HELSINKI – Um ehrlich zu sein, hatte ich dieses Spiel zunächst gar nicht auf dem Zettel. Aber wie das immer so ist, da triffst du die Top-Hopper vom FC Blau-Weiß Linz in der finnischen Metro, sprichst sie auf den FSV-Zwickau-Aufnäher an, den sie auf ihrem Rucksack herumtragen, und kommst auf diese Weise an so eine Allerweltsinformation. Ich hatte so unglaublich wenig Zeit in den Tagen zuvor, dass ich die Spielpläne für Finnland in den zwei, drei Wochen vor der Abreise nicht mehr wirklich aktualisierte und mir erst am Freitag-Abend für den Folgetag eine nette Kombi raussuchen wollte.
Aber so groß die Freude über ein Erstligaspiel, das um 23 Uhr angepfiffen wird und sich auf zwei Tage aufteilt, so schnell verflog die anfängliche Euphorie. Denn nicht der Spielplan bestimmte den Tagesablauf für mich in Helsinki – sondern mein anderthalbjähriger Sohn, mit dem ich alleine unterwegs war um etwas „Quality Time“ zu verbringen. So sorgte schon eine Flugstornierung von EasyJet dafür, dass wir über Stockholm inklusive flughafennaher Übernachtung nach Finnland fliegen mussten – ziemlich anstrengend mit’m Kind unter’m Arm, dieser unnötige Stop. Am Samstag fiel das erste Spiel sprichwörtlich ins Wasser: Der Reservekick in Espoo auf einer ausbaulosen Kunstrasenwiese im strömenden Regen, das geht halt nicht mit Nachwuchs
Aber gut, hintenraus sollte dieser Sonnabend ja noch einen Knaller parat haben. Nachdem der weitere Tag mit Spielen beim FC Honka und Vantaa JP einen nahezu perfekten Verlauf nahm und auch der Regen nach dem ersten Spiel weiterzog, machte ich mich also die 15 Minuten Fußweg mit einem bettfertigen Kind auf vier Rädern auf zum Erstliga-Ground. Ich war recht optimistisch bei dem Vorhaben, denn ich wusste natürlich, dass der Bub schon in allen Lagen in seinem Wägelchen durchgeschlafen hatte, zB nächtens in Liverpool oder bei der Party von Onkel Frank – und das soll was heißen. Bei HIFK erwartete mich ein großes Stadion mit 10% Auslastung oder so. Also, was sollte da schon schief gehen?
Die erste Überraschung dann gleich vor dem Stadion – überall lange Schlangen vor den Eingängen und das Ticket für 30€, für eine Partie auf Regionalliga-Niveau. Bei der Paarung Letzter gegen Drittletzter hatte ich echt keine großen Hoffnungen. Doch da unterschätzt man den gemeinen Nordeuropäer gewaltig, denn die Skandinavier feiern Mittsommer gebührend ab, auch wenn es noch ein paar Tage hin war, bis der längste Tag des Jahres an die Tür klopfte. Die lange Einlassschlange war zum Glück im Nu gelöst, ein hilfloser Blick, ein Handzeichen am vorderen Teil der Wartenden und eine Gruppe Frauen ließ mich mit dem Wagen passieren. Babybonus. Danke, mein Sohn. Übrigens eine Randnotiz an dieser Stelle: Erschreckend, wie wenig Hilfsbereitschaft die übrige Damenwelt in den vier europäischen Hauptstädten, die wir bei dieser Reise abklapperten, einem alleinreisenden Mann mit Kinderwagen entgegenbrachte. Da wurden die Türen vor der Nase zugeschlagen und in der U-Bahn mal einen Schritt zur Seite zu gehen, scheint auch nicht in jedes Weltbild zu passen.
Im Stadion angekommen, blinzelte der Knabe noch einmal kurz aus seiner Bettstatt, in der er, in die Hoteldecke eingewickelt, wahrscheinlich auch am Nordpol durchgepennt hätte, so dass es sogar noch für ein Erinnerungsfoto reichte. Ich verkroch mich in die letzte Ecke der Arena, neben einem Rolli-Fahrer in den barrierefreien Bereich, und genoss mein 6-€-Bier. Erstmal durchatmen. Aber zu früh gepustet. Mit dem Anpfiff legte der HIFK-Mob los – und die Jungs und Mädels waren verdammt gut aufgelegt. Ein Mittsommerspiel, wie geil. Klar, das denkt sich die Fanszene wohl auch. Eine Viertelstunde wurde gewedelt, gezündelt, gesungen und als ein Kanonenschlag im Stadion explodierte, sah ich meine Felle davonschwimmen. Ich wollte mir doch nur ein tristes Fußballspiel in Finnland anschauen. Ohne großes Gedöns. Das Beste für uns alle.
Es sollte bei diesen „Special Effects“ bleiben. Der Mob sang durch, abgesehen von ein paar Fackeln und Blinkern, verzichtete man in der Folge jedoch auf weitere Knallbonbons. Als hätten die HIFK-Fans ein „Freiwillig 30 – der Kinder wegen“-Schild bei uns in der Kurve entdeckt. Vielleicht trug auch der Spielverlauf zu dem Verhalten bei – denn zu feiern hatte die Heimelf wenig. Spöttisch könnte man meinen: Helsinki war auf dem Rasen auch maximal mit Tempo 30 unterwegs. Schnell lag man mit zwei Toren zurück und die Bemühungen vor dem gegnerischen Tor Erfolge zu verbuchen, lösten beim neutralen Zuschauer eher Fremdscham aus. Irgendwie rutschte nach einer Stunde Spielzeit dann doch mal ein Ball im Strafraum durch die Abwehrreihe und aus heiterem Himmel hatten wir ein spannendes Spiel. Jetzt war auch die Hintertorseite wieder voll in der Partie. Bis der Gegner einen Gang höher schaltete und mit drei wunderschönen Toren jegliche Spannung aus diesem Duell entweichen ließ. Die 30 oder 40 Auswärtsfans übten sich in Ekstase, hatten sonst aber nichts im Repertoire, sei noch kurz erwähnt.
Kurz vor Schluss segelte das mögliche 6:1 knapp am Tor vorbei und demolierte die Anzeigetafel. Das war der ultimative Deckel auf dieser Partie. Zum Glück traf der Schuss nicht den Kinderwagen, denn das wäre wohl die einzige Möglichkeit gewesen, den kleinen Jungen aufzuwecken. Selbst in der Straßenbahn, die voll war mit Mittsommerfeiernden und HIFK-Fans, ließ sich der Nachwuchs nicht um seinen wohlverdienten Schlaf bringen. Am nächsten Tag wurde dann auch noch – gut ausgeschlafen – der Länderpunkt Estland in die Junior-Tüte gepackt. (mm)
FÜRSTENWALDE – Klar gibt es für den BFC Dynamo genug Lokalderbys in Berlin, aber ein Auswärtsspiel in Fürstenwalde ist beinahe schneller erreicht als die ganzen Auftritte im Westen der Stadt. War das der Grund, weshalb mindestens 1500 Weinrote den Weg in die Domstadt im Osten Brandenburgs fanden? Natürlich nicht, denn bei einem entsprechenden Punktgewinn in Fürstenwalde würde der Rekordmeister der DDR seinen größten Nach-Wende-Erfolg feiern können – die Meisterschaft in der Regionalliga Nordost, die ja gewissermaßen als Nachfolgerin der DDR-Oberliga angesehen werden kann. Ein elfter Meisterstern winkt für diesen Erfolg zwar nicht, aber immerhin die Aufstiegsspiele zur 3. Liga gegen den Vertreter der Nordstaffel – und die Teilnahme an einer Bundesliga wäre für den verrufenen Verein aus Hohenschönhausen wahrlich ein Riesenerfolg, nach all den Geschehnissen in den 90er-Jahren und danach.
Zunächst aber zu Fürstenwalde, schließlich wurde der Heimverein besucht und nicht der Tabellenerste, dort datiert ein erster Besuch des Autors bereits aus dem Jahre 2008. Rein äußerlich hat sich die Anhängerschaft der Ost-Berliner übrigens seitdem nicht verändert. Der FSV Union ging vor der Saison bereits in seine 7. Regionalliga-Spielzeit in Folge und hält sich eigentlich recht wacker mal im oberen und mal im unteren Mittelfeld der Liga auf. Dieses Jahr ist man allerdings in arge Abstiegsnöte geraten und belegt aktuell den ersten Platz über dem Strich. Drei Punkte vor Rathenow, wo man am nächsten Spieltag gastiert. Spannung war also geboten, auf der einen, wie auf der anderen Seite.
Beim ersten Anblick der Fanmassen im Stadion war kaum daran zu glauben, dass sich sonst im Schnitt nur 342 Zuschauer im schmucken Friesenstadion verirren. Die Union-Spielstätte ist schnell erklärt: Rundherum enge Stehplätze und eine überdachte Haupttribüne mit ein paar Sitzschalen. Reicht völlig und macht Spaß – wenn die Hütte denn voll wird. Aber das war am Freitag-Abend der Fall: Die BFC-Anhänger füllten die Hälfte des Stadions und das ziemlich prall. Über 30 Zaunfahnen wurden gezählt und man merkte, dass dieser Aufmarsch nicht unbedingt alltäglich war, denn organisierter Gesang oder Support über die ganze Breitseite gab es selten. Dennoch natürlich eine beeindruckende Kulisse und das Beste, was diesem verschlafenen Örtchen passieren konnte. Denn auch der hiesige Regionalligist mobilisierte weitaus mehr als die durchschnittlichen 342 Besucher. Der lose Haufen hinter dem Tor und auf der Haupttribüne machte nicht den Eindruck des Gelegenheitsbesuchers, ein bisschen Pöbel und abgegriffener Merch ließ eigentlich auf eine entsprechende Stammanhängerschaft aus einem gewissen Milieu schließen, daher verwunderten die vorherigen Besucherzahlen stark. Eine kleine Gruppe U18-Jungs hinter dem Tor war wohl tatsächlich ein bisschen auf Krawall gebürstet, so schien es.
Sogar ein Platzsturm der Auswärtsanhängerschaft stand für diese Partie im Raum, was natürlich nicht an den pubertären Jungs auf Fürstenwalder Seite lag, sondern an dem womöglichen Gewinn der Meisterschaft. Und da kommen wir zum Knackpunkt: Während es vor der Partie in den einschlägigen Gazetten hieß: „…ein Punkt reicht für den Titel“, sah man das auf Seiten der Berliner offenbar ein bisschen anders. Schlagen wir also den Bogen zum Spiel: Eine Partie, die nach recht flottem Beginn der Dynamos ein wenig abflachte und gegen Ende der 1. Halbzeit das halbe Stadion dank eines Kopfballs aus dem Nichts zum Jubeln brachte. 1:0 für Dynamo! Keine Ekstase, aber großer Jubel. Was folgte war eher Verwaltungsfußball, aber mit großem Einsatz und ein paar guten Momenten. Wichtig für die Gäste bis dahin jedoch: Fürstenwalde fand einfach nicht ins Spiel. Als die Kräfte bei den Weinroten in der Schlussviertelstunde schwanden, ergriff der Gastgeber allerdings sofort seine Chance und es dauerte nicht lange, bis man zum Ausgleich traf – wieder per Kopfball. Eine Schusschance kurz darauf ließ die Gäste gehörig zittern, ehe es in den Schlussminuten wieder Möglichkeiten für Dynamo gab. Spannung und Dramatik, die zuvor nur theoretisch existierte.
Das Endresultat wird allerdings beiden Seiten gerecht, könnte man meinen. Der BFC sichert sich die Meisterschaft und Fürstenwalde wahrt sein Gesicht, fährt überdies einen wichtigen Zähler im Abstiegskampf ein. Dann aber das: Nach dem Schlusspfiff feiert nur eine Mannschaft – Fürstenwalde. Betretenes Schweigen im Gästesektor, ein bisschen Abklatschen und sogar eine kleine Humba, aber keine Euphorie und schon gar kein Platzsturm. Offenbar will man sich die Party für Zuhause aufheben. Am Samstag empfängt man am vorletzten Spieltag mit dem Berliner AK mal wieder einen Spitzenklub von der anderen Seite der Stadt. Was soll da schon anbrennen, bei 6 Punkten und 15 Toren Vorsprung? Nichts, das Ding ist entschieden. Mein Tipp dennoch: Die Meisterschaftsfeier steigt am letzten Spieltag bei der VSG Altglienicke im Stadion am Wurfplatz – im Westen der Stadt. (mm)
WÜRZBURG – Herzlich willkommen im Jahre 2022, zum nächsten Geisterspielauftakt!
Wie schon vor vier Jahren – 2018 – läutet die Redaktion das Fußballjahr am Dallenberg in Würzburg ein. Mit dem feinen Unterschied, dass 1480 Tage zuvor 6672 zahlende Zuschauer die Blechtraversen im Würzburger Süden gegen den 1.FC Magdeburg bevölkerten, wo sich heute nur ein paar Dutzend Menschen mit Plüschmikrofon, Bleistift und Notizblock verirren. Und trotzdem hat man noch Glück, denn die Zugfahrt nach München war bereits gebucht – in der bayerischen Landeshauptstadt rollte kurzfristig bekanntlich aber kein Ball am Samstag und ein Streckenhalt auf dem Weg nach München hieß: Würzburg.
Zwischen den beiden Besuchen am „Dalle“ fanden sich übrigens sowohl Würzburg als auch Magdeburg mal für jeweils ein Jahr in der Zweiten Liga wieder. Während in Magdeburg alles auf einen neuerlichen Aufstieg hindeutet, laufen die Kickers dieses Jahr Gefahr durchgereicht zu werden. Mit Mannheim kündigte sich zudem ein weiterer Aufstiegsaspirant am Main an. Doch während der letzte Sieg der Hausherren bis in den Oktober hinein zurückliegt, konnten auch die Waldhof-Buben zuletzt zweimal nicht punkten.
Nach fast zweistündigem Fußmarsch vom Bahnhof mit Abstecher zur Festung und einer kleinen Schweißperle auf der Stirnfalte, ist der Dallenberg erklommen und man steht nach recht intensiver Einlasskontrolle endlich in dem menschenleeren Stadion, das vollbesetzt doch wesentlich „seriöser“ wirkt, bekommt man dann jedenfalls nicht die Behelfstribünen im Auswärtsblock und auf der Geraden zu Gesicht. Ob der FWK die Blechtraversen in der Regionalliga noch braucht? Dem möglichen Abstieg will man in Unterfranken u.a. mit den beiden Wintertransfers Marvin Stefaniak und Peter Kurzweg entgegenwirken. Den besseren Start hat aber der Waldhof, dem nach bereits zwei Minuten die Führung – offenbar zu Unrecht – abgepfiffen wird. Doch es wird nicht die letzte Aktion vom starken Schnatterer sein, der die Kugel eigentlich im genau richtigen Moment durchgesteckt hatte.
Auf der Haupttribüne tummeln sich tatsächlich nur ein paar hochrangige Vereinsmitglieder und Presseleute. Keine Spielerfrauen, treuen Vereins-Omis oder B-Jugend-Stars. Dennoch geraten fränkische und kurpfälzische Vereinsoffizielle beinahe aneinander, bei der Frage: Abseits oder kein Abseits? Keine Diskussion gibt es allerdings kurz vor der Halbzeit, nachdem SVW-Stürmer Pascal Sohm frei vor dem FWK-Kasten zum Kopfball kommt und seine Farben in Führung bringt. „Fliegenfänger“ nennen Würzburger Offizielle liebevoll ihren Keeper und Kapitän Bonmann. Außerdem wird auf der Tribüne gegen die Stadt gewettert, die ein paar Tage zuvor finanzielle Hilfe für das Dallenbergstadion versagte und lieber über 140 Millionen Euro in das städtische Theater pumpen will. Alles scheiße in Würzburg. Immerhin hat Landesmonarch Söder fürs nächste Heimspiel wieder Zuschauer angekündigt.
Im zweiten Abschnitt passiert zunächst nicht viel, doch die Franken kommen immer besser ins Spiel, treffen ähnlich wie der Waldhof aus kurzer Distanz zum Ausgleich und drängen auf das Siegtor. Es entwickelt sich ein offenes, spannendes Spiel. Neuzugang Stefaniak hat zweimal den Sieg auf dem Fuß und vergibt kläglich. Wieder ziehen diese misslungenen Aktionen vernichtende Urteile von fränkischen „Vereinsgranden“ nach sich. Ganz still wird es in der Würzburger Ecke hingegen, als die Gäste in der 90. Minute nach einer Freistoßhereingabe von Schnatterer etwas glücklich durch einen Spieler namens Fridolin Wagner zum 1:2 treffen – wieder sieht der „Fliegenfänger“ im Würzburger Tor dabei nicht gerade elegant aus.
Fußball ist manchmal ganz einfach: Bei dem Spielverlauf braucht man gar keinen Blick auf die Tabelle werfen, man kriegt auch ohne Klassement schnell heraus wer unten und wer oben steht. (mm)
FC Türk Sport Bielefeld III – SVE Rot-Weiß Bielefeld II – 2:4
„FLIESENTISCH & KUPFERHAMMER“
17.10.2021
Kreisklasse C
Sportplatz am Kupferhammer
Zuschauer: ca. 25
BIELEFELD – Wieder mal ein weiterer Beleg für die Bielefeld-Verschwörung? In Bielefeld-Brackwede jedenfalls, gibt es einen Platz, den gibt es eigentlich gar nicht. Der „Sportplatz am Kupferhammer“ dürfte einmalig in Deutschland sein: Außen Gras und in der Mitte Grand. Hybridrasen mal anders. Abgesehen davon, dass es insbesondere für Gastmannschaften sicherlich einer ausgeklügelten Wahl des Schuhwerks bedarf, habe ich mich vor Ort ernsthaft gefragt, wie die Sache mit dem Untergrund des Platzes in der Spielordnung des DFB eigentlich geregelt ist. Gibt es da einen Passus? Oder dürfte man theoretisch auch auf Fliesen spielen?
