Italien – Albanien – 2:1
„HEIM-EM FÜR ALLE!“
14.06.2024
Westfalenstadion
Europameisterschaft
Zuschauer: 62.000
Volume 1
DORTMUND – Die Europameisterschaft im eigenen Land ist für mich bisher keine Heim-EM. Noch nie bin ich bei solchen Turnieren in der Ticket-Lotterie leer ausgegangen. Bei der EM 2024 schon. Auch der Spielplan meinte es nicht sehr gut mit mir. Kaum Termine in der Vorrunde, die man ohne großes Freischaufeln wahrnehmen könnte. Und wenn ich mal in der Woche Zeit hab, wird in Stuttgart oder München gespielt. Viele Grüße aus dem Hansetal! Am Samstag hatte ich Zeit und angesichts der Tatsache, dass Norddeutschland nur mit Hamburg als Spielort bedacht wurde, lag Dortmund quasi um die Ecke.
Doch die Pechsträhne ging weiter. Vorab ließ ich mich ausnahmsweise mal auf einen Tickethändler aus dem Internet ein. Die Anzahlung von 50€ für das Spiel war es mir wert, am Samstag vor dem Spiel möglicherweise eine „ruhige Kugel“ schieben zu können. Aber die Anti-Stress-Investition war nicht erfolgreich und ich saß einem niederländischen Betrüger auf. Naja. Die Zugfahrt mit dem Deutschland-Ticket war umsonst, für die Hotelnacht in einer der feinsten Absteigen der Eisenbahnerstadt Hamm mussten 25€ berappt werden. Doch als ich den Dortmunder Bahnhof betrat, wusste ich: Jetzt ist es vorbei mit der Sparsamkeit. Vier Stunden vor dem Anpfiff wuseln auf dem Vorplatz mehr Ticketsuchende als Italien-Fans herum. Ansonsten haben die Albaner die Kontrolle in der Stadt übernommen. Heim-EM für alle! Überall viel Bling-Bling und fette Autos. Die Albaner muss man einfach liebhaben. Doch die Leidenschaft in den Augen der Skipetaren ist keine Show. Leider suchen auch die meisten Albaner vor Ort noch Tickets.
Vor dem Stadion werde ich dann mit meinem Schildchen recht oft angesprochen und die wenigen Fans, die Tickets übrig haben, bieten Karten zum Nennwert an. Leider liegt der Nennwert bei dieser Heim-EM meistens zwischen 300 und 400€. Das ist natürlich keine Option. Zumal ich mich dieses Jahr schon ein paar Mal ins Stadion geschmuggelt habe und der Kollege H. ein Ticket hat, das ich für die Kontrolle zumindest abfotografieren kann. Der Plan sieht auch vor, dass ich hinter meinem Redaktionskollegen durch das Drehkreuz husche. Nur, ich war ewig nicht mehr in Dortmund und da alles großzügig abgesperrt ist, kann ich mir vorab kein Bild von den Drehkreuzen machen.
Der Kollege H. trudelt erst etwa eine Stunde vor dem Anpfiff ein. Da sind die meisten Ticketinhaber schon drin. Und direkt nach der ersten laschen Durchsuchungskontrolle werden wir von der dahinter platzierten manuellen QR-Aktivierung durch die nächste Ordner-Riege überrascht. Unter einem Vorwand muss ich wieder raus und die Redakteure trennen sich schon vor den Drehkreuzen. Nach 5 Minuten stelle ich mich dann bei einem anderen Eingang an und eine Trantüte von Ordner bemerkt nicht, dass ich mich an eine Gruppe hefte, mit der ich durchflutsche. Danach kommen die Drehkreuze auf dem Stadionvorplatz. Doch die sind in Dortmund nur halbhoch. Hinter jedem steht ein Ordner, mit dem man Sichtkontakt hat. Und das größte Manko: Es sind keine Fans mehr da. Alle sind drin, 45 Minuten vor dem Anpfiff. Ich stehe vor den Ordnern wie auf dem Silbertablett, kann mich nicht verstecken, keine Hektik ausnutzen und nicht untertauchen. Ein Himmelfahrtskommando.
