Skive IK – HB Köge – 3:2

Skive IK – HB Köge – 3:2

„ZWEI GROSSE BIER UND EINE HANDY-WURST“

19.07.2020

NordicBet Liga – 2. Liga/Dänemark

Hancock Arena

Zuschauer: ca. 350

SKIVE – Die Realität heißt: Dänemark. Noch war es in Norddeutschland verboten in Teamstärke gegen den Ball zu treten. Also wurde erneut nach Dänemark aufgesattelt. Wieder musste mein Dienstwagen mit RZ-Kennzeichen herhalten. Denn während ich als Holsteiner legal nach Corona-Dänemark einreisen darf, heißt es für Hamburger: Wir müssen draußen bleiben. Auch wenn man – wie mein Mitfahrer – in Volksdorf und damit nur ein paar Meter von der schleswig-holsteinischen Grenze entfernt wohnt. Überhaupt wurde diese Regelung sicherlich auch nicht – wie in meinem Falle – für Lauenburger getroffen, sondern eher für Flensburger und Nordfriesen. Aber heuer gilt es wie nie zuvor: Jedes Schlupfloch ausnutzen und trotzdem als Strahlemann dastehen.

An der Grenze: Tristesse. Drei Wochen zuvor bildete sich am ersten Ferientag vor Flensburg noch ein kilometerlanger Stau. Diesmal huschen wir fast so durch. Ich gelte als verkappter White-Van-Man in dem VW-Bus sicherlich nicht als unauffälligste Person an der Grenze. Dass wir beim letzten Mal – als es nach Fünen ging – nicht kontrolliert wurden, wunderte mich schon. Heute haben die Grenzer Zeit, wollen nicht nur unsere Ausweise sehen, sondern auch eine Buchungsbestätigung (Nicht-Schleswig-Holsteiner müssen mindestens 6 Nächte in Dänemark bleiben) und überdies werden wir gefragt, wie unser Ziel lautet (unsere Fake-Buchung sah Aarhus als Domizil vor. Die Buchung wurde nach der Bestätigung natürlich umgehend storniert). Diese Hürden meistern wir mit Bravour. Trotzdem uncool, diese Grenzgängelungen, das hat man in der aktuellen Corona-Fußball-Euphorie etwas verdrängt.

Weiter geht es nach Skive. Die kleine dänische Stadt in Midtjylland war als Ausflugsziel eher eine Notgeburt. In Dänemark rollt der Ball an diesem Wochenende nur noch in der zweiten Liga aufwärts. Und dank der speziellen Zulassungsbedingungen für Zuschauer, die in den meisten Fällen bei einer Kapazität von 500 aufhört, fiel die Wahl fast automatisch auf Skive. Aber man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und mit dem Herrn Beifahrer wollte ich nach fast einem Jahr endlich mal wieder gemeinsam Fußball gucken. Und Dänemark ist sein Spezialgebiet. Das ändert trotzdem nichts daran, dass es ab dem Grenzübertritt anfängt zu regnen – und nicht mehr aufhört. Allen guten Prognosen zum Trotz.

In der 20.000-Einwohner-Stadt parken wir direkt am Stadion und haben noch über eine Stunde Zeit bis zum Anpfiff. Die Innenstadt liegt nur 10 Minuten Fußmarsch entfernt. Immerhin erwischen wir anfangs einen regenfreien Slot. Das Highlight der Stadt sehen wir gleich zu Beginn – die „Zwei Grosse Bier Bar“. Leider geschlossen am Sonntag. Wie so ziemlich alle Geschäfte in Skive. Die Stadt hat nicht viel zu bieten, das Regengrau und die ausgestorbene Fußgängerzone machen es nicht besser. Als wir beim Rathausplatz ankommen, fängt es wieder an zu regnen. Immerhin hat ein „Kvickly“-Einkaufscenter geöffnet. Dort angekommen decken wir uns mit dänischem Bier und der berühmten „Kinderleberwurst“ ein. Zudem finden verschiedene Produkte des Getränkeherstellers „Hancock“ den Weg in unseren Einkaufskorb, denn die hiesige Brauerei bzw. der Getränkehersteller tritt zugleich als Namenspate für das Stadion in Skive auf. Gummi-Pneus werden in Skive also nicht produziert. In diesem Zusammenhang sei die „Sport-Cola“ empfohlen, für die Hancock im Stadion an den Flutlichtmasten auch Werbung macht. Süß & dickflüssig. Sportlich, sportlich.

Nach dem Einkauf geht es schnurstracks zum Spielort. Ein Trampelpfad wird durchschritten, schon stehen wir in der Einlassschlange. Vor uns ein gutes Dutzend Menschen, die sich das Spiel angucken wollen. Es werden keine Tickets vergeben und auch keine Kronen gezückt, sondern bei jedem Gast guckt einer der Rentner-Ordner auf eine Liste. Langsam werden wir unruhig. Als wir an der Reihe sind, fragen wir ganz ungeniert nach Tickets. Die Ordner stutzen, aber verlangen sogleich den Preis von 80 DKK, mit dem Verweis, dass es weder eine Kasse noch Wechselgeld gibt. Offensichtlich beschränkt sich der Andrang bei den Spielen auf Dauerkarten-Inhaber. Wie dem auch sei, wir sind drin.