Vom Sportplatz „Kupferhammer“ war in den vergangenen Jahren bisweilen in den Medien zu hören. Das Satire-Format „Extra 3“ wählte den Ground zum „Verrücktesten Fußballplatz“. Interessant in diesem Zusammenhang, was wohl aus dem TSV Kusey geworden ist. Zur Erinnerung: Ein Landwirt kaufte die eine Hälfte des Platzes und errichtete einen Zaun auf Höhe der Mittellinie, was das Bespielen fortan unmöglich machte. So weit ist man in Bielefeld nicht, ganz im Gegenteil. Der FC Türk Sport – seit 40 Jahren am Kupferhammer zu Hause – wünscht sich zwar nach wie vor einen Kunstrasenplatz, doch immerhin hat die Stadt in der Lockdownzeit 2020 mit einer Abflusseinrichtung für eine Drainage der ständig überfluteten „Grandmitte“ gesorgt. Die Absätze zwischen Rasen und Sand sind geblieben und stellen die Spieler sicher vor das ein oder andere Hindernis.
Während in den Medien die Rede davon ist, dass die Anlage als Ascheplatz angelegt wurde und nach und nach zuwuchs, hat man mir vor Ort erzählt, dass der Untergrund „immer schon so aussah“. Der Kupferhammer liegt inmitten eines Schulzentrums und für den Ortsfremden ist der Eingang zum Fußball nicht gut ersichtlich. So kam es, dass ich kurz vor dem Anpfiff genervt über den Zaun an der Straßenseite gehüpft bin und den eigentlichen Eingang erst in der Halbzeit ausfindig machen konnte. Das Eintrittsgeld habe ich natürlich nicht geprellt, da in der letzten Liga bei der dritten Mannschaft der Einlass ohne Bezahlung erfolgt. Abgesehen von dem kuriosen Belag hinterlässt die Anlage nicht unbedingt einen einladenden Eindruck. In einer alten Hütte wurde wohl bei früheren Spielen mal Speis und Trank feilgeboten, hinter der Bude liegen verbrannte Gegenstände. Ein Container neben dem Tor beherbergt allerlei Zeug und ein paar alte Polstermöbel laden zum, naja, Sitzen ein. Da fehlt wirklich nur noch der Fliesentisch und das Trash-Ambiente wäre perfekt. Das Spielfeld wird eingerahmt von zwei Rasenwällen. Davon ab kriegt man die Zeit auf diesem abgefuckten Platz schon ganz gut rum. Wenn man einmal die Platzverhältnisse ins Visier genommen hat, will man nicht mehr woanders hingucken.
Heimspiele von zweiten, dritten, vierten Mannschaften sind bei mir eigentlich etwas verpönt, weil ich vermute, dass das repräsentative Vereinsleben bei diesen Teams irgendwie nur auf Sparflamme kocht. In diesem Falle aber: Wenn man schon für so einen Ground am Sonntag um 6 Uhr aufsteht, dann gerne ein bisschen Hafergrütze am frühen Morgen. Passt jedenfalls zu den Gegebenheiten vor Ort. Doch damit tut man den Akteuren Unrecht, denn jeder auf dem Platz kann oder konnte mal kicken, muss an dieser Stelle erwähnt werden – trotz Bierbauch oder grauem Haaransatz. Kein Wunder, wenn man ein ganzes Fußballerleben auf diesem „Grandrasen“ trainiert und gespielt hat, hinterlässt das wahrscheinlich Spuren.
Die Gäste von Rot-Weiß einfach torgefährlicher und mit den beiden Toren in der zweiten Halbzeit der verdiente Sieger. Für eine Mannschaft auf dem letzten Rang der letzten Liga, sah das trotz knapper Niederlage aber ganz passabel aus. Zumal auf diesem Platz. (mm)
STETTIN – Der Sommer fing in Polen an und der Sommer endet in Polen. Konkret gesagt: Die schönste Jahreszeit fing mit Stettin an und findet nun genau dort ihren Schlusspunkt. Denn als die erste Tour des Jahres Anfang Juni (!) auf dem Plan stand, erkor man eben jenen Verein: KS Arkonia Szczecin bzw. das historische Stadion am „Eckersberger Wald“, wie die Anlage auf Deutsch hieß und wo Deutschland 1935 ein Länderspiel vor 17.000 Zuschauern gegen Estland austrug, zum Zielort. Das Sechstligaspiel des ehemaligen Erstligisten wurde dann kurzfristig vom Samstag-Vormittagstermin auf einen Mittwoch gelegt. Nicht so schlimm, dachte ich, fahre ich ein anderes Mal hin. Doch da war noch nicht zu mir durchgedrungen, dass die Bagger und Planierraupen das „Stadion Arkonii“, wie es heute heißt, alsbald in Beschlag nehmen werden.
Nun war guter Rat teuer. Da half nur ein Facebook-Abo bei Arkonia und spitze Ohren. Als dann in den sozialen Medien bekannt wurde, dass der neue Kunstrasenplatz auf dem Gelände Anfang August eingeweiht werden sollte und die ersten drei Partien der neuen Saison allesamt Auswärtsspiele waren, sank die Hoffnung gen Null. Doch spontan wurde bei mir ein Zeitfenster am Samstag frei – pünktlich zum ersten Arkonia-Heimspiel der neuen Spielzeit. Mit einer direkten Anfrage beim Verein startete ich den letzten Versuch Richtung Eckersberger Wald. Auf Polnisch wurde mir kurz und knapp geantwortet: „Stary stadion ul Arkonska“. Dafür brauchte ich noch nicht mal einen Übersetzer. Juhu!
Also nächsten Tag um 7 Uhr Kind und Klappstulle eingepackt und im strömenden Regen ab nach Polen. Es ist ja immer dasselbe Spiel: Bevor man nicht einen gekreideten Platz und ächzende Spieler in gelben Leibchen beim Aufwärmen sieht, traut man dem Frieden nicht so ganz. Doch in diesem Falle sank der Puls schon beim Einparken. Der Ground liegt an einer belebten Straße nebst eigener Tram-Haltestelle und direkt vor dem Vereinsheim war sogar noch ein Parkplatz frei, so dass garantiert nichts mehr schiefgehen konnte. Dachte ich jedenfalls, bis mein Nachwuchshopper in der Halbzeit von einer Wespe gestochen wurde. Der Endgegner trug also Schwarz-Gelb – passend zu den ganzen Baumaschinen im Rund. Nach einem kurzen, sirenenartigen Heulkrampf sank aber auch hier der Puls ziemlich schnell. Die polnische Notrufnummer immer wählbereit, denn wer weiß beim ersten Wespenstich des Lebens schon, ob da eine Allergie vorliegt? Die Schrecksekunden wurden tapfer überstanden, wenig später fiel der Kleine auf Papas Schoß in einen epochalen Mittagsschlaf und endlich ließ sich die Sonne über Pommern blicken.
Keine dreistellige Zahl an Zuschauern wollte dem Spiel gegen den Rivalen Iskierka Smierdnica aus der Stettiner Peripherie beiwohnen, darunter durchaus ein paar kuriose Gestalten morgens um 11, in dieser Schrottbude – seltsamerweise aber keine weiteren Hopper, welche vor ein paar Monaten hier noch den größten Teil der Kulisse bildeten. Das ehrwürdige Stadion hat schon vor Jahren gut die Hälfte seines Ausbaus eingebüßt. Nur eine Halbseite und Kurve glänzt noch mit Stufenausbau, völlig versparkten Bänken und sozialistischen Schalensitzen in Taubenblau. Hinter der Gegengerade gibt es ein Bagger-Panorama zu bestaunen, dort entsteht das neue Hauptfeld und ein kleiner Trainingsplatz aus Kunstfaser. Dem Zustand der neuen Anlage zu urteilen, war das allerdings noch nicht das letzte Spiel im alten Stadion. Ein paar Wochen oder Monate wird der neue Allerweltsplatz wohl noch auf seine Einweihung warten.
Auch das Spiel bot beste Abwechslung: Von Anfang an ging es hin und her, wobei die Gäste gleich die ersten beiden Chancen verwerteten. So rannte Arkonia knapp eine Stunde einem Rückstand hinterher und wenig deutete auf einen Erfolg hin, bis der Anschluss mit einem sauber versenkten Freistoß gelang. Doch die Gäste waren stets einen Schritt schneller und konnten den alten Abstand jeweils rasch wieder herstellen. Insgesamt eine kurzweilige Veranstaltung nach langem Anlauf. Zurück ging es dann wieder im Dauerregen, so dass das Arkonia-Stadion als echter Lichtblick in diesem Sommer in Erinnerung bleiben wird. (mm)
MALENTE – Während in Kopenhagen, Amsterdam oder München vor zehntausenden Zuschauern gerade EM gespielt wird, regiert selbst im fortschrittlichen Corona-Land Schleswig-Holstein noch die eiserne Hand. Zweihundert Einlassberechtigungen sprach der SHFV für das Landespokalfinale aus, das auch in diesem Jahr mit Verspätung über die Bühne ging. Jeweils 100 Tickets pro Team. Mit welcher Berechtigung zum Beispiel den (Ex-) Bundesligaspielern Ahmet Arslan oder Stefan Schnoor Einlass gewährt wurde, blieb im Dunkeln. Vielleicht sind auch sie für die Lokalpresse unterwegs. Vielleicht aber auch Mitglieder von Phönix Lübeck. Zutrauen würde man es beiden.
Bei dem Spielort handelt es sich um die Sportschule des Landesverbands. „Der Geist von Malente“ errang im vergangenen Jahrhundert deutschlandweite Bekanntheit. Abgesehen von je drei Stufen pro Längsseite, geizt der Ground mit weiterem Ausbau. An dem schönen, alten Eingangstor kann man sich aber gut vorstellen, wie dort in den 80er-Jahren Jugendliche im Lacoste-Polo mit Leder-Mokassins und Fönfrisur auf ihre Bravo-Idole gewartet haben. Daher ist die – seit 2013 wiedereröffnete – Sportschule auch das Highlight der Anlage. Durch sie weht der gute Geist der Weltmeisterschaften 1974 und 1990, was an unzähligen Bildern an den Wänden aus diesen Jahren sichtbar wird.
Hatte man zunächst erwartet, dass die 100 Tickets nur an hochbetagte Ehrenpräsidenten und so weiter verteilt werden würden, so sah man sich getäuscht. Schon auf dem Weg zum Einlass wird ein Flensburger Mob gesichtet und auch Phönix hat die besten „Kern-Assis“ für das erste Pokalfinale seit 45 Jahren nach Malente geordert – jeweils etwa 25 Mann heizen ihren Lieblingen ein und freuen sich nach der langen Abstinenz auf diesen Tag. Dass die Kapazität arg gedrosselt ist, fällt daher gar nicht wirklich auf. Letztlich beziffert der Verband die Zuschauerzahl auf 250. Die Pferde auf der Gegenseite hat man wohl nicht mitgezählt und ein strenges Alkoholverbot herrscht natürlich obendrein. Immerhin bietet man Rhabarberkuchen für einen schmalen Taler an. Der Sieg auf den Rängen geht genauso wie das Gebolze auf dem Platz an Flensburg. Wenn auch jeweils knapp. Die Fördestädter kommen besser ins Spiel, erzielen recht schnell den Führungstreffer. Lübeck beißt sich aber in die Begegnung zurück, wehrt kurz vor Schluss noch zwei Großchancen des Gegners ab und schießt aus kurzer Distanz in der 89. Minute den Ausgleich.
Den Spielern stehen weitere Qualen bei hochsommerlichen Temperaturen in der Verlängerung bevor. Die fehlende Spielpraxis aus dem letzten halben Jahr sieht man beiden Regionalligisten deutlich an. Der Flensburger Torschütze Kramer schleppt zum Beispiel unübersehbar ein paar Extrakilos mit sich herum. Phönix scheint die Gunst der Stunde zu nutzen und bleibt in der Verlängerung am Ball. Doch Weiche erzielt fünf Minuten vor dem Ende per Kopf den glücklichen Siegtreffer. Das Zustandekommen des Flensburger Erfolgs interessiert morgen niemanden mehr, aber die Bilder von der Mannschaft mit dem Pokal bleiben für die Ewigkeit. Genauso wie die Schnappschüsse an den Wänden in der Sportschule Malente.
HOLSTEBRO – Wie schon im Vorjahr lautete Dänemark das erste Ziel „after Corona“, wenn man ein Fußballspiel mit regulären Zuschauern zu Grunde legt. Vor 11 Monaten allerdings ohne Geisterspiele im Gepäck und bei feinsten Sonnenstrahlen, wenn auch in derselben Liga. Da die 2. Division (3. Liga) jedoch mit Ablauf der Saison von drei Staffeln zu einer Staffel verengt wird, ist auch diese Spielklasse bald Geschichte. Und auch sonst erwartete uns „strahlendes Pisswetter“ jenseits der unbewachten Grenze. Regen, den ganzen Tag. Und noch was Altvertrautes: Eine Zuschauerauslastung von um und bei 0,1%. Ich befürchte, da hatten einige Geisterspiele eine bessere Quote.
Der Grund für diese reißerische Prozentzahl ist allerdings ein freudiger: Der Holstebro Idraetspark. Denn die Spielstätte der Gastgeber kommt mit einer protzigen Kapazität von gut 10.000 Zuschauern daher und hat auch sonst eine ganze Menge zu bieten, z.B. eine schier endlose Gegentribüne, die nicht zuletzt ein bisschen an das alte-neue Parkstadion auf Schalke erinnert. Die Haupttribüne hat man gut in Schuss gehalten und das ist wichtig heute, denn sie bietet Schutz vor Regen und Wind. Tickets für rund 10€ kann man vorher ohne irgendwelche Einschränkungen oder Prüfungen online erwerben. Schriftliche Korrespondenz mit dem Verein sorgte vor der Partie für große Fragezeichen in Dänemark. Etliche Fragen zu Tickets, Corona-Nachweisen usw. usf. wurden einfach mit der Generalantwort: „Auswärtsfans sind nicht erlaubt!“ abgebügelt. Also alles klar, Feuer frei!
Holstebro kauert abgeschlagen auf dem letzten Tabellenplatz, die Qualifikation für die neue Liga hat man um Längen verpasst. Immerhin konnte man das andere Team aus Aarhus (VSK) am letzten Spieltag schlagen. Und auch wenn die Gäste aus derselben Stadt noch gut im Rennen um die neue Liga liegen und trotzdem eine Handvoll Fans mitgebracht haben, rechnet man bei dem Gekicke auf dem Rasen mit dem Schlimmsten. Doch Hartkäse ist das nicht, was da auf dem Spielfeld produziert wird. Beide Teams agieren durchaus flott nach vorne, Aarhus braucht die Punkte dringender und spielt zwingender auf das Tor, was mit drei Treffern belohnt wird. Auch Holstebro duselt sich per Glückseigentor noch zum Ehrentreffer. So eine Einlage hatte man eher erwartet, sie bildet aber den Schlusspunkt einer soliden Veranstaltung: Fußball mit Bratwurst, Bier und, nun ja, ein paar Fans.
Für die Redaktion steht nun aller Voraussicht nach ein längerer Urlaub in Polen auf dem Programm. Kommt gut in und durch den Sommer!
MEPPEN – Bis zum bitteren Ende. Siegen oder fliegen hieß das Motto für den VfB Lübeck am Sonntag in Meppen, die den ersten Nicht-Abstiegsplatz in der 3. Liga einnehmen und mit drei Punkten oder einem Unentschieden mindestens sieben Punkte Distanz auf den VfB wahren konnten. Zwei Spieltage vor Schluss hieße das: Lange Gesichter bei den Gästen, denn jeder Punktgewinn für die Emsländer bedeutete in dieser Konstellation den Abstieg für Lübeck in die Regionalliga.
Bei fantastischem Frühsommerwetter finden sich allerlei Personen in und um das Emslandstadion ein. Ein Haufen Bullen und sonstige Ordnungshüter sichern Stadion und Gelände ab. Ich lass mir meine Akkreditierung aushändigen und spaziere in die Arena. Ein Mob Meppener findet sich an der Ecke zur Haupttribüne vor dem Stadion ein und macht sich über die 90 Minuten immer wieder akustisch bemerkbar. Auch haben sich einige Fans auf Stromkästen hinter dem blickdichten Zaun postiert und können so das Spielgeschehen teilweise verfolgen. Unmittelbar vor dem Anpfiff startet der Mob hinter dem eigentlichen Gästeblock – der bei meinem Erstbesuch in Meppen vor knapp 10 Jahren übrigens noch ganz anders aussah – eine kleine blau-weiße Pyro-Show. Leider verscheucht mich in dem Moment des ersten Knalls Ex-Nationalspieler und SVM-Geschäftsführer Ronald Maul von meinem exklusiven, aber offensichtlich nicht coronakonformen Platz, so dass ich nur unzureichende Fotos anfertigen kann. Das Spiel kann beginnen.
