Helsinki IFK – Vaasan PS – 1:5
„MITTSOMMER FÜR ANFÄNGER“
18.06.2022
Veikkausliiga
Zuschauer: 3060
HELSINKI – Um ehrlich zu sein, hatte ich dieses Spiel zunächst gar nicht auf dem Zettel. Aber wie das immer so ist, da triffst du die Top-Hopper vom FC Blau-Weiß Linz in der finnischen Metro, sprichst sie auf den FSV-Zwickau-Aufnäher an, den sie auf ihrem Rucksack herumtragen, und kommst auf diese Weise an so eine Allerweltsinformation. Ich hatte so unglaublich wenig Zeit in den Tagen zuvor, dass ich die Spielpläne für Finnland in den zwei, drei Wochen vor der Abreise nicht mehr wirklich aktualisierte und mir erst am Freitag-Abend für den Folgetag eine nette Kombi raussuchen wollte.
Aber so groß die Freude über ein Erstligaspiel, das um 23 Uhr angepfiffen wird und sich auf zwei Tage aufteilt, so schnell verflog die anfängliche Euphorie. Denn nicht der Spielplan bestimmte den Tagesablauf für mich in Helsinki – sondern mein anderthalbjähriger Sohn, mit dem ich alleine unterwegs war um etwas „Quality Time“ zu verbringen. So sorgte schon eine Flugstornierung von EasyJet dafür, dass wir über Stockholm inklusive flughafennaher Übernachtung nach Finnland fliegen mussten – ziemlich anstrengend mit’m Kind unter’m Arm, dieser unnötige Stop. Am Samstag fiel das erste Spiel sprichwörtlich ins Wasser: Der Reservekick in Espoo auf einer ausbaulosen Kunstrasenwiese im strömenden Regen, das geht halt nicht mit Nachwuchs
Aber gut, hintenraus sollte dieser Sonnabend ja noch einen Knaller parat haben. Nachdem der weitere Tag mit Spielen beim FC Honka und Vantaa JP einen nahezu perfekten Verlauf nahm und auch der Regen nach dem ersten Spiel weiterzog, machte ich mich also die 15 Minuten Fußweg mit einem bettfertigen Kind auf vier Rädern auf zum Erstliga-Ground. Ich war recht optimistisch bei dem Vorhaben, denn ich wusste natürlich, dass der Bub schon in allen Lagen in seinem Wägelchen durchgeschlafen hatte, zB nächtens in Liverpool oder bei der Party von Onkel Frank – und das soll was heißen. Bei HIFK erwartete mich ein großes Stadion mit 10% Auslastung oder so. Also, was sollte da schon schief gehen?
Die erste Überraschung dann gleich vor dem Stadion – überall lange Schlangen vor den Eingängen und das Ticket für 30€, für eine Partie auf Regionalliga-Niveau. Bei der Paarung Letzter gegen Drittletzter hatte ich echt keine großen Hoffnungen. Doch da unterschätzt man den gemeinen Nordeuropäer gewaltig, denn die Skandinavier feiern Mittsommer gebührend ab, auch wenn es noch ein paar Tage hin war, bis der längste Tag des Jahres an die Tür klopfte. Die lange Einlassschlange war zum Glück im Nu gelöst, ein hilfloser Blick, ein Handzeichen am vorderen Teil der Wartenden und eine Gruppe Frauen ließ mich mit dem Wagen passieren. Babybonus. Danke, mein Sohn. Übrigens eine Randnotiz an dieser Stelle: Erschreckend, wie wenig Hilfsbereitschaft die übrige Damenwelt in den vier europäischen Hauptstädten, die wir bei dieser Reise abklapperten, einem alleinreisenden Mann mit Kinderwagen entgegenbrachte. Da wurden die Türen vor der Nase zugeschlagen und in der U-Bahn mal einen Schritt zur Seite zu gehen, scheint auch nicht in jedes Weltbild zu passen.
Im Stadion angekommen, blinzelte der Knabe noch einmal kurz aus seiner Bettstatt, in der er, in die Hoteldecke eingewickelt, wahrscheinlich auch am Nordpol durchgepennt hätte, so dass es sogar noch für ein Erinnerungsfoto reichte. Ich verkroch mich in die letzte Ecke der Arena, neben einem Rolli-Fahrer in den barrierefreien Bereich, und genoss mein 6-€-Bier. Erstmal durchatmen. Aber zu früh gepustet. Mit dem Anpfiff legte der HIFK-Mob los – und die Jungs und Mädels waren verdammt gut aufgelegt. Ein Mittsommerspiel, wie geil. Klar, das denkt sich die Fanszene wohl auch. Eine Viertelstunde wurde gewedelt, gezündelt, gesungen und als ein Kanonenschlag im Stadion explodierte, sah ich meine Felle davonschwimmen. Ich wollte mir doch nur ein tristes Fußballspiel in Finnland anschauen. Ohne großes Gedöns. Das Beste für uns alle.
Es sollte bei diesen „Special Effects“ bleiben. Der Mob sang durch, abgesehen von ein paar Fackeln und Blinkern, verzichtete man in der Folge jedoch auf weitere Knallbonbons. Als hätten die HIFK-Fans ein „Freiwillig 30 – der Kinder wegen“-Schild bei uns in der Kurve entdeckt. Vielleicht trug auch der Spielverlauf zu dem Verhalten bei – denn zu feiern hatte die Heimelf wenig. Spöttisch könnte man meinen: Helsinki war auf dem Rasen auch maximal mit Tempo 30 unterwegs. Schnell lag man mit zwei Toren zurück und die Bemühungen vor dem gegnerischen Tor Erfolge zu verbuchen, lösten beim neutralen Zuschauer eher Fremdscham aus. Irgendwie rutschte nach einer Stunde Spielzeit dann doch mal ein Ball im Strafraum durch die Abwehrreihe und aus heiterem Himmel hatten wir ein spannendes Spiel. Jetzt war auch die Hintertorseite wieder voll in der Partie. Bis der Gegner einen Gang höher schaltete und mit drei wunderschönen Toren jegliche Spannung aus diesem Duell entweichen ließ. Die 30 oder 40 Auswärtsfans übten sich in Ekstase, hatten sonst aber nichts im Repertoire, sei noch kurz erwähnt.
Kurz vor Schluss segelte das mögliche 6:1 knapp am Tor vorbei und demolierte die Anzeigetafel. Das war der ultimative Deckel auf dieser Partie. Zum Glück traf der Schuss nicht den Kinderwagen, denn das wäre wohl die einzige Möglichkeit gewesen, den kleinen Jungen aufzuwecken. Selbst in der Straßenbahn, die voll war mit Mittsommerfeiernden und HIFK-Fans, ließ sich der Nachwuchs nicht um seinen wohlverdienten Schlaf bringen. Am nächsten Tag wurde dann auch noch – gut ausgeschlafen – der Länderpunkt Estland in die Junior-Tüte gepackt. (mm)









