KFC Uerdingen 05 – VfB Lübeck – 1:1
„DAS ENDE EINES LOTTERLEBENS?“
12.03.2021
Stadion am Lotter Kreuz
Zuschauer: 0 (offiziell)
LOTTE – Nun ist es also so weit, seit ziemlich genau einem Jahr bestimmt die Politik das öffentliche Leben und begründet diese Schritte mit einem neuartigen Virus, das unser Leben gefährdet oder gefährden soll. Am 12. März 2020 fing für mich dieser „Pandemie“ genannte Zustand an. Am Vortag konnte noch ganz unbeschwert ein A-Jugend-Spiel verfolgt werden, einen Tag später – einem Donnerstag – wurden sämtliche Fußballspiele in der Bundesrepublik abgesagt. Grund genug einen damals anstehenden Wochenend-Trip nach Flensburg sofort zu stornieren, denn nicht nur das angepeilte Regionalliga-Spitzenspiel vom SC Weiche 08 gegen den einstmaligen Tabellenführer aus Lübeck fiel den Maßnahmen zum Opfer – das ausgeheckte Ersatzprogramm ganz ohne Fußball konnte nicht überzeugen und schließlich wollten wir alle, naja, Menschenleben retten. Wer will in Flensburg schon tot über’n Zaun hängen?
365 Tage später: Das Ende eines Lotterlebens? Mitnichten, aber wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ein Auswärtsspiel vom Tabellenletzten der 3. Liga ohne Zuschauer in Lotte gegen den KFC Uerdingen Erwachsenen-Augen zum Leuchten bringt? Doch wenn wir mal ehrlich sind: Das passt zu diesem traurigen Jubiläum – bei absolutem Scheißwetter, Orkanböen und strömendem Regen. Schon verrückt, manchmal wird einem Wasser als Wein verkauft. Aber letztlich auch egal, wenn das Zeug wirkt. Vom DFB ist das natürlich gewollt – dort sitzt man zufrieden in der Verbandszentrale, wenn Uerdingen Lübeck in Lotte empfängt, einem Ort, der so klein und unbedeutend ist, dass man dort noch nicht mal einen Regenschirm kaufen kann, wenn es wie aus Eimern schüttet. So deute ich zumindest die völlig überzogenen Auflagen für die 3. Liga und werde nicht müde, diesen Umstand bei jeder Gelegenheit zu betonen. Das „Frimo“-Stadion jedenfalls wurde vom Verband drittligaklassifiziert und es mag UEFA-Mitgliedsländer geben, die an so einem Veranstaltungsort ohne weiteres ihre Länderspiele austragen wollen würden, während sie sich in Lotte auch schon vor Corona mit vermeintlichen Geisterspiel-Kulissen ausgekannt haben…
Es dauert nicht mal zwei Minuten, da bin ich im Stadion. So eine Pandemie hat auch was Gutes: Parken im Schatten der Tribüne, ein paar Unterschriften und Absichtserklärungen vorzeigen und schon ist man drin. Nicht viel los in Lotte und das gilt wohl auch zu Geisterspiel-Zeiten: Eine Handvoll Journalisten, unabkömmliche Mitarbeiter beider Vereine, der Stadionsprecher, Ersatzspieler und Kaderleichen. Und ich – der Mann, ohne den eine Paarung Uerdingen gegen Lübeck in Lotte vor leeren Rängen definitiv keinen Sinn ergeben würde. Ich könnte jetzt pathetisch werden, wie ergreifend es ist, nach so langer Zeit mal wieder ein Spiel seiner Lieblingsmannschaft zu sehen und so weiter und so fort. Aber in erster Linie ist es eine gute Stunde vor dem Anpfiff erstmal nur kalt & langweilig.
Grausam und schrecklich wären zwei weitere Eigenschaften, die auf dem Tisch liegen, wenn die Mannschaft mit den wenigsten geschossenen Toren der laufenden Saison auf die Elf mit der geringsten Punktausbeute trifft. Aber es kommt natürlich anders, sonst würde man halt auch nicht jedes Wochenende bei Wind und Wetter irgendwelche Autobahnen hoch- und runterbrettern. Zumindest zu normalen Zeiten. Schon nach sieben Minuten geht Uerdingen durch einen Kopfball von Adriano Grimaldi in Führung. Mit der ersten Chance. Es folgt beherzter Fußball von den Gästen und es mehren sich die Gelegenheiten zum Ausgleich, der einfach nicht fallen mag. Uerdingen spielt sich im ersten Abschnitt keine einzige Chance vor dem gegnerischen Tor mehr heraus und muss trotzdem nach der Pause sofort das 2:0 nachlegen, denn eine Hereingabe von Mike Feigenspan landet nur auf dem Querbalken und bei einem elfmeterreifen Foul vertritt Spielleiter Patrick Glasner eine Meinung, die den Forderungen des KFC-Staffs konträr gegenüber steht, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Krefeld drückt auf das 2:0 – und wieder kommt es anders. Kein Wunder, ich bin ja auch dabei. Und meine letzte VfB-Niederlage als Augenzeuge datiert aus dem Jahre 2017. Vier Jahre keine Pleite live vor Ort miterlebt, Bayern-Fans lieben diesen Trick. In diesem Falle kommt man aber nicht daran vorbei festzustellen: Corona ist mein Glück. Dennoch agiert der VfB in der zweiten Halbzeit nicht wie ein Schlusslicht und nach einer Triple-Chance in Folge einer Ecke ist es schließlich Ryan Malone, der das Kunstleder aus rund 20 Metern in die Maschen drischt und mich als Glücksbringer bestätigt. Ausgerechnet Malone, der hünenhafte US-Amerikaner, den man wahrscheinlich auch für einen Footballer halten könnte, jubelt ikonenhaft im Dauerregen irgendwo im Nirgendwo im Tecklenburger Land und lässt alle Beteiligten Corona und die Geisterspiel-Kulisse für einen Moment vergessen. Tatsächlich leisten die Spieler auf dem zerfurchten Rasen ganze Arbeit und füllen einen Großteil der Spielzeit das Vakuum, das das Zuschauerverbot hinterlassen hat.
In der allerletzten Minute des Spiels zieht ein KFC-Akteur von der Strafraumgrenze ab und der Ball streicht nur Zentimeter über das VfB-Gehäuse. Schließlich ist es vorbei mit dieser Veranstaltung. Der Schiedsrichter pfeift das Duell ab – und dann: Stille. Ich applaudiere den Protagonisten des Abends für ihre Darbietungen und mein leicht euphorisiertes Geklatsche gilt allen Beteiligten, egal welcher Farbe. Denn so ein Leistungsnachweis bei diesem Sauwetter, da kann man ruhig mal Beifall spenden. Allerdings höre ich ziemlich abrupt auf zu klatschen, denn ich bin der einzige Zuschauer, der den Akteuren auf diese Weise Respekt zollt. Um mich herum packen die wenigen Beobachter dieser Partie zügig ihre sieben Sachen ein und verschwinden. Wieder mal ist bloß ein Geisterspiel zu Ende gegangen.
mm