In einer zerfahrenen, vorsichtigen Partie passiert in der ersten Hälfte nicht sehr viel. Zwei Abstiegskandidaten in der 3. Liga, das kann schon mal ein zähes Vergnügen werden. Auch im zweiten Abschnitt spielt sich das Duell eher zwischen den beiden Strafräumen ab, bis Sebastian Hertner aus dem Nichts einen wunderbaren Steckpass auf Thorben Deters spielt, der alleine vor dem gegnerischen Keeper etwas überraschend zur Führung trifft. Jener Deters, dessen Vater in Meppen als Zweitligalegende und Rekordspieler gehuldigt wird, hat kurze Zeit später sogar die Chance auf das 2:0, trifft aber nur die Querstange. Meppen spielt sich in der Folge wütende Bälle zu, es fehlt aber deutlich an Struktur und so springen allenfalls Halbchancen heraus, was selbst gegen einen halbtoten Fast-Absteiger deutlich zu wenig ist. Der VfB erlaubt sich wenig Fehler, hat nun mehr Platz zum Kontern und ein Angriff kurz vor Schluss mündet in einem Elfmeter, den Martin Röser riskant aber sicher in der Mitte des Tores versenkt.
Bei den Treffern und nach dem Schlusspfiff herrscht bei mir und dem VfB-Staff eher ungläubiges Staunen, statt helle Begeisterung. Zu sehr hatte sich nach der herben 0:3-Pleite gegen Wiesbaden der Gedanke vom Abstieg eingenistet. Aber Totgesagte leben länger: Nun verbleibt eine theoretische Chance auf den Klassenerhalt. Bis zum nächsten Freitag, denn dann kann Meppen mit einem Sieg in Saarbrücken die zarte Hoffnung schon wieder frühzeitig beenden. Doch immerhin verabschiedet man sich nun einigermaßen sauber aus dieser Spielklasse, wenn der SVM in Saarbrücken gewinnt.
Die Meppener haben die drei Punkte natürlich ebenfalls bitter nötig. Zwar ändert sich an den Tabellenplätzen nach dem Schlusspfiff nichts, doch die Verfolger lauern erfahrungsgemäß genau so, wie der harte Kern der Meppener, der das Team nach der Partie noch zur Rede stellt und das nach einem minutenlangen Dialog am Stacheldrahtzaun selbstverständlich Besserung gelobt. Aus neutraler Sicht spricht allerdings nicht viel dafür. Außer dass Totgesagte halt länger leben. Und das gilt natürlich nicht nur für die Grünen, die im Emsland nochmal mit einem Blauen Auge davongekommen sind.
FRANKFURT – Auch in Frankfurt sind die Geschäfte momentan mehrheitlich geschlossen. Ansonsten macht sich „Corona“ an diesem schönen Frühlingstag in der hessischen Finanzmetropole nicht sonderlich bemerkbar. In Bornheims Stadtmitte fühlt man sich im Markttreiben gar wie in der Portobello Road in dem Film „Notting Hill“, für den der gleichnamige Londoner Stadtteil Pate stand. Fußball wird natürlich wie eh und je gespielt und in einem ziemlichen Kontrast zu der aktuellen Verfügungslage steht auch die Veranstaltung beim FSV Frankfurt. Zunächst mal: In der Regionalliga Südwest geht es sowohl für die Bornheimer als auch für die Gäste aus dem Kaiserstuhlgebirge um gar nichts mehr.
Auch sonst kann man diesen unspektakulären Kick als ziemlich lockere Veranstaltung durchwinken. Die Tribüne ist für ein Geisterspiel gut besucht. Augenscheinlich tummeln sich auch einige Angehörige in dem Stadion, einem Betonpalast, keine zehn Jahre alt, der aussieht wie ein Neubau aus den 80er-Jahren – unförmig und grau. Das seltsame Gebäude, aus dem die Hintertortribüne besteht, könnte auch in der JVA Butzbach stehen. Aber egal, schließlich zählen ja die inneren Werte. Und da kann man sich vorstellen, dass man hier schöne Fußballnachmittage erleben kann, vor halbwegs gefüllten Rängen. Und außerdem: Das Catering hat man – im Vergleich zu anderen Vereinen – nicht gänzlich eingestellt und serviert seinen geladenen Gästen zumindest Getränke. Das heißt für mich und die meisten anderen Stadiongänger: Endlich mal wieder Live-Fußball und Bier. Das Leben kann so einfach sein…
Dieses Motto gilt auch für die Männer, die sich auf dem Rasen duellieren. Bei den Gästen vom BSC spielt der Trainer an der Außenlinie eine lebendige Rolle. Immer wieder kommandiert und gestikuliert Dennis Bührer – ehemaliger Profi in Freiburg und Dresden – seine Elf nach vorne. Mit Erfolg, denn die gut strukturierten Bahlinger gehen schnell und etwas überraschend mit 2:0 in Führung. Ein zweifelhafter Elfmeter und ein ganz feines Hinterkopfballtor sorgen für ein komfortables Resultat. Der Elfmeter produziert überdies die wunderbare Stilblüte, dass die halbe Tribüne – namentlich der Staff vom FSV Frankfurt – lauthals „Schieber“ ins Rund brüllt. Für mich jetzt schon ein Highlight des Jahres.
Kurz vor der Pause verkürzen die Frankfurter etwas glücklich durch einen Beintunnler zum 1:2. Und wie das immer so ist: Die Gästemannschaft, der Außenseiter, knickt ein. Da nützt den Badenern auch ein überragender Hasan Pepic nichts, der die Abwehrspieler zuvor im Alleingang nass gemacht hat und dessen Bruder Mirnes in den Bundesligen kein Unbekannter ist. Noch bevor man Geld bei Sportwettenanbieter platzieren kann, gleichen die Hessen mit dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit aus. Gerade mal 30 Sekunden sind vielleicht gespielt, da steht es nach einem Konter 2:2. Die derben Zwischenrufe in hessischer Mundart verstummen endgültig, nachdem man in Folge eines Eckballs durch den starken Abwehrspieler Jesse Sierck den Zwei-Tore-Rückstand in eine Führung dreht.
Die tapferen Gäste hätten einen Punkt verdient und geben nicht auf, treffen in der Nachspielzeit sogar den Pfosten, doch zuvor macht der Sohnemann von Torwartlegende Dieter Burdenski den Deckel drauf, in dem er einen Konter zum 4:2-Endstand veredelt. Dieser Fabian Herbert Burdenski kam irgendwann mal vom SSV Jeddeloh zum FSV Frankfurt und hatte zuvor schon – passend zu den aktuellen, restriktiven Verhältnissen im Fußball – fernab der öffentlichen Wahrnehmung in Polens Ekstraklasa ein bisschen Karriere gemacht. Ein würdiger Schlusspunkt dieser Partie ist schließlich, dass man mir das letzte Bier aus dem Kühlschrank aushändigt. In dieser Disziplin meldet der FSV Frankfurt heute „ausverkauft“.
WOLFSBURG – Wie sich die Zeiten ändern. Schon vor Jahren geisterten Gerüchte umher, das Stadion am Elsterweg sei dem Untergang geweiht. Vor zwei Jahren wurde der Abriss und Umbau für 2022 beschlossen. Corona kam dazwischen und so kickt die VfL-U21 aus der Damenabteilung immer noch in dem ehemaligen Bundesligastadion – und zwar aktuell als einzige Mannschaft im Verein, wenn auch immerhin in der 2. Frauen-Bundesliga.
Und genau da lag der Haken. Schon in der letzten Saison 19/20 kamen im Schnitt, nun ja, 70 Besucher in das große Rund. Trotzdem hatte ich die Konstellation mit den zweiten Damen am Elsterweg stets auf dem Zettel. Zehn Jahre habe ich kein Damenspiel mehr gesehen und obwohl ich kein Frauenfußball-Hater bin, konnte ich mich nicht dazu durchringen, einen Trip nach Wolfsburg mit Hauptspiel 2. Frauen-Bundesliga-Nord zu starten, muss ich gestehen.
Wo jetzt der Re-Start des Damen-Unterhauses bevorstand, war aber klar: Das musst du machen. Das VfL-Stadion, das ehemalige Bundesliga-Stadion, die Keimzelle des Vereins, mit einem „Geisterspiel“ der II. Damen zu kreuzen – mehr geht nicht, so eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Und so bin ich an diesem Sonntag im April einer von zwei Berichterstattern auf der Gästeliste. Im Innern selbst mache ich genau vier Personen ausfindig, die ich nicht dem jeweiligen Staff beider Vereine zuschlagen kann. Demgegenüber stehen drei oder vier Ordner, die äußerst streng ihren Dienst verrichten. Meine Bitte, die menschenleere Kurve mit der (ehemaligen) Anzeigetafel abzulichten, hat zur Folge, dass das Stadion kurzerhand abgeschlossen werden muss, weil mich der Ordner vom Einlass die zehn Treppen hoch zur Kurve begleiten will – damit ich keinen Unfug mache.
Trotz all dieser Widrigkeiten – und vom Wetter habe ich noch gar nicht gesprochen – hat sich der Trip aber gelohnt. Solche Überbleibsel aus dem letzten Jahrhundert findet man in Deutschland auch nicht mehr so oft. Stehplätze rundherum, ein irgendwie halbprovisorischer Oberrang – und das Herzstück: Die alte Haupttribüne, die unter Denkmalschutz steht und in das neue Sportpark-Projekt integriert werden soll. Von der alten Tribüne bröckelt der Beton auf die Sitze, abgesehen davon dass sie „alt & geil“ ist, findet sich an dem Bauwerk aber nicht so viel Erhaltenswertes. Die Tribüne aus den 60er-Jahren ist ein Betonmonster mit Einschusslöchern, das sehr wenig Komfort bietet und ohne weitere Funktionen daherkommt, wenn man dir Pressekabinen mal ausklammert. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Schöne Sache, das mit dem Denkmalschutz. Von alleine wäre ich aber nicht drauf gekommen.
Zum Sportlichen – und da war ich echt gespannt. Schon nach fünf Minuten fällt das erste und letzte Tor des Tages: Eine Gästespielerin namens Anna Weiß drischt den Ball aus kurzer Distanz nach einer Hereingabe an Torhüterin Almuth Schult vorbei ins Netz. Die Torfrau der VfL-Damen hatte bei mir vor dem Anpfiff für das einzige Aha-Erlebnis gesorgt. Beim Blick auf die Spielaufstellung kam mir der Name bekannt vor. Zusammen mit der unvergleichlichen US-Amerikanerin Hope Solo, wurde Schult 2014 zur Welttorhüterin ernannt, wie es immer so schön heißt. Wie kann das angehen, dass diese Weltfrau jetzt vor einer Handvoll Zuschauern in der 2. Liga kickt? Die Antwort liegt in der Natur der Sache: Im Herbst 2019 wurde Almuth Mutter von Zwillingen, was – zusammen mit den Ereignissen seit März 2020 – dafür gesorgt hat, dass die 64-fache Nationalspielerin fast zwei Jahre kein Pflichtspiel bestreiten konnte. Im Kader der ersten Mannschaft wurde sie gar zur Nummer 3 degradiert.
Da sage noch einer, es gäbe keine großen Unterschiede mehr zwischen Damen- und Herrenfußball. Ich bin froh, dass es nach fünf Minuten in der Kiste der Welttorhüterin klingelt, denn das bedeutet für meine bescheidene Statistik: 150. Spiel in Deutschland in Folge ohne 0:0! Über den frühen Treffer kann ich auch wirklich froh sein, denn bis auf eine weitere Jena-Chance direkt im Anschluss, passiert vor den Toren in dieser Partie fast gar nichts mehr. Der Ball findet zwar oft den direkten Weg nach vorne, aber in die Box gelangt er nur sehr selten. Im Grunde genommen ist es ein echter Grottenkick.
Trotzdem übe ich mich als aufmerksamer Beobachter: Man(n) sieht den Protagonistinnen definitiv an, dass viel und hart trainiert wird. Wolfsburg fällt durch einen wirklich geringen Altersschnitt auf. Bei Jena misst die Stürmerin, die fast alle Bälle anzieht, gerade mal 156 Zentimeter. Auch kann man beiden Teams bescheinigen einer bestimmten Spielidee zu folgen. Insgesamt unterlaufen den Mädels nur wenig wirkliche Fehler. Bei Jena wird früh gepresst, nach Ballgewinnen schickt man die schnellen Außenspielerinnen mit Vertikalpässen nach vorn. Das mündet auch recht schnell im Siegtor für den letzten DDR-Meister im Frauen-Fußball, der letztes Jahr im FC Carl Zeiss aufgegangen ist und zuvor als FF USV Jena bekannt war. Was die Präzision, Athletik, das Tempo und die Körpersprache angeht, so muss ich sagen, habe ich diese Ground-Konstellation mit den II. Damen nicht ganz zu Unrecht all die Jahre aufgeschoben. Doch da der Besuch in Wolfsburg damit nun abgeschlossen ist, will ich es bei diesen Worten belassen.
KÖLN – Nachdem ich nun ein halbes Jahr artig zu Hause den Anweisungen der politischen Leitfiguren Folge geleistet habe und Corona immer noch in ungeahnten Dimensionen grassiert, wurde es jetzt mal Zeit für einen Strategiewechsel: Weg von der Einzelhaft, raus aus der Isolation, rein in das Massentransportmittel, das unter normalen Umständen teurer als eine Einzelfahrt mit dem Auto nach Köln ist. Das könnte ich jetzt schreiben, wenn ich cool wäre. Aber ich bin einfach nur ein ganz normaler Junge, der ein bisschen Fußball gucken will. Ein drohender Zahnriemenschaden bei meinem Auto zwang mich auf die Schiene und so feierte das beklemmende Gefühl, morgens um 7.46 Uhr möglicherweise schon den ersten Anschlusszug zu verpassen, ein ungeahntes Comeback.
Ich gehöre natürlich zum Pöbel und bin kein „sogenannter Experte“, aber im Zug stundenlang Maske tragen, in der ganzen Kölner Innenstadt sowieso, am Klettenbergpark dann mal 10 Minuten ohne Mundschutz, beim Fußball wieder rund drei Stunden mit Maske. Ob das so eine gute Idee ist, in jeder x-beliebigen Situation mit so einem Ding im Gesicht rumzulaufen, von irgendwelchen Leuten angegeifert zu werden, wenn man seinen Gesichtserker mal lüftet und im Umkreis von 10 Metern keine Menschenseele zu sehen ist? Schnell ist so ein Teil durchfeuchtet und das, obwohl man sogar zwei Ersatzmasken im Gepäck hat. Das fördert ohne jeden Zweifel den sorglosen Umgang mit dieser Virenklette. Die Maske ist in Deutschland die heilige Kuh, aber Hysterie wird die aktuellen Probleme wohl eher nicht lösen. Was soll’s, wir drehen uns im Kreis.
Mit Köln empfängt mich an diesem Samstag im April eine Stadt eingehüllt in einen dicken Trauerschleier. Bereits im Bergischen Land künden die letzten Schneereste von harten Zeiten. Ich war schon einige Male in der Domstadt und stets gipfelte der Aufenthalt in einer großen Gaudi, aber nicht nur das graue Wetter und der permanente Regen hat der Stadt den Zahn gezogen. Die wenigen Menschen auf der Straße reden nicht miteinander. Jeder geht nur schnell seiner Wege. Touristen gibt es fast gar nicht. Verständlicherweise. Und die, die sich in der Stadt tummeln, spulen ihren Betrieb im Notprogramm runter. Keine Läden sind geöffnet und wenn doch, hat man den Eingangsbereich verrammelt und einen provisorischen Tresen davorgestellt. Die Barrikade für den Hurrikan. In der Schaufensterscheibe eines Geschäfts liest man: „Alles 50% reduziert wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage“. Trotz dieser Maßnahmen titelt der „Express“: „Corona-Alarm in Köln – Krisenstab greift durch!“. Sämtliche Widerstände sind erloschen. Vielleicht wird es doch mal Zeit für einen Strategiewechsel.
Fußball wird dennoch gespielt und das nicht zu knapp. Natürlich ist das strange, dass die Regionalliga im Westen weiterläuft. Aber angesichts dieser endzeitlichen Zustände auch wieder wohltuend. Vor dem Stadion treffe ich tatsächlich einen alten Hamburger „Kollegen“ und im Ort des Begehrens mache ich die Bekanntschaft mit einem der Fotografen. „Geisterspiele“, das ist wohl relativ. Mittlerweile würde ich sogar so weit gehen, dass diese Art der Durchführung auch einen gewissen Reiz mitbringt. Das Stadion liegt im letzten Zipfel der Stadt, irgendwo zwischen Autobahn und Wald, und ist ein echtes Schmuckstück mit seiner 70er-Jahre-Tribüne, dem gezackten Betondach und alten Stehplätzen, die sich rund um die Anlage ziehen. Nebenan findet man mit dem „Geißbockheim“ die Geschäftsstelle des Großstadtklubs.
Im Dauerregen von Köln-Sülz geht der FC zunächst standesgemäß in Führung, ehe der akut abstiegsbedrohte Gast aus Duisburg erst ausgleicht und mit einem starken Schuss kurz vor der Pause sogar zur Halbzeitführung trifft. Nicht zuletzt angesichts der Witterungsverhältnisse gewinnt man durchaus den Eindruck, dass die limitierten Gäste das Ergebnis vielleicht über die Zeit retten können. Doch dann fällt nach rund einer Stunde der Ausgleich und die Moral der Homberger ist bald gebrochen. Köln trifft noch drei weitere Male. Torschützen: Regionalliga-Legende Lucas Musculus, der pfeilschnelle Koreaner Hwang und ein junger Bursche namens Joshua Schwirten, der mit einem wunderbar platzierten Schuss in den Winkel den würdigen Schlusspunkt in dieser Partie setzt und bei dem uns auffällt, dass er in der ersten Halbzeit die ganze Zeit zwei Sitze vor uns gesessen hat.