Zweimal versuche ich trotzdem über oder unter dem Drehkreuz durchzuhoppsen und fliege natürlich auf. Ich beklage selbstmitleidig, dass mein QR-Code nicht funktioniert oder das Internet zusammengebrochen ist und werde treudoof zum „Clearing Point“ geschickt. Einem jungen Ordner jammer ich die Ohren voll. Er hätte mich fast durchgelassen. Es müssen andere Lösungen her. Also schau ich mal ins „Strobels“ rein. Das ist eine Gastwirtschaft genau zwischen dem Westfalenstadion und der „Roten Erde“. Unter dem Vorwand auf’s Klo gehen zu wollen öffne ich einfach mal zwei Nebentüren und stehe plötzlich unter der Haupttribüne. Mit dem Kniff umgeht man die QR-Kontrolle. Doch leider kommt man durch die letzte Tür zum Stadion nur mit Arbeitskarte. Die Dame ist entsetzt, wie ich es hier hingeschafft habe. Ich spiele wieder den Dummen. Trotzdem: Die Reise ist an der Stelle zu Ende, an der einst auch Sebastian Pufpaff von „TV Total“ bei seinem Schummelversuch umkehren musste.
Nicht so schlimm. Ich bin mit meinem Latein noch nicht am Ende. Denn wenig später kommt eine Rotte Ordner vorbeigetrabt, für die ein Tor geöffnet wird und so komme ich unbemerkt von dieser Ordnergruppe ins Innere. Ich habe die Treppe zum Block schon im Blick, da spüre ich eine Hand auf der Schulter. Tja, einer der Drehkreuz-Kontrolleure hatte mich im Visier, da ich vor seinem Einlass auf- und abtigerte. Warum sollte man das auch machen, wenn man ein gültiges Ticket hat? Das wichtigste Element für einen ticketlosen Einlass fehlt: Der Andrang. Und der wurde ein paar Minuten vor dem Anpfiff dann auch nicht besser. Also lieber weg, bevor da noch weitere Freunde und Helfer mit ins Spiel kommen.
Der Plan das Spiel im Strobels auf Leinwand zu verfolgen endet dann allerdings mit einem stilechten Rausschmiss. Das Tor der Albaner kann ich noch akustisch und visuell mitnehmen. Völlig irre: Die Bildschirm-Übertragung direkt neben der Albaner-Kurve hängt etwa 10 Sekunden nach und ich kann mir überhaupt keinen Reim machen, warum wenige Sekunden nach dem Anpfiff schon so krass im Stadion gejubelt wird. Auf dem Fernsehbild seh ich ja erst den Anpfiff und irgendwie bin ich ja doch mittendrin. Anschließend kommen irgendwelche Security-Babos und verlangen nach meinem Ticket, das ich nicht vorzeigen kann. Ich bin der einzige Gast in dem Laden, abgesehen vom Staff, das kommt den Jungs spanisch vor. Die nächste Stunde verbringe ich trotzdem hinter der Absperrung direkt am Stadion. Dort ist man nicht der einzige Neugierige. Ein paar Dutzend Leute schauen das Spiel auf dem Handy mit der Original-Atmosphäre im Hintergrund. Etwa eine Viertelstunde vor Schluss wird aber auch diese Atmosphäre jäh beendet. Denn in Vorbereitung auf den Abpfiff drehen die Ballerbuden ihre Ballermannmusik auf und vorbei ist es mit dem authentischen Geräuschpegel aus dem Stadion. Aber ist ja am Ende nichts passiert… (sl)
Volume 2
DORTMUND – Ähnlich wie Kollege M. hatte auch ich kein Glück bei den Ticket-Verlosungen der UEFA und stellte mich innerlich auf eine EM vor dem Fernseher ein. Ohnehin war bereits für Ende Juni ein dreiwöchiger Trip Richtung Asien gebucht, sodass sich die Enttäuschung in Grenzen hielt. Bis plötzlich Anfang des Monats noch ein bunter Strauß an Karten online ging. Eher zufällig sah ich die E-Mail auf meinem Handy und deckte mich kurzerhand für drei Spiele ein, davon zweimal Albanien in Dortmund respektive Hamburg.
