halbe Stunde später steige ich an der Overground-Station „Norwood Junction“ aus und nach wenigen Blicken wird klar, dass ich mich dort befinde, was man bei Crystal Palace mit „South London And Proud“ übersetzt. Obwohl noch knapp zwei Stunden bis zum Anpfiff verbleiben, platzen die Pubs in Stadionnähe – in denen gegnerische Fans übrigens nicht erwünscht sind – aus allen Nähten. Portraits von Palace-Spielern – z.B. Max Meyer – hängen an jeder Straßenlaterne, was den Pfad vom Bahnhof Richtung Stadion zum Spalier macht. Etwa zehn Minuten spaziert man durch eine übersichtliche, gutbürgerliche Gegend, irgendwann hört man an den Straßenecken schon die Rufe der Programmheft-Verkäufer – wie auf dem Hamburger Fischmarkt. Und dann steht sie da, unmittelbar vor einer abfallenden Straße: Die überdimensionale Tribüne mit dem gewölbten Dach, die dem Selhurst Park ihren Charakter verleiht. Eine Pikanterie an dem Bau: Bei der eben beschriebenen Tribüne handelt es sich – im Gegensatz zum restlichen Stadion – um einen Neubau aus den 90er-Jahren. Halbrunde Fenster und rote Klinker knüpfen aber nahtlos an den britischen Style an, den man mit der Stadion-Architektur auf der Insel in Verbindung bringt. Der Rest des Selhurst Parks ist eng, flach und alt.
Bis zum Anstoß verbleibt immer noch über eine Stunde. Also sehe ich mich rund um das Stadion etwas um. Mein E-Ticket tausche ich in eine Papier-Variante um. Das kostet natürlich 3 Pfund extra. Willkommen in der Premier League. Vor der Tribüne steht ein Mann mit einem prächtigen Seeadler auf dem Arm für Fotos parat – der Wappenvogel des Vereins. Außerdem gibt es eine „Fan Zone“, dort erhält man nur mit gültigem Ticket für das Spiel Einlass. Auf Leinwänden sieht man vergangene CPFC-Spiele, zur Auswahl stehen außerdem allerlei alkoholische Getränke zu salzigen Preisen (5,50 Pfund für die Flasche Bier). Und es gibt einen Container, in dem Palace-Merch verkauft wird. In den offiziellen Fanshop hatte man mich zuvor nicht reingelassen, weil ich eine Wasserflasche mit mir führte. Freundlich, aber bestimmt: Die Atmosphäre um und im Stadion kommt reglementiert und eher verhalten rüber und nicht ganz so derb, wie man es aus dem Mutterland des Fußballs gewohnt ist. Mit meinem Ticket passiere ich letztlich irgendwann das Drehkreuz und dort wirkt die Szenerie deutlich charmanter: Enge Ein- und Aufgänge, schmaler Vorplatz, krumme Flure, schiefe Toiletten. Auch wenn sich baulich alles in einem guten Zustand befindet – man merkt, ich bin auf der alten Satteldach-Tribüne gelandet.
„FOLKLORE? FEHLANZEIGE“
Die Bestuhlung auf der alten Tribüne ist neu, sehr eng und es gibt kaum freie Plätze. Ansonsten fällt eigentlich nur auf, dass vor der Partie nicht viel „Folklore“ herrscht. Zwar wird irgendeine beliebige Vereinshymne abgespielt, aber die obligatorisch-britische 80er-Jahre-Indie-Mucke und den dazugehörigen Männerchor auf den Rängen, hört man im Selhurst Park nicht. Stattdessen gibt es auf CPFC-Seite organisierten Support, was in England selten bis gar nicht vorkommt. Im Zentrum der eingangs beschriebenen Hintertortribüne zeigt sich ein kleiner Fan-Mob in Casual-Klamotten, mit Fahnen und Schals. Mit der Ultra-Bewegung, wie man sie aus Deutschland kennt, hat der Haufen nichts zu tun. Wenn gleich die Gruppe Ursprung einiger Gesänge ist, die fortan durch das Rund wabern. Stimmungsvollen Eindruck hinterlässt das Stadion nur, wenn das Publikum geschlossen und spielbezogen reagiert und ein paar Chantys durch’s Stadion schmettert.
In England ist das Spiel der Star. Das kann für unvergessliche Momente sorgen. Oder lausige Kicks bleiben durch die Atmosphäre noch gruseliger in der Erinnerung hängen. In meinem Falle ist die Hoffnung groß: Kleines Derby, voller Gästeblock, beide Teams prächtig in Form – Watford jüngst gar verantwortlich für die erste Saison-Niederlage vom FC Liverpool. Und bei Palace träumt man nach zuletzt zwei Siegen leise von Europa. Die Gäste von der Vicarage Road geben zunächst den Ton an. Der Support bleibt blass, doch technisch fein kombiniert man sich durch die Abwehrreihen, ohne dabei wirklich Zählbares zu produzieren. Bei Crystal Palace bin ich erschrocken über den antiquierten Spielstil – die Trainer-Personalie mag diesen Umstand vermeintlich erklären: Mit dem 72-jährigen Roy Hodgson sitzt der mit Abstand älteste Trainer im englischen Profi-Fußball bei den „Eagles“ auf der Bank. Langer Hafer und kontrollierte Defensive – so kann man den Spielaufbau der Hausherren am ehesten beschreiben. Vorne soll ein Dreigestirn aus international bekannten Stürmern das Ding richten. Doch Jordan Ayew, Wilfried Zaha und Christian Benteke glänzen mit Passstafetten in den leeren Raum – es ist ein Grottenkick.