Nach dem Abpfiff geht es wieder zügig Richtung Stadt, wo dem „Poldi“-Döner „Mangal Grill“ ein Besuch abgestattet wird. Der gute Podolski hat bei seinen Dönerläden nicht mit Starkult in eigener Sache gegeizt, an dem Dürum ist auch nicht viel auszusetzen, aber der Preis von 6 Euro ist doch ziemlich happig. Naja, da bezahlt man den Namen natürlich mit und wenn ich mir schon einen Poldi-Döner gönne, wird bei seiner großen Beliebtheit der Dönerspieß in den mittlerweile vier Filialen wohl trotzdem auf eine beachtliche Drehzahl kommen.
Zum Schluss gilt es festzuhalten, dass das natürlich alles nichts ist, im Regen durch eine fremde Stadt zu laufen, in der „Verweil-Verbote“ gelten, die keinerlei legale Möglichkeiten für eine Indoor-Rast bietet. Aber jedes Wochenende zu Hause auf der Couch zu hocken, ist halt irgendwann auch keine Lösung mehr. Der Namensgeber des Stadions galt in Köln nicht umsonst als unumstrittener Präsident und wird heute als Urvater der modernen Bundesliga gefeiert. Da würde man am liebsten sagen: Franz Kremer, übernehmen Sie!
LOTTE – Nun ist es also so weit, seit ziemlich genau einem Jahr bestimmt die Politik das öffentliche Leben und begründet diese Schritte mit einem neuartigen Virus, das unser Leben gefährdet oder gefährden soll. Am 12. März 2020 fing für mich dieser „Pandemie“ genannte Zustand an. Am Vortag konnte noch ganz unbeschwert ein A-Jugend-Spiel verfolgt werden, einen Tag später – einem Donnerstag – wurden sämtliche Fußballspiele in der Bundesrepublik abgesagt. Grund genug einen damals anstehenden Wochenend-Trip nach Flensburg sofort zu stornieren, denn nicht nur das angepeilte Regionalliga-Spitzenspiel vom SC Weiche 08 gegen den einstmaligen Tabellenführer aus Lübeck fiel den Maßnahmen zum Opfer – das ausgeheckte Ersatzprogramm ganz ohne Fußball konnte nicht überzeugen und schließlich wollten wir alle, naja, Menschenleben retten. Wer will in Flensburg schon tot über’n Zaun hängen?
365 Tage später: Das Ende eines Lotterlebens? Mitnichten, aber wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass ein Auswärtsspiel vom Tabellenletzten der 3. Liga ohne Zuschauer in Lotte gegen den KFC Uerdingen Erwachsenen-Augen zum Leuchten bringt? Doch wenn wir mal ehrlich sind: Das passt zu diesem traurigen Jubiläum – bei absolutem Scheißwetter, Orkanböen und strömendem Regen. Schon verrückt, manchmal wird einem Wasser als Wein verkauft. Aber letztlich auch egal, wenn das Zeug wirkt. Vom DFB ist das natürlich gewollt – dort sitzt man zufrieden in der Verbandszentrale, wenn Uerdingen Lübeck in Lotte empfängt, einem Ort, der so klein und unbedeutend ist, dass man dort noch nicht mal einen Regenschirm kaufen kann, wenn es wie aus Eimern schüttet. So deute ich zumindest die völlig überzogenen Auflagen für die 3. Liga und werde nicht müde, diesen Umstand bei jeder Gelegenheit zu betonen. Das „Frimo“-Stadion jedenfalls wurde vom Verband drittligaklassifiziert und es mag UEFA-Mitgliedsländer geben, die an so einem Veranstaltungsort ohne weiteres ihre Länderspiele austragen wollen würden, während sie sich in Lotte auch schon vor Corona mit vermeintlichen Geisterspiel-Kulissen ausgekannt haben…
Es dauert nicht mal zwei Minuten, da bin ich im Stadion. So eine Pandemie hat auch was Gutes: Parken im Schatten der Tribüne, ein paar Unterschriften und Absichtserklärungen vorzeigen und schon ist man drin. Nicht viel los in Lotte und das gilt wohl auch zu Geisterspiel-Zeiten: Eine Handvoll Journalisten, unabkömmliche Mitarbeiter beider Vereine, der Stadionsprecher, Ersatzspieler und Kaderleichen. Und ich – der Mann, ohne den eine Paarung Uerdingen gegen Lübeck in Lotte vor leeren Rängen definitiv keinen Sinn ergeben würde. Ich könnte jetzt pathetisch werden, wie ergreifend es ist, nach so langer Zeit mal wieder ein Spiel seiner Lieblingsmannschaft zu sehen und so weiter und so fort. Aber in erster Linie ist es eine gute Stunde vor dem Anpfiff erstmal nur kalt & langweilig.
Grausam und schrecklich wären zwei weitere Eigenschaften, die auf dem Tisch liegen, wenn die Mannschaft mit den wenigsten geschossenen Toren der laufenden Saison auf die Elf mit der geringsten Punktausbeute trifft. Aber es kommt natürlich anders, sonst würde man halt auch nicht jedes Wochenende bei Wind und Wetter irgendwelche Autobahnen hoch- und runterbrettern. Zumindest zu normalen Zeiten. Schon nach sieben Minuten geht Uerdingen durch einen Kopfball von Adriano Grimaldi in Führung. Mit der ersten Chance. Es folgt beherzter Fußball von den Gästen und es mehren sich die Gelegenheiten zum Ausgleich, der einfach nicht fallen mag. Uerdingen spielt sich im ersten Abschnitt keine einzige Chance vor dem gegnerischen Tor mehr heraus und muss trotzdem nach der Pause sofort das 2:0 nachlegen, denn eine Hereingabe von Mike Feigenspan landet nur auf dem Querbalken und bei einem elfmeterreifen Foul vertritt Spielleiter Patrick Glasner eine Meinung, die den Forderungen des KFC-Staffs konträr gegenüber steht, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Krefeld drückt auf das 2:0 – und wieder kommt es anders. Kein Wunder, ich bin ja auch dabei. Und meine letzte VfB-Niederlage als Augenzeuge datiert aus dem Jahre 2017. Vier Jahre keine Pleite live vor Ort miterlebt, Bayern-Fans lieben diesen Trick. In diesem Falle kommt man aber nicht daran vorbei festzustellen: Corona ist mein Glück. Dennoch agiert der VfB in der zweiten Halbzeit nicht wie ein Schlusslicht und nach einer Triple-Chance in Folge einer Ecke ist es schließlich Ryan Malone, der das Kunstleder aus rund 20 Metern in die Maschen drischt und mich als Glücksbringer bestätigt. Ausgerechnet Malone, der hünenhafte US-Amerikaner, den man wahrscheinlich auch für einen Footballer halten könnte, jubelt ikonenhaft im Dauerregen irgendwo im Nirgendwo im Tecklenburger Land und lässt alle Beteiligten Corona und die Geisterspiel-Kulisse für einen Moment vergessen. Tatsächlich leisten die Spieler auf dem zerfurchten Rasen ganze Arbeit und füllen einen Großteil der Spielzeit das Vakuum, das das Zuschauerverbot hinterlassen hat.
In der allerletzten Minute des Spiels zieht ein KFC-Akteur von der Strafraumgrenze ab und der Ball streicht nur Zentimeter über das VfB-Gehäuse. Schließlich ist es vorbei mit dieser Veranstaltung. Der Schiedsrichter pfeift das Duell ab – und dann: Stille. Ich applaudiere den Protagonisten des Abends für ihre Darbietungen und mein leicht euphorisiertes Geklatsche gilt allen Beteiligten, egal welcher Farbe. Denn so ein Leistungsnachweis bei diesem Sauwetter, da kann man ruhig mal Beifall spenden. Allerdings höre ich ziemlich abrupt auf zu klatschen, denn ich bin der einzige Zuschauer, der den Akteuren auf diese Weise Respekt zollt. Um mich herum packen die wenigen Beobachter dieser Partie zügig ihre sieben Sachen ein und verschwinden. Wieder mal ist bloß ein Geisterspiel zu Ende gegangen.
GELSENKIRCHEN – Der heißeste Geisterspiel-Scheiß aus der Regionalliga West – na, wenn das mal kein Grund ist sich für diese Seite ein freiwillig-kostenpflichtiges und teilweise-unnötiges Abo ans Bein zu nageln! Wie wäre es mit dem „Gönner-Abo“? 10 Jahre für 1,99€ und dazu einen kostenlosen Hochdruckreiniger eines deutschen Markenherstellers – geschenkt! Das Angebot greift allerdings erst ab einem Corona-Inzidenzwert von unter 35 und ist nur bis zum 7. März datiert. Merkste selbst, oder?
Genug gelacht, denn Ende Februar fällt es coronabedingt immer noch schwer die Lachmuskeln nach oben zu ziehen. Doch hier und da rauscht ein kleiner Lichtblick durch die Wolkendecke. Schalke ist so ein Lichtblick. Jetzt wird’s richtig lächerlich, könnte man denken. Zu Recht: Wo die Profis mit sage und schreibe 9 Punkten aus 23 Spielen im nahenden Frühling Nichtabstiegs-Durchhalteparolen in die Welt setzen. Zum Glück gibt es den Amateurfußball und die Regionalliga West, die sich in diesen Zeiten zwecks Weiterführung des Spielbetriebs in eine offizielle Profi-Liga gewandelt hat und daher natürlich viel Wert auf qualitative Berichterstattung von ausgewählten Reportern live vor Ort legt.
Darum geht es an einem Samstagmorgen 400 Kilometer aus dem schönen Hansetal Richtung Gelsenkirchen. Gewohnt früh fädel ich mich mit meiner kleinen Blechkapsel auf der menschenleeren A1 ein, dort wo sonst Verkehrsbehinderungen warten rauscht man nun im dreistelligen Tempo völlig gefahrlos an chronischen Stauenden vorbei. Überpünktlich trudelt man in Gelsenkirchen ein. Die Arbeiterstadt im Westen – oft belächelt, aber in diesen Tagen mal eine nette Abwechslung. Dank der verfrühten Ankunftszeit wird gegen Mittag noch das „Fürstenbergstadion“ angesteuert, in der Hoffnung, dass der nahende Umbau dort noch nicht begonnen hat und man die traditionelle Anlage von innen und außen nochmal begutachten kann. Vor Ort die Enttäuschung: Abrissbagger haben bereits alle Stehstufen angeknabbert und den Zaun kann man auch nicht überwinden.
Das Alternativ-Programm ist ähnlich gruselig wie ein Stadionabriss: Auf einen kleinen Sprung geht es rüber ins etwa zehn Kilometer entfernte Gladbeck, in die Schwechater Straße 38, dort wo im August 1988 das sogenannte „Geiseldrama von Gladbeck“ begann. Ein bisschen Asi-Crimespotting in der Nachbarstadt, ein altbewährter Klassiker für Groundhopping-Erstsemester auf Schalke, ich weiß nicht wie ich mir in der Gegend sonst die Zeit vertreiben soll. Spötter mögen nun behaupten: Das Hochhaus in Rentfort-Nord – die größte Touristenattraktion Gelsenkirchens. Auf jeden Fall ist es ein düsterer Ort mit morbidem Charme. So wie aktuell wahrscheinlich auch die Veltins-Arena, wenn dort Bundesliga-Fußball stattfindet.
Doch ein Fußballspiel in der Veltins-Arena wird heute um 14 Uhr nicht angepfiffen. Stattdessen spielt die U23 im neueröffneten Parkstadion, das allerdings nur aus einer Tribüne besteht. Die aber, hat es in sich: Die „Knappen“ haben die Gegengerade des 74er-WM-Stadions original erhalten und mit neuen Wellenbrechern flott für die Zukunft gemacht. Selbst die Holzbänke sind die gleichen wie früher und sogar der alte Schüttbeton entpuppt sich irgendwie als sehr schöner Unterschied zu den Betonfertigteilen heutiger Zeit. Hinzu kommt das Markenzeichen der Anlage: Ein alter Flutlichtmast überragt ikonisch das ehemalige Oval. Hört sich komisch an in diesen Tagen – ein Kompliment für Schalke: Das habt ihr richtig gut gemacht!
Ob bei einem Heimspiel gegen den VfB Homberg unter normalen Bedingungen 100 Zuschauer kommen würden? Ich weiß nicht. So ähnlich fiel meine Wahrnehmung jedenfalls in Nicht-Pandemie-Zeiten aus, wenn ich über Schalke II nachgedacht habe. Daher drückt es nicht auf die Stimmung, dass sich im „Infield“ nur etwa 40 bis 50 Pressevertreter und Vereinsnasen zusammenfinden, gut 70 bis 80 Zaungäste rund um das Areal kommen hinzu. Sogar auf einem Parkhaus in gut 100 Metern Entfernung sind Menschenmengen auszumachen. Illegal 2021. Vor dieser Pandemie waren solche Spiele wahrscheinlich kaum besser besucht. Das Schalker „Sicherheitspersonal“ hinterlässt einen äußerst entspannten und deeskalierenden Eindruck in Bezug auf das „illegale“ Publikum. Eine nette Veranstaltung vor „null Zuschauern“, wer hätte das gedacht? Hinter dem Zaun neben dem Kassenhäuschen hat sich eine Berliner Reisegruppe versammelt, aus der ich ein Mitglied natürlich bestens kenne. Pünktlich zum Anpfiff schält sich die Sonne aus ihrem Wolkennest. Es ist angerichtet. Bei meinem letzten Fußballspiel als Zuschauer schrieb ich noch was von den „allerletzten Zuckungen des Spätsommers“, jetzt ist der Winter fast schon wieder vorbei. Von nun an geht es aufwärts.
Das gilt auch für Schalke. Aber nur für die zweite Mannschaft. Königsblau macht Druck, erarbeitet sich bis auf einen frühen Pfostentreffer jedoch keine Chancen. Wie bei so vielen Nachwuchsmannschaften glänzen die Jung-Profis durch gute Ballkontrolle. Wenn’s drauf ankommt, bricht man aber irgendwie nicht in den Strafraum durch. Homberg kommt gegen Ende der Halbzeit ein paar Mal nach vorne. Bei den Duisburgern wird die Nummer 2 im Angriff gesucht und die gehört zu Samed Yesil. Einst Supertalent bei Bayer Leverkusen, Mitte des letzten Jahrzehnts für eine Millionensumme zum FC Liverpool transferiert. Dort legten ihn Kreuzbandrisse lahm und mittlerweile kommt er über die Rolle des Mitläufers beim VfB Homberg nicht mehr hinaus. Tor- und trostlos geht es in die Pause.
Während die Profis schon bald beim VfB Stuttgart in Rückstand geraten, hämmert S04-Talent Brooklyn Ezeh ein paar Minuten nach dem Wiederanpfiff einen Freistoß aus rund 20 Metern mit voller Wucht in den Giebel. Fühlt sich gut an, so ein Tor! Das abstiegsbedrohte Homberg kämpft leidenschaftlich um den Anschluss und hat einen Treffer verdient, womit so eine Partie freilich einen ganz anderen Verlauf nehmen kann. Doch in dem entscheidenden Augenblick des Spiels liegt das Moment auf Seiten der Heimelf, die einen Konter in Person von Jan-Luca Schuler, der schon Bundesliga-Luft schnuppern durfte, erfolgreich zur Vorentscheidung abschließt.
Man kann es kaum glauben, auch die zweite Mannschaft wies bis zu diesem Zeitpunkt eine Negativserie von sieglosen Spielen auf und konnte mit dem Erfolg die ersten drei Punkte in diesem Jahr einfahren. So weit ist man bei den Profis noch nicht, denn spätestens nächsten Tag ist auf Schalke wieder alles beim Alten: Nach der Bundesliga-Niederlage in Stuttgart entlässt der Revierklub die halbe Belegschaft. Unter anderem Trainer Gross, Sportvorstand Schneider und Lizenzspielkoordinator Riether werden am Sonntagmorgen „rausgekärchert“ und beurlaubt. Alles wie bisher in der Fußballwelt. Denn auch wenn dieses „Geisterspiel“ Spaß gemacht hat: Wir warten weiter auf „freizugänglichen“ Fußball.
KIRCH MULSOW – Jahresausklang auf dem Betzenberg. Es hätte so schön sein können, nun aber finde ich mich in Kirch Mulsow wieder. Einem 250-Seelen-Kaff zwischen Wismar und der Kühlung. Irgendwo im Nirgendwo in einer allerdings ziemlich unberührt-überzeugenden Natur, für die sich eigentlich sonst kein Auswärtiger interessiert. Nur heute überfallen einige Dutzend Fußballtouristen diese blühende Landschaft. Schon am Eingang entdecke ich Groundhopping-Größen, deren Ruf- und Spitznamen meistens irgendwie mit „Bier“ anfangen. Es ist für alle das letzte Spiel des Jahres. Zumindest in Deutschland. Und da die Alternativen jede Stunde rarer werden, haben fast alle das gleiche Ziel ins Navigationsgerät getippt.
In Kirch Mulsow gibt es neben den Störchen, die das Dorf alljährlich im Frühjahr beehren und im Vereinswappen gewürdigt werden, genau zwei weitere Highlights: Eine ziemlich coole, alte Kirche, die bekanntlich im Ortsnamen Erwähnung findet und mal wieder einen neuen Anstrich vertragen könnte, sowie einen Landesklassisten und seinen kleinen, aber feinen Sportplatz: Den Betzenberg. Und der hat seinen Namen durchaus verdient, denn tatsächlich geht es einen Hügel und etliche Treppenstufen aufwärts, bevor man den sehr engen und gemütlichen Fußballplatz betritt. Vor dem Eingang erinnert DDR-Architektur in Form eines Flachbaus und einer Bockwurstbude an die Gründungs-Geschichte des Vereins. Hinter der Stadionkasse grüßt eine kleine Wellblechtribüne und lädt den leicht verkaterten Groundhopper zum Sitzen ein.
