SSV 80 Gardelegen – 1. FC Lok Stendal – 0:1

SSV 80 Gardelegen – 1. FC Lok Stendal – 0:1

„JUST LIKE HEAVEN“

14.06.2025
Verbandsliga Sachsen-Anhalt
Stadion Rieselwiese
Zuschauer: 512

GARDELEGEN – Ob man die Hansestadt Gardelegen auf einer Deutschland-Karte ohne Anhaltspunkte auf Anhieb gefunden hätte, sei mal dahingestellt. Die Altmark in Sachsen-Anhalt ist eine Region, die unter dem Radar läuft. Das wird diesem Teil von Deutschland aber nicht so ganz gerecht. Vielleicht zwei Autostunden von Schwechheim entfernt, zeichnen traditionelle Hansestädte diesen unterschätzten Landstrich aus. Und noch was: Der Schwechheimer Landbote hat seinen Ursprung beim heutigen Gegner: Lok Stendal. 2018 stand man dort im DFB-Pokal gegen Bielefeld – trotz telefonischer Reservierung – mit leeren Händen vor dem Ticketschalter. Die Situation damals konnte gelöst werden und war die Geburtsstunde dieses Mediums.

Diesmal ging die Reise ins Herz der Altmark – nach Gardelegen. Die Konstellation konnte nicht besser sein. Für die Heimelf ging es um den Klassenverbleib in der Verbandsliga. Gardelegen benötigte einen einzigen Zähler um auf die Ergebnisse der Mit-Konkurrenten nicht mehr angewiesen zu sein. Die Gäste spielten noch um den Aufstieg in die Oberliga NOFV mit. Grundvoraussetzung dafür ein Sieg und Schützenhilfe vom BSV Halle-Ammendorf, die dem bisherigen Spitzenreiter SSC Weißenfels mindestens einen Punkt abknüpfen mussten.

Bei allerbestem Wetter ging es mit dem Auto nach Schwerin-Süd und von dort per Bahn über Wittenberge in die Altmark. Das frühe Aufstehen lohnte sich, denn man hatte die Wahl eine halbe Stunde vor dem Anpfiff aufzuschlagen oder schon zweieinhalb Stunden zuvor die Stadt zu erkunden. Die Bahn fährt nur alle zwei Stunden in diesen Landstrich und deren Zuverlässigkeit ist bekannt. Auf dem Hinweg klappte aber alles bestens und frühzeitig stieg man aus dem Zug aus. Vor Ort wurde dann die nette Altstadt abgeklappert, ein ost-typisches Softeis genossen und in den historischen Wallanlagen der Stadt auf einem Flohmarkt gestöbert.

Mit genug Zeit ging es schließlich wieder zurück Richtung Bahnhof, den man jedoch links liegen ließ, denn dahinter liegt die Sportanlage „Rieselwiese“. Gemächliches Treiben eine halbe Stunde vor dem Anpfiff. Als man neben dem relativ niedrigen Zaun Richtung Eingang schlurfte, ließ man sich dazu hinreißen den Rucksack über selbigen zu werfen, weil man sich schon dachte, dass in der Verbandsliga bei so einem Spiel Taschenkontrollen stattfinden. Allerdings ging es nur um je eine Plastikflasche Mineralwasser und Apfelschorle, die bei über 30 Grad an diesem Tag und in Begleitung eines Kindes von Vorteil gewesen wäre. Nur ein paar Sekunden nach dem Wurf sprintete schon ein Ordner los und schnappte sich die Beute. Unglaublich, auf dem Wall hinter dem Tor hatte sich ein Späher postiert. Das Spiel fing ja schon gut an. Die Tasche bekam man postwendend wieder in die Hand gedrückt. Die Flaschen natürlich nicht. Irgendwie okay, irgendwie aber auch nicht. Übertreibt mal eure Rolle nicht, der Junge braucht den Apfelsaft!

