F.C. Hansa Rostock – Hallescher FC – 1:0
„NEBELSUPPE MIT FLEISCHEINLAGE“
24.01.2020
Ostseestadion
Zuschauer: 16.744
ROSTOCK – Das Eröffnungsspiel der Drittliga-Rückrunde unter Flutlicht schien mir sehr geeignet für das erste Fußballspiel des neuen Jahres. Und der erste Eindruck bestätigt meine Ahnung: Gewusel, Aufregung. Menschenmassen, überall.
Und Schlange-Stehen. Hunderte Leute an den Kassenhäuschen. Komischerweise aber nur an der Abholkasse. Blöd gelaufen für die Generation Frühbucher. Beim freien Ticket-Verkauf sieht man höchstens ein Dutzend Wartende am Ticketfenster und zum Glück halte ich nach fünf Minuten eine 25-Euro-Karte für die Osttribüne in der Hand. Denn das gleiche Spiel setzt sich an den Stadiontoren fort: „Schlangestehen verrät nicht Mängel, sondern Sehnsucht nach Qualität“. So oder so ähnlich lautete mal die Schlagzeile eines SED-protegierten ZEIT-Artikels über die Zustände der ehemaligen DDR. Ich lass das mal so stehen.
Denn Qualität wurde von dem Aufeinandertreffen zweier ehemaliger DDR-Oberliga-Rivalen natürlich erwartet. Auf dem Rasen – und auf den Tribünen. Auch wenn es bereits vor Spielbeginn auf dem Treppenaufgängen zum Stadion rassige Schmähgesänge gegen „Chemie Halle“ hagelt – mit dem Anpfiff bleibt es zunächst recht ruhig. Nur der kleine Haufen Gästefans – vielleicht 300 bis 400 Hallenser – ehrt einem verstorbenen Fan. Dazu eine rote Bengalfackel. Die Hansa-Crowd auf der Südtribüne kontert dieses Intro lediglich mit zwei Böllern, die in die Pufferzone geworfen werden.
Akzente werden in den ersten 45 Minuten eher auf dem Rasen gesetzt, wo Rostock jeden Zweikampf annimmt, herausgespielte Chancen aber leichtfertig vergibt. Halle kommt zurück ins Spiel und während der erste Abschnitt ausklingt, ist die Führung für die physisch starken Gäste eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Doch es geht torlos in die Kabine. In der Halbzeit wieder Altbekanntes: Schlange-Stehen. Für die Bratwurst. Nach mindestens 16 Minuten habe ich ein gut gewürztes, aber lasch gebratenes Fleischerzeugnis in der Hand und flugs geht es zurück auf die Tribüne. Gerade noch rechtzeitig, denn die Hanseaten haben ihre Silvester-Restposten mit ins Stadion geschmuggelt. Auf der Südtribüne gibt es eine Wunderkerzen-Choreo, kurze Zeit später sorgt eine Raketen-Gala hinter dem Stadion für eine verwunschene Atmosphäre und hellt den trüben Rostocker Nachthimmel auf. Na siehste, geht doch!
Nach dem Spektakel auf den Rängen, ziehen auch die Profis auf dem Rasen nach. Hansa lässt einfach nicht locker und ein sehr wendiger Spieler mit dem Namen Aaron Opoku holt sich die Kugel im Nachsetzen an der Mittellinie. Dann geht es schnell und diesmal ist es kein Haken zu viel: Korbinian Vollmann trifft satt in die Maschen, nachdem er sich hakenschlagend im Strafraum durchgetrickst hat. Ausgerechnet Vollmann, der zuvor viele falsche Entscheidungen traf und direkt nach dem Tor ausgewechselt wird.
Das Stadion explodiert! Ja, ja, und nochmal ja: Fußball braucht Tore! Ohne Treffer hätte das hier heute wie ein Eintopf ohne Fleischeinlage geschmeckt. Herzerwärmend, aber auch schnell verdaut Halle – nah dran an den Aufstiegsplätzen – startet zunächst wütende Gegenangriffe, doch nach fünf Minuten ist die Luft raus. Das Spiel hat seinen Höhepunkt überschritten und Rostock fährt einen verdienten, wenn auch knappen Sieg ein.
Die Mischung aus Leidenschaft und schroffem Auftreten birgt Begeisterungspotential. Nicht ganz 17.000 Zuschauer tragen ihre Elf an diesem diesigen Freitag-Abend in der Rostocker Nebelsuppe zum Sieg, aber unter dem Blechdach entfalten sie die Kraft von 70.000 Zuschauern. Und zumindest heute war auch ich einer von ihnen.