Auch das Wetter spielt mit und an diesem ersten November-Tag machen sich die wirklich allerletzten Zuckungen des Spätsommers nochmal bemerkbar. Bald schon wird es düster werden. Es folgen neunzig solide Minuten Fußball in der Landesklasse, der achten Ligastufe in diesem Bundesland, in denen die Kleinstädter aus Neukloster souverän über den Dorfverein obsiegen, der aber wirklich alles in die Waagschale wirft – vom Stadionsprecher bis zu den Jungs, die tapfer die manuelle Anzeigetafel bedienen. Zwischendurch belohnt sich Mulsow, die am Spieltag zuvor den Ball 10 Mal aus dem eigenen Netz holen mussten, mit dem Ausgleich. Doch das größere Talent auf Seiten von Neukloster ist unübersehbar, so dass das Endergebnis nur noch eine Frage der Zeit bedarf und am Schluss mit 1:4 doch recht standesgemäß ausfällt.
Als die Spieler im Sonnenuntergang an der Bockwurstbude vorbei die Betonstufen zu den Umkleidekabinen im Flachbau runterstapfen und die Metallstollen der Schuhe dabei diesen unverkennbaren Soundtrack eines Bolzplatzes im Abgesang liefern, könnte das Jahr vorbei sein. Ich mache noch ein paar Fotos und fahre etwas wehmütig nach Hause. Und sogar eine Story habe ich noch in der Tasche, denn der glücklose Stürmer der Mulsower – nennen wir ihn aus Datenschutzgründen einfach: Giovanni Zarrella – ist mir am Vortag schon unter den Zuschauern in Bentwisch aufgefallen, dort durfte ich einer Landesliga-Partie beiwohnen. Und dieser Ort ist ja immerhin rund 50km von Kirch Mulsow entfernt. Das finde ich, ist eine witzige Fußnote.
Nachdem ich ein Foto in einem Sozialen Netzwerk poste und der Spieler in dem Beitrag Erwähnung findet, geht das Dilemma los: „Schildern Sie mir doch bitte genau, welche Spielaktionen des Angreifers ‚erfolglos‘ in Ihrem geschulten Auge waren“, werde ich kurz darauf von besagtem Akteur aufgefordert. Keine Ahnung. Antworte ich natürlich nicht. Aber um weitere „unangenehme Nachfragen“ von Zarrella zu entgehen, neutralisiere ich umgehend alle Passagen, die ihn betreffen. Wer weiß, vielleicht habe ich ja den spektakulärsten Spielerwechsel des kommenden Jahres zwischen Wismar und der Kühlung aufgedeckt?
Das Jahr 2020 ist für mich jedenfalls gelaufen. Was im Kopf bleiben wird: Kleine Wellblechtribünen, liebevolle Dorfsportplätze, Metallstollen auf Betonplatten und Zugvögel im Sonnenuntergang. Und das wird auch im nächsten Jahr wieder meine Motivation sein zum Fußball zu gehen – und darüber zu schreiben.
GIFHORN – Dieses Kreuz in der Oberliga Niedersachsen war überhaupt nicht geplant. Aber: Kein‘ Bock auf Corona-Panik in Bayern, wo ich die letzten Tage vor dem nächsten Corona-Weltuntergang verbracht hatte und die Vereine ihre Wochenend-Spiele zuletzt freiwillig cancelten. Lieber fädelte ich auf dem Heimweg von Süd- nach Norddeutschland noch einen Zwischenstopp in Gifhorn ein und fuhr etwas eher als geplant heim. Die „Mühlenstadt“ in Niedersachsen – mit einem Bevölkerungs-Anteil von etwa 10% „Russlanddeutschen“ übrigens Zentrum der Spätaussiedler in Deutschland – liegt Luftlinie gar nicht mal so weit von meinem Zuhause entfernt, aber nach Gifhorn und in die nähere Umgebung, führt aus dem Ostsee-Raum seit jeher leider keine Autobahn.
So war mit dem Besuch beim MTV sozusagen eine rumpelige Hin- und Rückfahrt eingespart. Ein „Notnagel“ in Sachen Groundhopping ist der Oberligist aber gewiss nicht. Das „GWG-Stadion an der Flutmulde“ ist ein Ort, an dem der Fußball zu Hause ist. Selbst in Pandemie-Zeiten. Eine vollbesetzte, schicke Haupttribüne zeugt davon. Verschiedenfarbige, individuelle Eintrittskarten, Bratwurst vom Metzger, ein Fanshop-Mobil und letztlich sogar ein kleiner schwarz-gelber Support-Mob – das sind an und für sich genug Argumente, um jederzeit wieder die B4 nach Gifhorn hoch- und runterzukrauchen.
Zumal, wenn es zu einem „Derby“ kommt, wie an diesem Tag beim Spiel gegen die U.S.I. Lupo-Martini aus dem benachbarten Wolfsburg. Der Derbybericht in der „Gifhorner Rundschau“ hatte mich am Freitag getriggert, muss ich zugeben. Ohne den euphorischen Artikel aus der Provinz wäre ich sicher nicht darauf gekommen, dass es sich um ein Nachbarschaftsduell mit Belang handelt. Nicht mal „Gifhorn-Jörg“ kann die Freude trüben – natürlich bin ich an den einzigen Groundhopper auf der Welt geraten, der aus Gifhorn stammt und Lupo-Martini die Daumen drückt. Er erkennt mich sofort als seinesgleichen und ich habe 90 Minuten einen emsigen Gesprächspartner neben mir. Wer kennt es nicht? Aber ich will nicht klagen, sogar ein Getränk gibt er mir aus, das ich leider nach dem ersten Schluck bezeichnenderweise umstoße. Beim nächsten Mal bin ich denn dran. Nützt ja nichts.
Das Spiel hält, was die Gifhorner Rundschau versprochen hat: Nach kurzer Abtastphase macht der MTV Druck und erzielt nach einer Ecke das schönste Tor des Jahres: Kim-Marvin Kemnitz (ja, der heißt wirklich so) hält nach einem ruhenden Ball aus spitzem Winkel einfach mal drauf – so ähnlich wie Matthäus 1992 gegen Leverkusen. Schon ist der Bann gebrochen und wir erleben ein tolles Spiel zweier Mannschaften im Aufwind. Dem schnellen 2:0 folgt allerdings noch vor der Pause per direktem Freistoß der Anschlusstreffer für die Italiener. In der zweiten Halbzeit ist es lange Zeit ein offener Schlagabtausch, selbst nach der vermeintlichen Vorentscheidung zum 3:1, drückt Wolfsburg auf den Anschlusstreffer. Der verdiente Sieger heißt am Ende aber Gifhorn.
Dann geht das Licht ganz schnell aus. Beim ersten Spiel nach der Umstellung auf die Winterzeit, ist es kurz nach dem Abpfiff zügig dunkel. Die Gifhorner feiern den Sieg vor ihren Fans mit einem lautstarken „Derbysieger, Derbysieger!“. Regen setzt ein. Und der Spaß ist jetzt leider vorbei.
LÜBECK – Die Drittliga-Premiere der Hanseaten. Eine Woche vor dem Spiel wurde noch klipp und klar formuliert, dass die Landesregierung maximal 500 Zuschauer zu Sportveranstaltungen zulässt und vom VfB ebenso klar kommuniziert, dass an dieser Regelung nicht zu rütteln sei. Also verplante ich mein Wochenende nahe der Müritz, bei meiner eingeheirateten Familie. Den Sonnabend hielt ich mir dennoch frei – man weiß ja nie. Alles was man in Corona-Zeiten weiß, ist, dass man nichts weiß. Und tatsächlich öffnete die Landesregierung am Dienstag die Schleusen für mehr Zuschauer. Der VfB würfelte am Donnerstag die Mindestkapazität von 1860 Zuschauern aus. Das bedeutete: Mehr Tickets als Mitglieder/Dauerkarteninhaber. Sprich: Ein freier Verkauf stand bevor. Von dem Zeitpunkt an war klar, dass ich den Aufenthalt bei der Oma meines Sohnes würde unterbrechen müssen. Fast 17 Jahre in denen es Niederlagen gegen den BSV „Schwarz-Weiß“ Rehden und den Zipsendorfer FC Meuselwitz hagelte. Immer windig, oft alleine. Diese Belohnung jetzt, musste ich mir abholen. 24 Stunden später hatte ich mein Ticket.
Sinnbildlich: Von Wind und Regen keine Spur – bei bestem Spätsommerwetter empfangen die Grün-Weißen den Mit-Aufsteiger aus Saarbrücken. Die Stehplätze auf den Hintertorseiten bleiben zu, die Schar verteilt sich auf die beiden Sitzplatztribünen. Vor der Haupttribüne hat man ein zweistöckiges Container-Dorf errichtet, das nun alle Kassen abhandelt und den neuen Fanshop beherbergt. Auf der zweiten Etage prangt ein neuer Stadionname an der Außenwand: Dietmar-Scholze-Stadion an der Lohmühle. Dem ehemaligen Präsidenten der Hanseaten wird diese Ehre zunächst für ein Jahr posthum zuteil. Der Einlass zum Stadion erfolgt in gebührenden Abständen, die privaten Sicherheitsleute kennen keinen Spaß. Und als ich die imaginäre, nicht-gekennzeichnete Stadiongrenze in die falsche Richtung verlasse, will man mich nicht wieder reinlassen. Dabei wollte ich nur kurz zum Fanshop. Ich will nicht um den heißen Brei reden: Der Betrieb vor dem Stadion geht mir jetzt schon auf den Sack. Alkoholische Getränke werden nicht ausgeschenkt, okay. Aber alkoholfreies Bier hätte es bei dem schönen Wetter auch getan. Fehlanzeige. Allerdings habe ich auf das ganze Prozedere auf dem Vorplatz – das Schlangestehen, Masketragen und Kontrolliertwerden – eh keinen Bock.
Drinnen dann ein anderes Bild. Die Haupttribüne war zu Regionalliga-Zeiten sicher nicht besser besetzt als heute und das durchmischte Publikum, das sich quer auf die Blöcke G1 bis G6 verteilt, macht einen durchweg motivierten Eindruck. Im Stadion sieht alles wie immer aus, mit einer Ausnahme und einer Ergänzung: Die Stehplätze zwischen Pappelkurve und Haupttribüne sind den Containern gewichen. Und hinter dem Gästeblock hat man eine digitale Anzeigetafel errichtet – die allerdings selbst aus der Ferne stark verpixelt wirkt und außer der Ergebnisanzeige nichts kann. Noch immer gibt es keine Uhr im Stadion – ob nun digital oder analog – das hat mich hier schon als Jugendlicher genervt.
Die grüne Mannschaft kommt auf den Platz, dreht eine Ehrenrunde und erntet stehende Ovation. Das Spiel kann beginnen! Die Elf auf dem Rasen und die Eintausendachthundertsechzig auf den Rängen sind sofort eine Einheit. Beeindruckend was eine halbvolle Tribüne so abliefern kann. Die Zeitung mit den großen Buchstaben schreibt nächsten Tag von einer „Gänsehaut-Atmosphäre“. Dazu trägt auch der frühe Führungstreffer von Patrick Hobsch bei, der den Ball irgendwie – ganz nach seiner Manier – über die Linie stochert. Danach verflacht das Spiel etwas, ohne dass man akut um die Führung fürchten muss. Ballgewinne und Chancen werden frenetisch gefeiert. Genau so hat sich jeder Besucher die Rückkehr in den Profi-Fußball vorgestellt! Die zweite Hälfte verläuft ähnlich, nur dass Grün-Weiß zwei, drei gute Chancen herausspielt und sogar ein Tor nachlegen muss – namentlich zu erwähnen sei hier Stürmer Elsamed Ramaj. Nachdem dies nicht gelingt, versiegt allmählich die beeindruckende Mischung aus Kraft und Konzentration bei den Hausherren. Infolge dessen muss man den Ausgleich der Saarländer schlucken. Fast genau so ein Kacktor wie auf der Gegenseite, denn ein Lübecker kann den Ball noch wegschlagen, bevor er das Netz berührt, so dass leichte Zweifel an dem Gegentreffer bleiben – das Endergebnis allerdings, spiegelt das Kräftemessen auf dem Rasen gut wider. Die 3. Liga ist kein Kindergeburtstag und für drei Punkte hätte man halt die zweite oder dritte Kerze nach der Pause anzünden müssen.
Abpfiff und es wird nach kurzem Beifall sofort die Kurve gekratzt. In der Halbzeit sah ich zufällig, dass man die Regionalliga-Premiere von Phönix Lübeck auf dem Buni nach hintern verlegt hat und doppelt hält nach der langen Corona-Pause in meiner fußballerischen Heimatstadt heute definitiv besser, so dass ich schnell zum nächsten Spiel eile. Außerdem ist mein Auftrag auf der Lohmühle für heute abgeschlossen. Fast 17 Jahre nach meinem letzten Profi-Spiel an diesem Ort bestimmen aktuell leider nicht nur sportliche Gesichtspunkte meinen fußballerischen Alltag. Man sieht sich in der Kreisliga wieder. Oder in zwei Wochen gegen Duisburg. Mal gucken.
SKIVE – Die Realität heißt: Dänemark. Noch war es in Norddeutschland verboten in Teamstärke gegen den Ball zu treten. Also wurde erneut nach Dänemark aufgesattelt. Wieder musste mein Dienstwagen mit RZ-Kennzeichen herhalten. Denn während ich als Holsteiner legal nach Corona-Dänemark einreisen darf, heißt es für Hamburger: Wir müssen draußen bleiben. Auch wenn man – wie mein Mitfahrer – in Volksdorf und damit nur ein paar Meter von der schleswig-holsteinischen Grenze entfernt wohnt. Überhaupt wurde diese Regelung sicherlich auch nicht – wie in meinem Falle – für Lauenburger getroffen, sondern eher für Flensburger und Nordfriesen. Aber heuer gilt es wie nie zuvor: Jedes Schlupfloch ausnutzen und trotzdem als Strahlemann dastehen.
An der Grenze: Tristesse. Drei Wochen zuvor bildete sich am ersten Ferientag vor Flensburg noch ein kilometerlanger Stau. Diesmal huschen wir fast so durch. Ich gelte als verkappter White-Van-Man in dem VW-Bus sicherlich nicht als unauffälligste Person an der Grenze. Dass wir beim letzten Mal – als es nach Fünen ging – nicht kontrolliert wurden, wunderte mich schon. Heute haben die Grenzer Zeit, wollen nicht nur unsere Ausweise sehen, sondern auch eine Buchungsbestätigung (Nicht-Schleswig-Holsteiner müssen mindestens 6 Nächte in Dänemark bleiben) und überdies werden wir gefragt, wie unser Ziel lautet (unsere Fake-Buchung sah Aarhus als Domizil vor. Die Buchung wurde nach der Bestätigung natürlich umgehend storniert). Diese Hürden meistern wir mit Bravour. Trotzdem uncool, diese Grenzgängelungen, das hat man in der aktuellen Corona-Fußball-Euphorie etwas verdrängt.
Weiter geht es nach Skive. Die kleine dänische Stadt in Midtjylland war als Ausflugsziel eher eine Notgeburt. In Dänemark rollt der Ball an diesem Wochenende nur noch in der zweiten Liga aufwärts. Und dank der speziellen Zulassungsbedingungen für Zuschauer, die in den meisten Fällen bei einer Kapazität von 500 aufhört, fiel die Wahl fast automatisch auf Skive. Aber man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und mit dem Herrn Beifahrer wollte ich nach fast einem Jahr endlich mal wieder gemeinsam Fußball gucken. Und Dänemark ist sein Spezialgebiet. Das ändert trotzdem nichts daran, dass es ab dem Grenzübertritt anfängt zu regnen – und nicht mehr aufhört. Allen guten Prognosen zum Trotz.
In der 20.000-Einwohner-Stadt parken wir direkt am Stadion und haben noch über eine Stunde Zeit bis zum Anpfiff. Die Innenstadt liegt nur 10 Minuten Fußmarsch entfernt. Immerhin erwischen wir anfangs einen regenfreien Slot. Das Highlight der Stadt sehen wir gleich zu Beginn – die „Zwei Grosse Bier Bar“. Leider geschlossen am Sonntag. Wie so ziemlich alle Geschäfte in Skive. Die Stadt hat nicht viel zu bieten, das Regengrau und die ausgestorbene Fußgängerzone machen es nicht besser. Als wir beim Rathausplatz ankommen, fängt es wieder an zu regnen. Immerhin hat ein „Kvickly“-Einkaufscenter geöffnet. Dort angekommen decken wir uns mit dänischem Bier und der berühmten „Kinderleberwurst“ ein. Zudem finden verschiedene Produkte des Getränkeherstellers „Hancock“ den Weg in unseren Einkaufskorb, denn die hiesige Brauerei bzw. der Getränkehersteller tritt zugleich als Namenspate für das Stadion in Skive auf. Gummi-Pneus werden in Skive also nicht produziert. In diesem Zusammenhang sei die „Sport-Cola“ empfohlen, für die Hancock im Stadion an den Flutlichtmasten auch Werbung macht. Süß & dickflüssig. Sportlich, sportlich.