Als erstes wird eine leckere, aber viel zu krosch gebratene Wurst verzehrt. Komischerweise kann man die per Mobiltelefon bezahlen. Keine Tageskasse, aber Handy-Wurst – willkommen im Jahre 2020. Ein Ordner überwacht den Mindestabstand zwischen den Sitzenden und pfeift uns später auch zurück, als wir das Stadion einmal umrunden. Der Ground hat quasi nur eine Sitzplatztribüne zu bieten, die an ein waschbetongraues Funktionsgebäude rangepappt ist. In der ersten Etage hat man eine VIP-Lounge eingerichtet, in der übrigens auch die „Zwei Grosse Bier Bar“ als Sponsor auftritt. Markant sind allerdings die Gitterrohr-Flutlichter. Alles in allem nicht mal uncharmant. Aber man nimmt, was man kriegen kann. Das Spiel beginnt und Skive startet engagiert. Für beide Teams geht es um nichts mehr. Man nimmt, was man kriegt. Doch Skive, als Aufsteiger, hat eine passable Saison gespielt und scheint willens, sich beim letzten Heimspiel anständig vom Publikum zu verabschieden. Dennoch verliert man nach und nach den Faden und Köge beißt sich in die Partie zurück. Die Gäste spielen sehr diszipliniert und gehen – infolge eines einstudierten Angriffs – nach einem sehenswerten Schuss von der Strafraumgrenze nicht ganz unverdient in Führung.

In der Halbzeit erkunde ich die Tribüne. Denn ich sehe Zuschauer mit Programmheften und da es keine Papier-Tickets gibt, möchte ich eine Stadionzeitung als Mitbringsel einstreichen. Irgendwann stehe ich in der Stadiongastronomie, die auch für Pressekonferenzen genutzt wird, vor einem Stapel Fanschals. Eher beiläufig frage ich den Bierzapfer, was so ein Schal kostet. Diese Frage kann er mir nicht beantworten, aber bald kommt jemand, der mir einen Preis nennen kann. Jaja, so genau will ich das eigentlich gar nicht wissen. Auf dem Tresen liegen Programmhefte. Ich schnapp mir eins und schleich mich raus. Als ich schon die Türschwelle übertreten habe, höre ich aber laute Rufe, die mir gelten. Der Mensch, der die Preise macht, ist da. Ein gut gekleideter Mann um die 50. Dreitagebart, Anzug, weiße Sneaker. Offensichtlich der Mediendirektor oder so. Nach dem Spiel sehe ich, wie er den Spielern Anweisungen gibt, außerdem trägt er eine Autorisierung um den Hals. Der Mann jedenfalls scheint ein echter Rhetorik-Profi zu sein. Denn er verwickelt mich in ein Gespräch und fragt mich natürlich, was ich in Skive zu suchen habe. Dabei stellt er sich so geschickt an, dass ich am Ende nicht den Arsch in der Hose habe, ihm offen und ehrlich ins Gesicht zu sagen, dass ich kein Interesse an einem Fanschal von seinem Verein habe oder dass mir 100 DKK, fast 15 Euro, zu viel für so ein Nonsense-Produkt sind. Nun bin ich Besitzer eines Skive-Schals. Hurra.

Auch die zweite Halbzeit hat überraschende Wendungen parat. Der Gastgeber arbeitet sich in die Partie zurück und erzielt nach großem Aufwand endlich den Ausgleich. Um nur eine Minute später nach einem Abwehrfehler erneut in Rückstand zu geraten. Das Ding ist gelaufen, denken wir. Aber – Pustekuchen im Regen von Skive: Nun dreht der Lokalmatador erst richtig auf. Niemals hätte man an so einen Verlauf nach der Pause gedacht. In der ersten Halbzeit statisch, pomadig, ausrechenbar, zeigt man nun das Gegenteil: Zweikampfstärke, Laufarbeit, Abschlüsse. Alles passt. Vor allem ein wildgewordener Stürmer mit der Rückennummer 92, Sebastian Grönning, dreht auf. Ein Fallrückzieher verfehlt nur knapp das Tor, wenig später ist es dem blonden Stürmer vorbehalten seine Farben erstmals in Führung zu bringen. Skive rettet die drei Punkte über die Zeit und geht am Ende als Fünfter der Tabelle über die Ziellinie. Und wir reiben uns die Augen, wie das alles passieren konnte. Spätestens als wir zwei Stunden später wieder die Grenze passieren – und in Deutschland tatsächlich die Sonne scheint.

gvg