Aber dann – mitten in die Drangphase der immer mutiger aufspielenden Gäste passiert es: Einmal kommt ein langer Palace-Ball beim Adressaten auf dem Flügel an, findet in Jordan Ayew – dem Sohn von Abedi Pelé – im Zentrum einen Abnehmer und als ich noch denke, dass der Ghanaer einen Haken zu viel schlägt, rummst es im Kasten des 37-jährigen Watford-Keepers Ben Foster! Vorweg genommen: Es bleibt der einzige durchdachte Angriffszug von den „Eagles“ in dieser Begegnung. Für das Spielgeschehen ist das Tor eigentlich Gold wert. Doch die „Hornets“ finden darauf hin gar nicht mehr in das Spiel zurück.
„GULASCH-KUCHEN IN DER HALBZEIT“
In der Halbzeit wechsel ich den Platz. Hatte ich zunächst noch ganz oben regulär auf meinem Plastiksitz neben einem schwerbeleibten, aber sehr sympathischen CPFC-Fan in rosa Hemdmode gesessen, schlage ich mich nun in die erste Reihe vor, um etwas mehr britische Atmosphäre aufzusaugen. In der Pause gibt es zudem standesgemäß „Steak Pie“, das ist der berühmte britische Stadion-Snack, der aussieht wie ein kleiner Kuchen oder Muffin, aber in aller Regel mit Fleisch gefüllt ist. In meinem Fall mit einem Inlet, das man am ehesten mit Rindergulasch vergleichen kann. Gulasch-Kuchen, das gibt’s auch nur in England. Aber keine Bange, so ein Steak-Pie-Küchlein ist bisher noch niemandem im Halse stecken geblieben. Alkohol wird bekanntlich nur im Innenraum ausgeschenkt. Internationale Biersorten oder Weißwein – zu Wucherpreisen bekommt man dort alles.
Nach dem Wiederanpfiff gibt Crystal Palace zunächst pro forma den Ton an. Doch Powerplay sieht anders aus. Eine hochkarätige Chance kreiert man nach einer Ecke, aber Zahas anschließender Fallrückzieher verfehlt das Tor nur knapp. Danach überlässt Palace wieder den Gästen aus der Grafschaft Hertfordshire das Kommando. Freilich ohne dass mal wieder irgendwas Zählbares dabei herausspringt. In meinem Gedächtnisprotokoll habe ich nicht eine einzige Chance für die Gäste in der zweiten Halbzeit notiert. Die Partie lebt allenfalls von der Spannung. Im Gegenzug kommt es zu einigen hoffnungsvollen Konter-Situationen für die Heimelf, die sich aus dieser ergebnistaktischen Situation ergeben – doch jeder Ball in die Spitze verläuft im Sande. Das spielerische Niveau auf beiden Seiten – einfach erschreckend. „Weltklassespieler“ Max Meyer schmort 90 Minuten auf der Bank. Mit seinem Spielvermögen könnte der Ex-Schalker tatsächlich für Lichtblicke bei diesem Gebolze sorgen. Letztlich bleibt es beim 1:0, der Trainer hat mit seiner Aufstellung natürlich alles richtig gemacht und morgen interessiert sich keine Sau mehr für das Zustandekommen dieser drei Punkte. Ab nächster Woche interessiert sich die Welt vorrangig für einen Virus und nicht für die Ergebnisse des letzten Spieltags der Premier League, die an diesem Samstag ganz nüchtern lauteten: 2:1, 1:0, 1:0, 0:1, 1:0, 0:0 und 1:1.
Während sich die Fanmassen schnell im Viertel verteilen, streife ich durch die Straßen in South London, trinke im „Cherry Tree Pub“ ein Bier und sitze irgendwann wieder an der Bahnstation „Shoreditch High Street“. Dort warte ich geschlagene 60 Minuten auf meinen Bus Richtung Flughafen. Um mich herum eine feine Pizzeria, Streetfood, feierlich gekleidete Menschen in Partylaune und gegenüber von der Bushaltestelle ein gut besuchtes Tanzlokal. Für all diese Beobachtungen habe ich genug Zeit, denn ich darf den Bus nicht verpassen und bin an die Wartebank gefesselt. In Stansted angekommen – es nützt alles nichts: Der letzte Bus nach Takeley ist schon abgefahren. Also Kapuze auf und raus in die dunkle englische Nacht. Eine Autobahn-Brücke wird überquert und irgendwann stehe ich von Wind und Wetter gezeichnet vor dem „Four-Ashes“. In der Kneipe gastiert eine Poker-Gesellschaft, aber für eine Take-away-Pizza ist es zum Glück noch nicht zu spät. Für 9 Pfund gibt es bis zu fünf Beläge extra auf der runden Köstlichkeit. Also wähle ich fünf Beläge aus und liege wenig später schmatzend mit meiner Pizza auf dem Hotelbett, gucke Fußball im Fernsehen und lasse den Tag Revue passieren. Das Schönste was es auf der Welt gibt. Heute hat nochmal alles geklappt.