Nach dem Einkauf geht es schnurstracks zum Spielort. Ein Trampelpfad wird durchschritten, schon stehen wir in der Einlassschlange. Vor uns ein gutes Dutzend Menschen, die sich das Spiel angucken wollen. Es werden keine Tickets vergeben und auch keine Kronen gezückt, sondern bei jedem Gast guckt einer der Rentner-Ordner auf eine Liste. Langsam werden wir unruhig. Als wir an der Reihe sind, fragen wir ganz ungeniert nach Tickets. Die Ordner stutzen, aber verlangen sogleich den Preis von 80 DKK, mit dem Verweis, dass es weder eine Kasse noch Wechselgeld gibt. Offensichtlich beschränkt sich der Andrang bei den Spielen auf Dauerkarten-Inhaber. Wie dem auch sei, wir sind drin.
Als erstes wird eine leckere, aber viel zu krosch gebratene Wurst verzehrt. Komischerweise kann man die per Mobiltelefon bezahlen. Keine Tageskasse, aber Handy-Wurst – willkommen im Jahre 2020. Ein Ordner überwacht den Mindestabstand zwischen den Sitzenden und pfeift uns später auch zurück, als wir das Stadion einmal umrunden. Der Ground hat quasi nur eine Sitzplatztribüne zu bieten, die an ein waschbetongraues Funktionsgebäude rangepappt ist. In der ersten Etage hat man eine VIP-Lounge eingerichtet, in der übrigens auch die „Zwei Grosse Bier Bar“ als Sponsor auftritt. Markant sind allerdings die Gitterrohr-Flutlichter. Alles in allem nicht mal uncharmant. Aber man nimmt, was man kriegen kann. Das Spiel beginnt und Skive startet engagiert. Für beide Teams geht es um nichts mehr. Man nimmt, was man kriegt. Doch Skive, als Aufsteiger, hat eine passable Saison gespielt und scheint willens, sich beim letzten Heimspiel anständig vom Publikum zu verabschieden. Dennoch verliert man nach und nach den Faden und Köge beißt sich in die Partie zurück. Die Gäste spielen sehr diszipliniert und gehen – infolge eines einstudierten Angriffs – nach einem sehenswerten Schuss von der Strafraumgrenze nicht ganz unverdient in Führung.
In der Halbzeit erkunde ich die Tribüne. Denn ich sehe Zuschauer mit Programmheften und da es keine Papier-Tickets gibt, möchte ich eine Stadionzeitung als Mitbringsel einstreichen. Irgendwann stehe ich in der Stadiongastronomie, die auch für Pressekonferenzen genutzt wird, vor einem Stapel Fanschals. Eher beiläufig frage ich den Bierzapfer, was so ein Schal kostet. Diese Frage kann er mir nicht beantworten, aber bald kommt jemand, der mir einen Preis nennen kann. Jaja, so genau will ich das eigentlich gar nicht wissen. Auf dem Tresen liegen Programmhefte. Ich schnapp mir eins und schleich mich raus. Als ich schon die Türschwelle übertreten habe, höre ich aber laute Rufe, die mir gelten. Der Mensch, der die Preise macht, ist da. Ein gut gekleideter Mann um die 50. Dreitagebart, Anzug, weiße Sneaker. Offensichtlich der Mediendirektor oder so. Nach dem Spiel sehe ich, wie er den Spielern Anweisungen gibt, außerdem trägt er eine Autorisierung um den Hals. Der Mann jedenfalls scheint ein echter Rhetorik-Profi zu sein. Denn er verwickelt mich in ein Gespräch und fragt mich natürlich, was ich in Skive zu suchen habe. Dabei stellt er sich so geschickt an, dass ich am Ende nicht den Arsch in der Hose habe, ihm offen und ehrlich ins Gesicht zu sagen, dass ich kein Interesse an einem Fanschal von seinem Verein habe oder dass mir 100 DKK, fast 15 Euro, zu viel für so ein Nonsense-Produkt sind. Nun bin ich Besitzer eines Skive-Schals. Hurra.
Auch die zweite Halbzeit hat überraschende Wendungen parat. Der Gastgeber arbeitet sich in die Partie zurück und erzielt nach großem Aufwand endlich den Ausgleich. Um nur eine Minute später nach einem Abwehrfehler erneut in Rückstand zu geraten. Das Ding ist gelaufen, denken wir. Aber – Pustekuchen im Regen von Skive: Nun dreht der Lokalmatador erst richtig auf. Niemals hätte man an so einen Verlauf nach der Pause gedacht. In der ersten Halbzeit statisch, pomadig, ausrechenbar, zeigt man nun das Gegenteil: Zweikampfstärke, Laufarbeit, Abschlüsse. Alles passt. Vor allem ein wildgewordener Stürmer mit der Rückennummer 92, Sebastian Grönning, dreht auf. Ein Fallrückzieher verfehlt nur knapp das Tor, wenig später ist es dem blonden Stürmer vorbehalten seine Farben erstmals in Führung zu bringen. Skive rettet die drei Punkte über die Zeit und geht am Ende als Fünfter der Tabelle über die Ziellinie. Und wir reiben uns die Augen, wie das alles passieren konnte. Spätestens als wir zwei Stunden später wieder die Grenze passieren – und in Deutschland tatsächlich die Sonne scheint.
LIBEREC – Ein paar Meter hinter der Grenze sollte das Quartier für die ersten Tage in der Tschechei aufgeschlagen werden – und dafür gibt es gute Gründe: Je nach Wetterlage kann man den ganzen Tag damit verbringen den Jeschken hochzukraxeln – Hausberg und Wahrzeichen der Stadt Liberec. Oder man bummelt ohne Zeitgefühl durch eine wunderbare Altstadt, die sich ohne große Allüren ihrer Struktur bewahrt hat und sehr authentisch wirkt. Für einen Norddeutschen ist eine Straßenbahn ohnehin schon was Abstraktes. Wenn es auch noch hoch und runter geht und dabei kleine Gassen zwischen den Häusern zum Vorschein kommen, kann man schon fast von etwas Romantik sprechen. Zumal überall in der Stadt bauliche Überbleibsel aus der glanzvollen Habsburger-Zeit aufblitzen. Stellt euch mal vor das „Kaiser-Franz-Joseph-Bad“, macht die Augen zu und überlegt in welchem Jahr wir uns gerade befinden. Sicher nicht im Seuchenjahr 2020.
Bei diesen Argumenten kann man gut auf Fußball verzichten. Also, eigentlich auch wieder nicht. Aber in Corona-Zeiten nervt der Profi-Fußball, der „richtige“ Profi-Fußball. Das wissen wir. Daher war für den Sonntag ein Ausflug ins beschauliche Varnsdorf geplant. Fahrtzeit von Liberec: Keine halbe Stunde. Nun wurde aber der komplette Spieltag in Tschechien kurzfristig neu ausgewürfelt und das Spiel in Varnsdorf auf den sehr hopperfreundlichen Montag verlegt. Was hat man da zu verlieren?
Richtig. Morgens – noch mit Schlaf in den Augen – mal auf die Homepage von Slovan geguckt und siehe da: Restkarten ab 13 Uhr – und zwar nur am Stadion. Glück gehabt. Um 10 vor 1 stehe ich in der Schlange vor der Kasse – pünktlicher waren nur ein gutes Dutzend Einheimische. Wenig später halte ich das begehrte Stück Papier in der Hand. So einfach läuft’s manchmal. Und das, obwohl Slovan vor dem Spiel darauf hinwies, keine Tickets für deutsche Fans zu hinterlegen. Ein Hopperauflauf bleibt mir heute also erspart.
Nach dem erfolgreichen Ticketkauf umrunde ich noch einmal ritualisiert das Stadion. Hinter der Gegentribüne fließt die Lausitzer Neiße entlang. Die Gegentribüne ist in ein Felsmassiv geschlagen, eingerahmt von blauen Flutlichtern und einem schlossähnlichen Gebäude. Vor dem Anpfiff kann ich ungeniert auf den Presseplätzen herumspazieren. Warum fallen mir hundert ungute Gründe ein, dass so etwas in dieser Kombination in Deutschland nicht möglich wäre? Dabei liegt Reichenberg bekanntlich nur einen Steinwurf hinter der Grenze.
Dreieinhalb Stunden später werde ich dann auf dem Stadionvorplatz ausgespuckt, der auf der gegenüberliegenden Seite von der Tribüne liegt, für die ich ein Ticket besitze. Kein Problem, denke ich, vorhin konnte man ja noch an der Lausitzer Neiße entlang der Gegentribüne das Stadion einmal ganz easy umrunden. Nun versperrt ein Eisentor diesen Weg und der Ordner schickt mich mit einer Handvoll halbstarker Tschechen einmal auf die Reise um das Stadion. Wir brauchen fast eine halbe Stunde, ehe wir die Neiße einmal umrunden. Durch meterhohes Gras, über Stock und Stein und diverse tschechische Vorgärten kommt irgendwann eine Brücke zum Vorschein, die uns zum Stadion geleitet.
Die letzten Meter lege ich im Galopp zurück. Und dann: Eine meterlange Schlange. Zum Glück nur die Gästefans. Mein Eingang befindet sich daneben und ist verwaist. Zwei, drei Minuten vor dem Spiel sitze ich auf meinem Plätzchen im Schatten, sogar ein Bier in der Hand, und bin trotzdem schweißgebadet. Fix und fertig. Aber jetzt kommt der Teil zum Zurücklehnen. Slavia füllt den Gästeblock neben mir ziemlich gut aus – sogar ziemlich coronagerecht, wenn man genau hinguckt. Der Mob ist gut gelaunt, denn der Hauptstadtklub steht bereits vor der Partie als Meister fest. Für Slovan geht es hingegen im Fernduell mit der Nachbarstadt Jablonec noch um das Play-off-Ticket um die Europa League. Auch die Gastgeber skandieren auf der gegenüberliegenden Seite ein paar Mal, der Support bleibt aber nicht weiter nennenswert.
Liberec zeigt sich sehr engagiert, aber es fehlt die Durchschlagskraft und irgendwie das Selbstverständnis, diesen Gegner zu dominieren. Slavia spielt den Stiefel ganz locker im Stile einer Spitzenmannschaft runter und irgendwann klingelt es auch im Kasten der Nordböhmen. Erst nach einem Freistoß aus dem Halbfeld, dann mit dem Pausenpfiff wieder per Freistoß. Diesmal direkt verwandelt, durch einen Spieler aus dem Bahrain: Abdulla Yusuf Helal. Unmittelbar nach Wiederanpfiff wird der Sieg durch eine feine Einzelleistung von Peter Musa langsam unverrückbar: Nach einer Kopfballverlängerung chippt der Stürmer den Ball direkt vor meiner Nase mit Effet am Keeper vorbei – 0:3 für die Champions. Es spricht für die Hausherren und den Unterhaltungswert des Spiels, dass Slovan sich nicht aufgibt und kurz vor dem Abpfiff nach einem Kuddelmuddel im Prager Strafraum schließlich der Ehrentreffer gelingt. Erwähnenswert noch: In dem Spiel finden 10 Spielerwechsel statt. Slavia wechselt dabei in der 60. Minute vier Spieler ein und aus. Ob ich so etwas jemals wieder sehen werde?
Zurück geht es nach dem Spielende einfach querfeldein über die Felsmassiv-Tribüne und das Spielfeld wieder auf den Vorplatz. Das dauert nur ein paar Minuten und auf dem Vorplatz kann man sogar noch Pivo und Klobasa abstauben. So einfach läuft’s manchmal.
BECKUM – Für das obligatorische A-Jugend-Spiel am Vormittag musste alles passen. Und wieder mal war auf Ryanair Verlass. Im Gegensatz zum Airport in Dortmund, erwies sich der Flughafen London/Stansted als brechend voll. Die Maschine nach Deutschland war aber nicht mal zur Hälfte besetzt. Wieder ging es bei bestem Wetter, freier Dreier-Reihe und (daraus resultierendem) Fensterplatz über den Ärmelkanal. In Dortmund angekommen, dauert es gerade mal eine Viertelstunde und schon sitze ich wieder in meinem Auto. Zur Auswahl standen einige Partien im Münsterland und in Ostwestfalen. Für das Jugend-Spiel in Beckum – das genau zwischen Dortmund und dem eigentlichen Ziel Gütersloh liegt – war eine pünktliche Landung und schnelle Abwicklung zwingend nötig.
Zwar wären auch Herren-Partien für den Vormittagskick in Frage gekommen, aber wirklich bedeutende Spiele waren nicht in Sicht. Zudem jeweils auf Kunstrasen. Das war in Beckum zwar auch der Fall, doch auf der Sportanlage befindet sich nicht nur die Plastikwiese. Hauptplatz ist immer noch die gute, alte „Römerkampfbahn“ – direkt neben dem Synthetikbelag. Der Kunstrasenplatz ist über eine Treppe, die gleichzeitig Stufenausbau darstellt, mit dem Rasenplatz verbunden.
Bei der SpVg Beckum hatte es irgendwie auch „Klick“ gemacht. Und siehe da, wenig später wusste ich warum: 1994 – ich war ein fußballbegeisterter Junge – kegelte die SV den 1.FC Köln aus dem DFB-Pokal. Die Partie endete 0:0 nach 120 Minuten. Der einstige Vertreter von Jens Lehmann bei Schalke 04 – Torwart-Legende Jürgen Welp – parierte im Elfmeterschießen einen Strafstoß von Bruno Labbadia, die Sensation war perfekt. Die 90er-Jahre in Beckum waren nicht nur von Pokal-Sensationen, sondern auch von erfolgreichem Oberliga-Fußball geprägt. Alles lange her, heute heißt die Realität: Landesliga. Oder: Bezirksliga. Wie im Falle der A-Jugend.
Die Römerkampfbahn besteht zu drei Vierteln aus etwas unförmigen, abgenutzten Stufen, die sich im Achteck eng um den Platz ziehen. Daneben existiert eine überdachte Tribüne mit Sitzbänken, Sprecherkabine und viel Patina. Ein sehr schöner Anblick. Der Rasen bleibt der ersten Herrenmannschaft der Beckumer vorbehalten. Für den Auftritt in der Landesliga am späteren Nachmittag, befindet sich der A-Platz aber auch noch im Winterschlaf und ist als gesperrt gekennzeichnet. Tatsächlich sieht das Grün arg verwüstet aus. Kaum vorstellbar, dass hier in der Hinrunde gekickt wurde.
Auch der B-Platz ist für einen Kunstrasen ganz in Ordnung. Wie eingangs erwähnt: Stufenausbau auf einer Längsseite. Zudem thront das Vereinsheim auf einer Anhöhe über dem Platz und auf den beiden anderen Seite hat man einen Graswall in L-Form aufgeschüttet. Norden, Osten, Süden, Westen – überall ist die Sicht am besten, wird man mit einer anderen Perspektive belohnt. Mit mir haben sich etwa 40 Zuschauer eingefunden, um diesen Fußball-Tag morgens mit den Junioren einzuläuten – nach der A-Jugend werden noch die beiden Herren-Mannschaften auflaufen. Sicherlich alles Mitglieder oder Aktive am Spielfeldrand. Natürlich guckt man mich, den Fremden, etwas schräg an. Aber egal: Ich genieße den ersten Frühlings-Flirt mit der Natur und gucke Fußball. Den einzigen Dialog, den ich mit einem Beckumer Fußballkiebitz führe, beschließt mein Gegenüber mit den Worten: „In Deutschland wird es ganz sicher keine Geisterspiele geben“.
Also dann, Anpfiff: Das Spiel kommt etwas schwer in die Gänge. Als Favorit gilt der Gast aus dem Paderborner Stadtteil mit dem tollen Namen Mastbruch, der mit einem Sieg auf Platz eins springen kann. Nach zwei sehenswerten Toren steht es kurz vor der Pause tatsächlich 2:0 für die Sportfreunde aus Paderborn. Doch Beckum hat die Chance mit einem Elfmeter in der Nachspielzeit zu verkürzen. Ich stehe schon oben am Vereinsheim und blicke auf das Spielfeld runter: Der Keeper hält!
In der Halbzeit gibt es Bratwurst und Kaffee bei Paolo. So heißt der Mann, der einen leicht desorientierte Eindruck hinterlässt und direkt hinter dem schönen Torbogen links im Grillhäuschen auf Aufträge wartet. Während eine Bratwurst die Geschmacksknospen zufriedenstellt, gehört der Kaffee zu den schlechtesten Muntermachern, die ich in letzter Zeit auf den Sportplätzen dieser Welt heruntergespült habe. Lauwarm und geschmacklich kann man nur erahnen, worum es sich handelt. Doppelt bitter. Zuvor war ich nämlich eine Viertelstunde – das war der Zeitvorsprung den ich mitgebracht hatte – planlos durch Beckum gefahren und musste feststellen, dass im katholischen Münsterland offenbar alle Bäckereien Sonntag-Vormittag geschlossen haben.
In der zweiten Halbzeit ist das Spiel weiterhin zähe Kost. Nichts desto weniger hinterlassen die Akteure auf dem Rasen einen ordentlichen Eindruck. Hier haben alle ihre Hausaufgaben gemacht, aber nicht jeder Jugendlicher wird als Weltklassespieler geboren. Es fällt auf, dass die Gäste letztlich viel mehr Torgefahr als die Beckumer in ihren lila Trikots ausstrahlen. In der Folge kommt es noch zu zwei Mastbruch-Toren, der Endstand fällt durch einen klassischen Konter in der Schlussminute. Direkt nach dem Spiel gibt die zweite Mannschaft auf dem Kunstrasen-Teppich gegen die Ahlener SG ihr Stelldichein. Ich lichte währenddessen die alte Römerkampfbahn mit meiner Kamera ab und denke außerdem an eine Nominierung von „Mastbruch-Tor“ für das Fußballwort des Jahres.