Aber es sollte der einzige Zwischenfall auf der Rieselwiese bleiben. Wenn die Ordner gewusst hätten, wie viele Euros man für Groß und Klein an den Verpflegungsständen gelassen hätte, vermutlich hätten die Jungs doch ein Auge zugedrückt. Bratwurst, Nudeltopf, Gummibärchenkuchen, Muffin, Bier und Zitronenlimonade wurden käuflich erworben und sorgten in Begleitung der sportlichen Situation für einen würdigen Rahmen. Denn die Verpflegung blieb lange Zeit einziges Highlight in diesem Endspiel. Gardelegen war auf eine Punkteteilung aus und bei Stendal klappte ab dem Strafraum gar nichts mehr.

Der Stadion-DJ berieselte den Sportplatz in der Halbzeit mit allerlei britischen New-Wave-Klassikern, so ein stilsicheres Händchen hätte man einem Stadionsprecher in der Verbandsliga Sachsen-Anhalt vorab gar nicht zugetraut. Als er in der Pause „Just Like Heaven“ von „The Cure“ auflegte, war das Motto für diesen Tag auserkoren. Schnell wurde aber auch klar, dass nach diesem Spiel wohl nur eine Mannschaft im siebten Himmel ankommen würde. Weißenfels führte relativ früh gegen die Eisenbahner aus Halle. Die Konkurrenz um den Abstieg erledigte ihre Hausaufgaben, doch Gardelegen hielt ohne große Zwischenfälle den einen Punkt für den Klassenerhalt, war teilweise sogar näher an der Führung als Stendal. Die Gäste wollten zunehmend mit dem Kopf durch die Wand, richtig dicke Chancen blieben Mangelware. Die Gastgeber nutzten jede Unterbrechung für eine Behandlungspause. Die Stimmung: Angespannt.

Als die 6 Minuten Nachspielzeit verkündet wurden, hatte man für die Gäste eigentlich schon jede Hoffnung aufgegeben. Wie wahrscheinlich ist bitte der nötige Auswärtssieg und das Tor in Weißenfels in der letzten Minute noch? Okay, die Szenerie spielte sich immer mehr im Strafraum von Gardelegen ab und mit jeder Minute wurde es hektischer. Tatsächlich knallte der 10er von Lok, Niklas Buschke, in letzter Sekunde einen Abpraller in die Maschen und erzielte das dringend benötigte Tor für Stendal. Aber das war ja noch nicht genug. In den ekstatischen Jubellauf platzte die Meldung vom Ausgleich in Weißenfels hinein. Unfassbar! So eine Wendung in einem bis dahin so überschaubaren Spiel hat man wirklich selten gesehen. Die Sekunden bis zum Abpfiff wurden tapfer überstanden und dann gab es kein Halten mehr! Stendal kürt sich im letzten Augenblick der Saison zum Verbandsmeister und Aufsteiger in die Oberliga. Weißenfels landet zum dritten Mal in Folge auf Rang 2. Der versprenkelte Lok-Mob von etwa 200 Personen enterte den Rasen. Das war der Siegerfokus. Als man dann allerdings nach ein paar Minuten mal auf die andere Seite des Rasens wechselte, sah man weinende Männer, die sich aufgelöst in den Armen lagen. So sah die Schattenseite aus, die dieses Tor ausgelöst hatte.

Das Motto des Tages galt nach den 90 Minuten also nur noch für die Gäste. Wie vor 7 Jahren beim DFB-Pokal an der Kasse vorm „Hölzchen“ hieß es am Ende: Es wird alles gut. Während Gardelegen aus allen Wolken gefallen war. Auf dem Rückweg gab es dann die Zugverspätung und einen zweistündigen Aufenthalt – ausgerechnet in Stendal. Zähe Geschichte, mit einem Vierjährigen im Schlepptau. Doch an diesem Samstag sollte einfach alles für Stendal sprechen: Auf dem Marktplatz stieg das „Rolandfest“ und die zwei Stunden Wartezeit vergingen wie im Fluge. Die Karussells ließen nicht nur Kinderherzen höher schlagen, der tschechische Klobása-Stand vor der Rolandsfigur wirkte wie ein Wink des Schicksals und war der letzte Gruß aus Stendal an diesem Wochenende. Just like heaven. (mm)