Italien-Albanien war definitiv mein Zielspiel, denn ich spekulierte auf einen Doppler in Verbindung mit den Playoff-Spielen unserer Nachbarn in den Niederlanden. Wie erhofft setzte der KNVB die Relegation um die Tweede Divisie zwischen Genemuiden und Maasluis für 14.30 Uhr an. Grüner Rauch übers ganze Feld, zwei Batterien abgefeuert, 0:3 nach 90 Minuten, Maasluis hält die Klasse, Abfahrt. So weit, so gut. Nach dem Check-In bei unserer charmanten Unterkunft in Hamm traf ich aber dann doch erst gegen 20.00 Uhr in Dortmund ein. Letztendlich dürfte das die fehlende Zeit gewesen sein, denn da waren die meisten Fans bereits im Stadion und wie beschrieben herrschte an den Drehkreuzen gähnende Leere.
„Wo ein Wille, da ein Weg“ dürften sich auch die Kosovo-Albaner gedacht haben. Viele Redaktionen schrieben schon im Vorfeld von einer Invasion der Kuqezinjtë-Fans ins Westfalenstadion. Auf dem Schwarzmarkt wurden absurde Preise verlangt und wohl auch durchgesetzt. Nachzählen konnte ich nicht, aber alle Tribünen waren wirklich zu großen Teilen in rot getaucht und die kolportierten 50.000 dürften gestimmt haben. Lediglich auf einer Ecke der Südtribüne sammelten sich die Tifosi der Squadra Azzurra, die (wie gewohnt) kaum bzw. nur beim Torjubel zu hören waren. Stattdessen schallte immer wieder „Shqipëri“ durchs Stadion. Zum Einlaufen der Mannschaften präsentierten die albanischen Fans ein Spruchband, eingerahmt von schwarzen und roten Papiertafeln.
Als wäre die Atmosphäre vor dem Spiel nicht schon beeindruckend genug, erzielte Bajrami nach nur 23 Sekunden das 0:1 und sorgte für komplette Ekstase. Neben den Bierbechern flogen auch jede Menge Qeleshe durch die Gegend, die traditionelle Kopfbedeckung in Albanien. Kein Halten mehr bei den Doppeladlern!
Entsprechend steigerte sich die Stimmung noch weiter, aber die italienischen Spieler schienen nur kurz geschockt zu sein. Zehn Minuten nach dem Rückstand köpfte Bastoni unbedrängt zum 1:1 mitten in die Euphorie rein. Fünf Zeigerumdrehungen später drehte Barella die Partie und ließ die Albaner buchstäblich verstummen. Der schnelle Dreher hatte bei den albanischen Fans definitiv den Sticker gezogen und die Lautstärke kam –wen wundert’s- nicht mehr an die ersten Minuten ran. In der zweiten Halbzeit schaltete Italien in den typischen Verwaltungsmodus und brachte das 2:1 relativ ungefährdet über die Zeit.
Nach dem Spiel traf ich mich wieder mit Kollege M. am Auto. Schnell noch eine vorzügliche Pizza Sucuk reingeschoben und nach einer verdienten Mütze Schlaf in Hamm brachen wir am Sonntag Richtung Doetinchem auf. Dort folgte der zweite Teil der Holland-Playoffs und sollte ein bisschen für das entgangene EM-Spiel entschädigen. Bericht folgt! (hr)

