Da bis zum nächsten Anstoß in Gütersloh noch etwas Zeit verbleibt, fahre ich erneut eine Runde durch Beckum. Auf den ersten Blick keine besonders schöne Stadt, aber an jeder Ecke blitzt das Deutschland auf, in dem ich aufgewachsen bin: Backstein und Helmut Kohl, Zement und Peter Stuyvesant. Höhepunkt ist ein „Conodomat“ unweit der Römerkampfbahn mitten im Nirgendwo. Höchste Zeit für mich jetzt den Ort zu verlassen.
„LANGER HAFER UND KONTROLLIERTE DEFENSIVE – WILLKOMMEN IN DER PREMIER LEAGUE!“
07.03.2020
Premier League
Selhurst Park
Zuschauer: 25.461
LONDON – In Dortmund-Sölde nächtigte ich in einer recht einfachen Unterkunft – in Corona-Zeiten undenkbar: Mit Gemeinschaftsbad. Die Schlafmöglichkeit war nur ein paar Kilometer vom Flughafen entfernt. Vom Bahnhof Holzminden ging es mit einem Shuttle-Bus zum Terminal, obwohl man das Ziel von dort auch bequem nach 20 Minuten Fußmarsch erreicht. Auf dem dortigen P+R-Parkplatz am Bahnhof kann man kostenlos parken – für 48 Stunden. Denn den Holzmindenern sind Flughafen-Parker ein Dorn im Auge. Wochenend-Groundhopper mit dem Ziel England, die die fabelhaften Flugzeiten am Samstag und Sonntag nach und ab London nutzen, sind vom Zorn der Holzmindener somit zum Glück verschont geblieben. Am Dortmunder Airport erwartete mich ein menschenleerer Hangar. „The german angst“, betitelte ich ein Foto, das ich von der verwaisten Sicherheitskontrolle anfertigte und in einschlägige Whats-App-Gruppen tickerte. Selten war Fliegen so angenehm wie an diesem Tag – draußen schien die Sonne, der Zufall hatte mir einen Fensterplatz zugelost. Und in gerade fünf Stunden wartete eine Premier-League-Partie in der Hauptstadt des Fußballs auf mich.
Da der Rückflug am nächsten Tag auch schon wieder in den Morgenstunden erfolgen sollte und der Abflughafen Stansted ja gut und gerne 60km nördlich der Londoner Kernstadt liegt, entschied ich mich für eine Low-Budget-Unterkunft in der Flughafen-Peripherie von Stansted. Mit dem Unterschlupf hatte ich Glück. Ein Typ namens Ahmet hat in der Ortschaft Takeley ein Haus zu Appartement-Wohnungen umgebaut und dabei nette Einheiten geschaffen, die man für unter 40 Euro pro Tag mieten kann. Das Beste aber: Den Ort kann man vom Flughafen zu Fuß erreichen. Eine halbe Stunde spaziert man dafür durch das englische Nirwana. Außerdem befindet sich der einzige Pub in der Ortschaft („The Four Ashes“) direkt gegenüber der Appartement-Anlage. Dort gibt es auch hausgemachte Pizza zum Mitnehmen, was mir im Laufe des Tages noch zu Gute kommen wird.
„WANDSBEKER SCHMUDDEL IN LONDON“
Jetzt aber erstmal ab zum Stadion: Nachdem ich meine Tasche in der Unterkunft deponiere, geht es wieder zurück zum Flughafen und von dort mit dem Airport-Express nach South London. Das dauert rund zwei Stunden, hört sich aber komplizierter an, als es ist. Tatsächlich muss man nur ein Mal umsteigen. Vorbei geht es an den berühmten „Hackney Marshes“ und auch am Olympiastadion, das ja mittlerweile von West Ham genutzt wird. Der Umsteige-Bahnhof „Shoreditch High Street“ wird der zentrale Knotenpunkt in den gerade mal 24 Stunden, die ich in der Stadt verbringe. Bezogen auf meine Heimatgroßstadt Hamburg, kann man die Ecke mit dem Bahnhof „Dammtor“ ganz gut vergleichen. Gepaart mit ein bisschen Wandsbeker „Schmuddel“ und bestückt mit Hipstern im Sternschanzen-Style, herrscht dort rund um die Uhr eine gewissermaßen faszinierende Betriebsamkeit. Hinter dem Bahnhof entdecke ich mehrere Kunstrasen-Käfigplätze, in denen munter vor der Großstadt-Kulisse gekickt wird. Okay, daran merkt man dann doch: Das ist gerade London und nicht Hamburg.
Eine gute halbe Stunde später steige ich an der Overground-Station „Norwood Junction“ aus und nach wenigen Blicken wird klar, dass ich mich dort befinde, was man bei Crystal Palace mit „South London And Proud“ übersetzt. Obwohl noch knapp zwei Stunden bis zum Anpfiff verbleiben, platzen die Pubs in Stadionnähe – in denen gegnerische Fans übrigens nicht erwünscht sind – aus allen Nähten. Portraits von Palace-Spielern – z.B. Max Meyer – hängen an jeder Straßenlaterne, was den Pfad vom Bahnhof Richtung Stadion zum Spalier macht. Etwa zehn Minuten spaziert man durch eine übersichtliche, gutbürgerliche Gegend, irgendwann hört man an den Straßenecken schon die Rufe der Programmheft-Verkäufer – wie auf dem Hamburger Fischmarkt. Und dann steht sie da, unmittelbar vor einer abfallenden Straße: Die überdimensionale Tribüne mit dem gewölbten Dach, die dem Selhurst Park ihren Charakter verleiht. Eine Pikanterie an dem Bau: Bei der eben beschriebenen Tribüne handelt es sich – im Gegensatz zum restlichen Stadion – um einen Neubau aus den 90er-Jahren. Halbrunde Fenster und rote Klinker knüpfen aber nahtlos an den britischen Style an, den man mit der Stadion-Architektur auf der Insel in Verbindung bringt. Der Rest des Selhurst Parks ist eng, flach und alt.
Bis zum Anstoß verbleibt immer noch über eine Stunde. Also sehe ich mich rund um das Stadion etwas um. Mein E-Ticket tausche ich in eine Papier-Variante um. Das kostet natürlich 3 Pfund extra. Willkommen in der Premier League. Vor der Tribüne steht ein Mann mit einem prächtigen Seeadler auf dem Arm für Fotos parat – der Wappenvogel des Vereins. Außerdem gibt es eine „Fan Zone“, dort erhält man nur mit gültigem Ticket für das Spiel Einlass. Auf Leinwänden sieht man vergangene CPFC-Spiele, zur Auswahl stehen außerdem allerlei alkoholische Getränke zu salzigen Preisen (5,50 Pfund für die Flasche Bier). Und es gibt einen Container, in dem Palace-Merch verkauft wird. In den offiziellen Fanshop hatte man mich zuvor nicht reingelassen, weil ich eine Wasserflasche mit mir führte. Freundlich, aber bestimmt: Die Atmosphäre um und im Stadion kommt reglementiert und eher verhalten rüber und nicht ganz so derb, wie man es aus dem Mutterland des Fußballs gewohnt ist. Mit meinem Ticket passiere ich letztlich irgendwann das Drehkreuz und dort wirkt die Szenerie deutlich charmanter: Enge Ein- und Aufgänge, schmaler Vorplatz, krumme Flure, schiefe Toiletten. Auch wenn sich baulich alles in einem guten Zustand befindet – man merkt, ich bin auf der alten Satteldach-Tribüne gelandet.
„FOLKLORE? FEHLANZEIGE“
Die Bestuhlung auf der alten Tribüne ist neu, sehr eng und es gibt kaum freie Plätze. Ansonsten fällt eigentlich nur auf, dass vor der Partie nicht viel „Folklore“ herrscht. Zwar wird irgendeine beliebige Vereinshymne abgespielt, aber die obligatorisch-britische 80er-Jahre-Indie-Mucke und den dazugehörigen Männerchor auf den Rängen, hört man im Selhurst Park nicht. Stattdessen gibt es auf CPFC-Seite organisierten Support, was in England selten bis gar nicht vorkommt. Im Zentrum der eingangs beschriebenen Hintertortribüne zeigt sich ein kleiner Fan-Mob in Casual-Klamotten, mit Fahnen und Schals. Mit der Ultra-Bewegung, wie man sie aus Deutschland kennt, hat der Haufen nichts zu tun. Wenn gleich die Gruppe Ursprung einiger Gesänge ist, die fortan durch das Rund wabern. Stimmungsvollen Eindruck hinterlässt das Stadion nur, wenn das Publikum geschlossen und spielbezogen reagiert und ein paar Chantys durch’s Stadion schmettert.
In England ist das Spiel der Star. Das kann für unvergessliche Momente sorgen. Oder lausige Kicks bleiben durch die Atmosphäre noch gruseliger in der Erinnerung hängen. In meinem Falle ist die Hoffnung groß: Kleines Derby, voller Gästeblock, beide Teams prächtig in Form – Watford jüngst gar verantwortlich für die erste Saison-Niederlage vom FC Liverpool. Und bei Palace träumt man nach zuletzt zwei Siegen leise von Europa. Die Gäste von der Vicarage Road geben zunächst den Ton an. Der Support bleibt blass, doch technisch fein kombiniert man sich durch die Abwehrreihen, ohne dabei wirklich Zählbares zu produzieren. Bei Crystal Palace bin ich erschrocken über den antiquierten Spielstil – die Trainer-Personalie mag diesen Umstand vermeintlich erklären: Mit dem 72-jährigen Roy Hodgson sitzt der mit Abstand älteste Trainer im englischen Profi-Fußball bei den „Eagles“ auf der Bank. Langer Hafer und kontrollierte Defensive – so kann man den Spielaufbau der Hausherren am ehesten beschreiben. Vorne soll ein Dreigestirn aus international bekannten Stürmern das Ding richten. Doch Jordan Ayew, Wilfried Zaha und Christian Benteke glänzen mit Passstafetten in den leeren Raum – es ist ein Grottenkick.
Aber dann – mitten in die Drangphase der immer mutiger aufspielenden Gäste passiert es: Einmal kommt ein langer Palace-Ball beim Adressaten auf dem Flügel an, findet in Jordan Ayew – dem Sohn von Abedi Pelé – im Zentrum einen Abnehmer und als ich noch denke, dass der Ghanaer einen Haken zu viel schlägt, rummst es im Kasten des 37-jährigen Watford-Keepers Ben Foster! Vorweg genommen: Es bleibt der einzige durchdachte Angriffszug von den „Eagles“ in dieser Begegnung. Für das Spielgeschehen ist das Tor eigentlich Gold wert. Doch die „Hornets“ finden darauf hin gar nicht mehr in das Spiel zurück.
„GULASCH-KUCHEN IN DER HALBZEIT“
In der Halbzeit wechsel ich den Platz. Hatte ich zunächst noch ganz oben regulär auf meinem Plastiksitz neben einem schwerbeleibten, aber sehr sympathischen CPFC-Fan in rosa Hemdmode gesessen, schlage ich mich nun in die erste Reihe vor, um etwas mehr britische Atmosphäre aufzusaugen. In der Pause gibt es zudem standesgemäß „Steak Pie“, das ist der berühmte britische Stadion-Snack, der aussieht wie ein kleiner Kuchen oder Muffin, aber in aller Regel mit Fleisch gefüllt ist. In meinem Fall mit einem Inlet, das man am ehesten mit Rindergulasch vergleichen kann. Gulasch-Kuchen, das gibt’s auch nur in England. Aber keine Bange, so ein Steak-Pie-Küchlein ist bisher noch niemandem im Halse stecken geblieben. Alkohol wird bekanntlich nur im Innenraum ausgeschenkt. Internationale Biersorten oder Weißwein – zu Wucherpreisen bekommt man dort alles.
Nach dem Wiederanpfiff gibt Crystal Palace zunächst pro forma den Ton an. Doch Powerplay sieht anders aus. Eine hochkarätige Chance kreiert man nach einer Ecke, aber Zahas anschließender Fallrückzieher verfehlt das Tor nur knapp. Danach überlässt Palace wieder den Gästen aus der Grafschaft Hertfordshire das Kommando. Freilich ohne dass mal wieder irgendwas Zählbares dabei herausspringt. In meinem Gedächtnisprotokoll habe ich nicht eine einzige Chance für die Gäste in der zweiten Halbzeit notiert. Die Partie lebt allenfalls von der Spannung. Im Gegenzug kommt es zu einigen hoffnungsvollen Konter-Situationen für die Heimelf, die sich aus dieser ergebnistaktischen Situation ergeben – doch jeder Ball in die Spitze verläuft im Sande. Das spielerische Niveau auf beiden Seiten – einfach erschreckend. „Weltklassespieler“ Max Meyer schmort 90 Minuten auf der Bank. Mit seinem Spielvermögen könnte der Ex-Schalker tatsächlich für Lichtblicke bei diesem Gebolze sorgen. Letztlich bleibt es beim 1:0, der Trainer hat mit seiner Aufstellung natürlich alles richtig gemacht und morgen interessiert sich keine Sau mehr für das Zustandekommen dieser drei Punkte. Ab nächster Woche interessiert sich die Welt vorrangig für einen Virus und nicht für die Ergebnisse des letzten Spieltags der Premier League, die an diesem Samstag ganz nüchtern lauteten: 2:1, 1:0, 1:0, 0:1, 1:0, 0:0 und 1:1.
Während sich die Fanmassen schnell im Viertel verteilen, streife ich durch die Straßen in South London, trinke im „Cherry Tree Pub“ ein Bier und sitze irgendwann wieder an der Bahnstation „Shoreditch High Street“. Dort warte ich geschlagene 60 Minuten auf meinen Bus Richtung Flughafen. Um mich herum eine feine Pizzeria, Streetfood, feierlich gekleidete Menschen in Partylaune und gegenüber von der Bushaltestelle ein gut besuchtes Tanzlokal. Für all diese Beobachtungen habe ich genug Zeit, denn ich darf den Bus nicht verpassen und bin an die Wartebank gefesselt. In Stansted angekommen – es nützt alles nichts: Der letzte Bus nach Takeley ist schon abgefahren. Also Kapuze auf und raus in die dunkle englische Nacht. Eine Autobahn-Brücke wird überquert und irgendwann stehe ich von Wind und Wetter gezeichnet vor dem „Four-Ashes“. In der Kneipe gastiert eine Poker-Gesellschaft, aber für eine Take-away-Pizza ist es zum Glück noch nicht zu spät. Für 9 Pfund gibt es bis zu fünf Beläge extra auf der runden Köstlichkeit. Also wähle ich fünf Beläge aus und liege wenig später schmatzend mit meiner Pizza auf dem Hotelbett, gucke Fußball im Fernsehen und lasse den Tag Revue passieren. Das Schönste was es auf der Welt gibt. Heute hat nochmal alles geklappt.
PADERBORN – Ganz genau hatte ich unter der Woche die Ohren gespitzt. Das Thema in den Nachrichten: „Corona“. Das Virus hatte Italien fest im Griff. In der Schweiz wurden bereits alle Veranstaltungen abgesagt und auch Dänemark zog am letzten Februar-Wochenende nach. In Deutschland trat COVID-19 bis dahin nur vereinzelt auf – lediglich dem Kreis Heinsberg wurde von den Medien besondere Beachtung geschenkt. Zu diesem Zeitpunkt dachte man noch, dass das Virus ein regionales Problem ist – und bleiben würde. Ein paar Mal stand ich vor einer Deutschland-Karte und wusste nicht so recht, was ich von der räumliche Entfernung zwischen Heinsberg und Paderborn halten sollte. Sobald es zur vollen Stunde schlug und die Radio-Nachrichten die üblichen Schreckensmeldungen verkündeten, drehte ich die Lautstärke nach oben. Kaum zu glauben, aber wahr: Ab Mitte der Woche wanderten Corona-News nach hinten, das heißt: Das Thema verlor an Wichtigkeit. Und meiner Reise am ersten März-Wochenende stand schließlich nichts mehr im Weg. Bundesliga, Premier League und Oberliga Westfalen, so der Plan.
Ursprünglich wollte ich für dieses Wochenende so viel Geld wie möglich einsparen, das Motto lautete: Low Budget. Doch als sich dann sowohl eine Möglichkeit für das Bundesliga-Spiel am Freitag in Paderborn ergab, als auch einem Premier-League-Spiel in London tags darauf beizuwohnen, konnte ich mich dank der recht hohen Ticket-Preise von dem totalen Minimalismus bald verabschieden. Bei Paderborn bekam man nur Tickets für das Spiel gegen Köln, wenn man bereits Bestandskunde im Online-Shop der Ostwestfalen war. Wie immer wurde ich bei eBay Kleinanzeigen fündig. Das Angebot dort war aber ausgesprochen rar: 27 Euro und damit 10 Euro über dem offiziellen Preis – eigentlich nicht so das Problem. Für einen Stehplatz aber schon ein stolzes Sümmchen, zumal ich die aufgerufene Zahl vom Schwarzmarkthändler noch drücken konnte. Das Premier-League-Ticket für den doppelten Preis, schien da schon eher eine Belastung für das Budget zu werden.
Um trotzdem an einem Minimalismus-Gedanken festzuhalten, probierte ich es als Fahrer mal bei bei „Blablacar“ aus – und siehe da: Junge Frauen rissen sich darum, mit mir zusammen in den Westen zu fahren! Sowohl auf der Hin- als auf der Rücktour, hatte ich nette und gesprächige Begleiterinnen an Bord. Alle waren sie jünger als ich, vermutlich in der 20ern. Kurioserweise hörten zumindest zwei von ihnen auf Namen, die auch in den 20ern beliebt waren – in den 1920er-Jahren: Beate und Ilona.
