FC Slovan Liberec – SK Slavia Prag – 1:3

FC Slovan Liberec – SK Slavia Prag – 1:3

„LAUF UM DIE LAUSITZER NEIßE“

05.07.2020

Fortuna:Liga – Meisterrunde

Stadion u Nisy

Zuschauer: 2488

LIBEREC – Ein paar Meter hinter der Grenze sollte das Quartier für die ersten Tage in der Tschechei aufgeschlagen werden – und dafür gibt es gute Gründe: Je nach Wetterlage kann man den ganzen Tag damit verbringen den Jeschken hochzukraxeln – Hausberg und Wahrzeichen der Stadt Liberec. Oder man bummelt ohne Zeitgefühl durch eine wunderbare Altstadt, die sich ohne große Allüren ihrer Struktur bewahrt hat und sehr authentisch wirkt. Für einen Norddeutschen ist eine Straßenbahn ohnehin schon was Abstraktes. Wenn es auch noch hoch und runter geht und dabei kleine Gassen zwischen den Häusern zum Vorschein kommen, kann man schon fast von etwas Romantik sprechen. Zumal überall in der Stadt bauliche Überbleibsel aus der glanzvollen Habsburger-Zeit aufblitzen. Stellt euch mal vor das „Kaiser-Franz-Joseph-Bad“, macht die Augen zu und überlegt in welchem Jahr wir uns gerade befinden. Sicher nicht im Seuchenjahr 2020.

Bei diesen Argumenten kann man gut auf Fußball verzichten. Also, eigentlich auch wieder nicht. Aber in Corona-Zeiten nervt der Profi-Fußball, der „richtige“ Profi-Fußball. Das wissen wir. Daher war für den Sonntag ein Ausflug ins beschauliche Varnsdorf geplant. Fahrtzeit von Liberec: Keine halbe Stunde. Nun wurde aber der komplette Spieltag in Tschechien kurzfristig neu ausgewürfelt und das Spiel in Varnsdorf auf den sehr hopperfreundlichen Montag verlegt. Was hat man da zu verlieren?

Richtig. Morgens – noch mit Schlaf in den Augen – mal auf die Homepage von Slovan geguckt und siehe da: Restkarten ab 13 Uhr – und zwar nur am Stadion. Glück gehabt. Um 10 vor 1 stehe ich in der Schlange vor der Kasse – pünktlicher waren nur ein gutes Dutzend Einheimische. Wenig später halte ich das begehrte Stück Papier in der Hand. So einfach läuft’s manchmal. Und das, obwohl Slovan vor dem Spiel darauf hinwies, keine Tickets für deutsche Fans zu hinterlegen. Ein Hopperauflauf bleibt mir heute also erspart.

Nach dem erfolgreichen Ticketkauf umrunde ich noch einmal ritualisiert das Stadion. Hinter der Gegentribüne fließt die Lausitzer Neiße entlang. Die Gegentribüne ist in ein Felsmassiv geschlagen, eingerahmt von blauen Flutlichtern und einem schlossähnlichen Gebäude. Vor dem Anpfiff kann ich ungeniert auf den Presseplätzen herumspazieren. Warum fallen mir hundert ungute Gründe ein, dass so etwas in dieser Kombination in Deutschland nicht möglich wäre? Dabei liegt Reichenberg bekanntlich nur einen Steinwurf hinter der Grenze.

Dreieinhalb Stunden später werde ich dann auf dem Stadionvorplatz ausgespuckt, der auf der gegenüberliegenden Seite von der Tribüne liegt, für die ich ein Ticket besitze. Kein Problem, denke ich, vorhin konnte man ja noch an der Lausitzer Neiße entlang der Gegentribüne das Stadion einmal ganz easy umrunden. Nun versperrt ein Eisentor diesen Weg und der Ordner schickt mich mit einer Handvoll halbstarker Tschechen einmal auf die Reise um das Stadion. Wir brauchen fast eine halbe Stunde, ehe wir die Neiße einmal umrunden. Durch meterhohes Gras, über Stock und Stein und diverse tschechische Vorgärten kommt irgendwann eine Brücke zum Vorschein, die uns zum Stadion geleitet.

Die letzten Meter lege ich im Galopp zurück. Und dann: Eine meterlange Schlange. Zum Glück nur die Gästefans. Mein Eingang befindet sich daneben und ist verwaist. Zwei, drei Minuten vor dem Spiel sitze ich auf meinem Plätzchen im Schatten, sogar ein Bier in der Hand, und bin trotzdem schweißgebadet. Fix und fertig. Aber jetzt kommt der Teil zum Zurücklehnen. Slavia füllt den Gästeblock neben mir ziemlich gut aus – sogar ziemlich coronagerecht, wenn man genau hinguckt. Der Mob ist gut gelaunt, denn der Hauptstadtklub steht bereits vor der Partie als Meister fest. Für Slovan geht es hingegen im Fernduell mit der Nachbarstadt Jablonec noch um das Play-off-Ticket um die Europa League. Auch die Gastgeber skandieren auf der gegenüberliegenden Seite ein paar Mal, der Support bleibt aber nicht weiter nennenswert.

Liberec zeigt sich sehr engagiert, aber es fehlt die Durchschlagskraft und irgendwie das Selbstverständnis, diesen Gegner zu dominieren. Slavia spielt den Stiefel ganz locker im Stile einer Spitzenmannschaft runter und irgendwann klingelt es auch im Kasten der Nordböhmen. Erst nach einem Freistoß aus dem Halbfeld, dann mit dem Pausenpfiff wieder per Freistoß. Diesmal direkt verwandelt, durch einen Spieler aus dem Bahrain: Abdulla Yusuf Helal. Unmittelbar nach Wiederanpfiff wird der Sieg durch eine feine Einzelleistung von Peter Musa langsam unverrückbar: Nach einer Kopfballverlängerung chippt der Stürmer den Ball direkt vor meiner Nase mit Effet am Keeper vorbei – 0:3 für die Champions. Es spricht für die Hausherren und den Unterhaltungswert des Spiels, dass Slovan sich nicht aufgibt und kurz vor dem Abpfiff nach einem Kuddelmuddel im Prager Strafraum schließlich der Ehrentreffer gelingt. Erwähnenswert noch: In dem Spiel finden 10 Spielerwechsel statt. Slavia wechselt dabei in der 60. Minute vier Spieler ein und aus. Ob ich so etwas jemals wieder sehen werde?

Zurück geht es nach dem Spielende einfach querfeldein über die Felsmassiv-Tribüne und das Spielfeld wieder auf den Vorplatz. Das dauert nur ein paar Minuten und auf dem Vorplatz kann man sogar noch Pivo und Klobasa abstauben. So einfach läuft’s manchmal.

gvg