Im Dauerregen geht es nach Paderborn. Auf meine Frage zu Beate, ob sich ein Abstecher in das Zentrum der Stadt lohne, vernehme ich leises Gekicher. Die junge Frau stammt aus Bad Driburg und kennt sich aus. Da ich mich nach Ankunft noch um ein paar andere Dinge kümmern muss, erledigt sich eine Sightseeing-Tour durch Paderborn mangels Zeit ohnehin schnell. Ich glaube, das ist nicht weiter tragisch. Die Stadt wird ja nicht umsonst „Paderboring“ genannt. Und der erste Eindruck bestätigt das eindrucksvoll – Regengrau und Ostwind beflügeln die Fantasie auch nicht gerade. Aber ich werde das gerne nochmal nachholen – wenn über Paderborn und dem Rest der Welt wieder die Sonne scheint.
„Die erste Corona-Paranoia?“
Vor dem Spiel gab man mir einen Parkplatz-Tipp: Vom Nixdorf-Betriebsgelände fahren Shuttle-Busse zum Stadion. Im Bus steht man eng an eng. Die Stimmung ist gediegen. Ich habe das Gefühl, so wirklich glücklich wirken die Fahrgäste bei der körperlichen Nähe in diesen Zeiten nicht. Die erste Corona-Paranoia? Im Bus kommt trotzdem bei weitem keine Platzangst auf. Nach fünfminütiger Fahrt erreicht man die „Benteler“-Arena, die auf der grünen Wiese steht, im Dunkeln mit blauer Beleuchtung aber einen schicken Fixpunkt liefert. Das Stadion ist eine kleine Fertigbau-Arena, heute nichts Besonderes mehr. Das heißt: Langweilig, aber mit dem Komfort der Neuzeit. Im Stadion fällt auf, dass man die Tribünen nur durch innenliegende Treppen erreicht und das Spiel so aus einer erhöhten Position verfolgen kann. Die Zäune um das Spielfeld unten sind abgeklebt, ähnlich wie oft in Holland der Fall. Durch die hohen Stadionwände wirkt der Ort viel größer als er eigentlich ist. Warum nicht? Negativ bleibt mir die SCP-Behausung irgendwie nicht in Erinnerung. Auf Seiten der Haupttribüne wird das Stadion zur Zeit (von außen) etwas umgebaut.
Als Aufsteiger belegt der SCP aktuell den letzten Platz. Das konnte man erwarten. Dennoch stellt die Truppe von Steffen Baumgart eine Bereicherung für die Liga dar. Denn bei dem offensiven Spielstil kommt keine Langeweile auf und so feierte der Aufsteiger zuletzt einige Achtungserfolge – beispielweise verlor man das Spiel bei den Bayern vierzehn Tage zuvor erst in letzter Minute. Auch Köln in bestechend starker Form: Unter Neu-Trainer Markus Gisdol mit drei Siegen in Folge und damit weit weg von den Abstiegsrängen. Die Paderborner bilden auf ihrer Stehplatztribüne, die nach dem Möbelhaus-Patriarchen Wilfried Finke benannt ist, zunächst gar keine schlechte Einheit. Die etwas schrullige Vereinshymne wird durch die Bank weg mitgesungen. Eine kleine Ultra-Gruppierung, die nicht viel auf die Reihe kriegt und mit Bässen aus dem Ghettoblaster die Kurve desorganisiert, zerstört in der Folge aber Hoffnungen auf einen einheitlichen Support der heimischen Fans. Der Kölner Auswärtsblock ist pickepackevoll. Mit Doppelhaltern in beeindruckender Zahl und etwas Pyrotechnik, zelebrieren die Domstädter ein schönes Intro. Auf beiden Seiten wird im Laufe der Partie halbherzige Kritik an Dietmar Hopp geübt, der an diesen unbesorgten Tagen Anfang März überall im Fadenkreuz der Fans steht, weil u.a. in Sinsheim bekanntlich ein Spiel gegen die Bayern nach Fan-Kritik am Hoffenheimer Mäzen unterbrochen wurde. Highlight ist in diesem Zusammenhang ganz klar der Wechselgesang zwischen Paderborn und Köln Mitte der zweiten Halbzeit: „Scheiß DFB!“.
Das Spiel kommt schwer in die Gänge, aber schon bald zeichnet sich etwas ab: Die Hausherren haben nicht ihren besten Tag erwischt. Die Baumgart-Elf greift den Gegner früh an, kommt zu einigen Ballgewinnen, agiert im Spiel nach vorne aber viel zu ungenau. Was wiederum zu Ballverlusten und unverhofften Umschalt-Situationen für Köln führt. Irgendwann agiert Paderborn verunsichert und der FC hat den SCP „ausgelesen“. Geschickt wird der Gegner aus der Reserve gelockt, die Rheinländer nutzen die naive, fehlende taktische Flexibilität des Aufsteigers und den dargebotenen Raum für dominantes Vorwärtsspiel. Dennoch benötigt die Geißbock-Elf erst einen Eckball für die Führung: Jorge Meré trifft abseitsverdächtig, doch völlig regelkonform in die Maschen. In Folge einer Konter-Situation schließt DFB-Verteidiger Jonas Hector wenig später einen gekonnten Offensivspielzug mit einem sehr sehenswerten Schuss in den Giebel ab. Das wird schwer für die flinken, aber wirkungslosen Paderborner.
Natürlich kommt die Heimelf nach der Pause motiviert auf den Rasen zurück. Doch ansehnlichen Fußball bringt man nichts auf’s Grün. Das gilt allerdings auch für die Kölner, die offensiv gar nicht mehr am Spiel teilnehmen. Mit beherzten Zweikämpfen und dem Willen eines Außenseiters, kämpft sich der Aufsteiger dennoch in die Partie zurück. Und spätestens nachdem Dennis Srbny per Kopf zum Anschluss trifft, entwickelt sich ein spannendes und rasantes Spiel. Köln verpasst in Person von Anthony Modeste die Vorentscheidung: Der Franzose tanzt zunächst Leopold Zingerle aus, kriegt den Ball aber nicht im leeren Tor unter. Paderborn ist definitiv am Drücker, kurz vor Schluss landet ein fulminanter Distanzschuss nur an der Latte – am Ende soll es nicht sein. Ein Unentschieden wäre verdient gewesen und trotzdem geht der Kölner Sieg auch irgendwie in Ordnung. Komisches Spiel, aber der SCP ist irgendwie auch ein besonderer Aufsteiger.
Die Fahrt zurück zum Parkplatz gelingt gleich mit dem ersten Bus und nicht mal 20 Minuten nach dem Abpfiff dieses Bundesliga-Spiels, fahre ich schon wieder auf der Autobahn meiner Unterkunft in Dortmund-Sölde entgegen. Für ein Bundesliga-Stadion war das leichte, bekömmliche Kost. Doch bei Paderborn weiß man nie – vielleicht wird der Ground ja irgendwann wieder für eine mögliche Komplettierung der Regionalliga West interessant? Und dann steht die „Benteler“-Arena lässig gekreuzt mit einem Bundesliga-Spiel in meiner Statistik. Noch dazu mit dem letzten Heimspiel vor Zuschauern – für eine sehr lange Zeit.
CINISELLO BALSAMO – Schon früh morgens geht es per auto mobile durch beträchtlichen Nebel auf einer mautpflichtigen, fast menschenleeren Autobahn der italienischen Metropole Mailand entgegen. Fußball im Jahre 2020: Das ist der Videobeweis, Lars Windhorst in Berlin oder eine Fußballmannschaft aus Leipzig in der Spitzengruppe der, nun ja, Regionalliga Nordost. Fußball in den 20er-Jahren, das heißt aber auch: Immer am Ball mit mobilem Internet. Dank der Handy-App „Tuttocampo“ ist es kein Problem, unterwegs mit ein paar Handgriffen ein Vormittagsspiel im Raum Mailand herauszusuchen. Dass es mit dem Verein US Pio IX Speranza aus dem Vorort Cinisello Balsamo den Tabellenletzten der letzten italienischen Liga trifft – who cares? Alles halb so wild: Als die Stadtgrenze von Mailand passiert wird, schält sich die Sonne aus dem Nebelnest und hellt den Norden Mailands mit schönstem Vor-Frühlingswetter auf.
In Cinisello Balsamo ist die Welt sonntags um 10 Uhr morgens noch in Ordnung. Der Sportplatz befindet sich direkt im Zentrum der kleinen Stadt – nebenan schlägt der Kirchturm zur vollen Stunde und auf dem Marktplatz herrscht reges Treiben. Dort gastiert um diese Zeit ein Flohmarkt, auf dem auch Merchandise aus der Blütezeit des italienischen Fußballs feil geboten wird. Eine Fan-Zeitschrift vom AC Mailand aus dem Jahre 1989, mit Marco van Basten auf dem Titelbild, wird den Verkäufern abgeluchst. In der Zeitschrift „Forza Milan!“ sind auch Fotos von Carlo Ancelottis (inszeniertem) dreißigsten Geburtstag zu finden. Die 3 Euro haben sich gelohnt. Kurz einen alten Mann auf dem Marktplatz nach „Calcio?“ gefragt und einen Fingerzeig später steht man auf dem Gelände des Neuntligisten. Eintritt wird nicht erhoben und die Verpflegung müssen die Kioske auf dem nahen Marktplatz übernehmen. Es gibt eine kleine Stehplatztribüne aus Beton und der Platz ist eingezäunt.
EINBEINIGE SCHIEDSRICHTER AUF „ITALIENISCHEM GRAND“
Es dauert bis die Mannschaften auf den Rasen gekrochen kommen und ein kahl geschorener Schiedsrichter die Partie schließlich mit rund zehn Minuten Verspätung anpfeifen kann. Der Platz verfügt nur über ein paar Grashalme – hier wächst gar nichts mehr, so trocken und abgetreten ist der Untergrund. Klarer Fall von: „Italienischem Grand“. Der Schiri hinterlässt einen sehr engagierten Eindruck. Mit Verve zückt er jede Gelbe Karte und gestikuliert im Laufe des Spiels das ein oder andere Mal herum wie ein Dirigent. Was die Linienrichter betrifft, so hat man allerdings das letzte Aufgebot in die Terza Categoria geschickt. Der Assistent auf der anderen Seite fällt mit einer Gehbehinderung auf und bewegt sich nicht von der Stelle. Trotzdem wedelt er – wenn’s Not tut – munter mit seinem Fähnchen herum. Während Speranza das Tabellenende ziert, spielen die Gäste in ihren grünen Trikots oben mit. Das wird in der Praxis auch schnell sichtbar: Die erste Halbzeit entwickelt sich zu einem munteren Spielchen mit zwei wunderbaren Toren für den Favoriten. Ein Lupfer über den Torwart und ein artistischer Flugkopfball kurz vor dem Pausenpfiff, finden den Weg über die Torlinie. Grande Calcio.
Im zweiten Abschnitt passiert allerdings nicht mehr allzu viel. Der Heimmannschaft fehlt die rechte Idee, doch noch zum Anschlusstreffer zu kommen und Dugnano hat seine Schuldigkeit mit den beiden Toren schon getan. Die Spielerfrauen auf der Tribüne haben wichtigere Themen zu bequatschen, Bambini pinseln mit Straßenmalkreide ihr eigenes Spielfeld auf den Vorplatz-Asphalt. Zwei Platzverweise für die Gäste täuschen nicht über die technischen Mängel im Spiel von Speranza hinweg. Die Theatralik und Hingabe wie gegen die Schiedsrichter-Entscheidungen protestiert wird, erweckt nicht zuletzt dank prominenter Vorbilder aus dem Stiefelland den Eindruck, es handele sich beim Lamentieren um eine Volkssportart. In der üppigen Nachspielzeit stolpern sich die Stürmer beider Teams durch die gegnerischen Spielhälften – und dann ist irgendwann Schluss. Es bleibt beim 0:2 – wie hätte das Spiel an so einem Datum auch sonst ausgehen sollen?
ROSTOCK – Das Eröffnungsspiel der Drittliga-Rückrunde unter Flutlicht schien mir sehr geeignet für das erste Fußballspiel des neuen Jahres. Und der erste Eindruck bestätigt meine Ahnung: Gewusel, Aufregung. Menschenmassen, überall.
Und Schlange-Stehen. Hunderte Leute an den Kassenhäuschen. Komischerweise aber nur an der Abholkasse. Blöd gelaufen für die Generation Frühbucher. Beim freien Ticket-Verkauf sieht man höchstens ein Dutzend Wartende am Ticketfenster und zum Glück halte ich nach fünf Minuten eine 25-Euro-Karte für die Osttribüne in der Hand. Denn das gleiche Spiel setzt sich an den Stadiontoren fort: „Schlangestehen verrät nicht Mängel, sondern Sehnsucht nach Qualität“. So oder so ähnlich lautete mal die Schlagzeile eines SED-protegierten ZEIT-Artikels über die Zustände der ehemaligen DDR. Ich lass das mal so stehen.
Denn Qualität wurde von dem Aufeinandertreffen zweier ehemaliger DDR-Oberliga-Rivalen natürlich erwartet. Auf dem Rasen – und auf den Tribünen. Auch wenn es bereits vor Spielbeginn auf dem Treppenaufgängen zum Stadion rassige Schmähgesänge gegen „Chemie Halle“ hagelt – mit dem Anpfiff bleibt es zunächst recht ruhig. Nur der kleine Haufen Gästefans – vielleicht 300 bis 400 Hallenser – ehrt einem verstorbenen Fan. Dazu eine rote Bengalfackel. Die Hansa-Crowd auf der Südtribüne kontert dieses Intro lediglich mit zwei Böllern, die in die Pufferzone geworfen werden.
Akzente werden in den ersten 45 Minuten eher auf dem Rasen gesetzt, wo Rostock jeden Zweikampf annimmt, herausgespielte Chancen aber leichtfertig vergibt. Halle kommt zurück ins Spiel und während der erste Abschnitt ausklingt, ist die Führung für die physisch starken Gäste eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Doch es geht torlos in die Kabine. In der Halbzeit wieder Altbekanntes: Schlange-Stehen. Für die Bratwurst. Nach mindestens 16 Minuten habe ich ein gut gewürztes, aber lasch gebratenes Fleischerzeugnis in der Hand und flugs geht es zurück auf die Tribüne. Gerade noch rechtzeitig, denn die Hanseaten haben ihre Silvester-Restposten mit ins Stadion geschmuggelt. Auf der Südtribüne gibt es eine Wunderkerzen-Choreo, kurze Zeit später sorgt eine Raketen-Gala hinter dem Stadion für eine verwunschene Atmosphäre und hellt den trüben Rostocker Nachthimmel auf. Na siehste, geht doch!
Nach dem Spektakel auf den Rängen, ziehen auch die Profis auf dem Rasen nach. Hansa lässt einfach nicht locker und ein sehr wendiger Spieler mit dem Namen Aaron Opoku holt sich die Kugel im Nachsetzen an der Mittellinie. Dann geht es schnell und diesmal ist es kein Haken zu viel: Korbinian Vollmann trifft satt in die Maschen, nachdem er sich hakenschlagend im Strafraum durchgetrickst hat. Ausgerechnet Vollmann, der zuvor viele falsche Entscheidungen traf und direkt nach dem Tor ausgewechselt wird.
Das Stadion explodiert! Ja, ja, und nochmal ja: Fußball braucht Tore! Ohne Treffer hätte das hier heute wie ein Eintopf ohne Fleischeinlage geschmeckt. Herzerwärmend, aber auch schnell verdaut Halle – nah dran an den Aufstiegsplätzen – startet zunächst wütende Gegenangriffe, doch nach fünf Minuten ist die Luft raus. Das Spiel hat seinen Höhepunkt überschritten und Rostock fährt einen verdienten, wenn auch knappen Sieg ein.
Die Mischung aus Leidenschaft und schroffem Auftreten birgt Begeisterungspotential. Nicht ganz 17.000 Zuschauer tragen ihre Elf an diesem diesigen Freitag-Abend in der Rostocker Nebelsuppe zum Sieg, aber unter dem Blechdach entfalten sie die Kraft von 70.000 Zuschauern. Und zumindest heute war auch ich einer von ihnen.
SAINT-NICOLAS – Ich fahre mit dem Auto einmal quer durch Lüttich. Eben noch rheinischer Singsang in Aachen und nicht mal eine halbe Stunde später bewegt man sich in einem ganz anderen Kulturkreis. Sicher, die Stadt ist aschgrau, aber – nicht zuletzt mit der reißenden Maas im Stadtbild – irgendwie auch wieder authentisch. Nächstes Mal steige ich auch aus, jetzt muss ich aber erstmal weiter nach Tilleur, einem Stadtteil von Saint-Nicolas, das in den Ardennen-Ausläufern über Lüttich thront. Zwischendurch, auf den fast serpentinenartigen Straßen, hat man einen wunderbaren Blick auf die eben genannte belgische Großstadt. Ich halte sogar an, um von dem Panorama ein Foto zu machen. Wer hätte das gedacht – im Zentrum der belgischen Schwerindustrie? In Tilleur angekommen, verbleiben nicht mal mehr 20 Minuten bis zum Anpfiff. Das Stadion bettet sich in eine Hügellandschaft und als ich eine Anhöhe zum „Stade du Buraufosse“ hochfahre und schließlich aussteige, höre ich schon das französische Kauderwelsch vom Stadionsprecher durch die Straßen scheppern. Jetzt aber nichts wie hin!
Doch zwischendrin muss ich ein paar Mal stoppen. Von der Straße, gewissermaßen von oben, kann man in den Ort des Geschehens hineinblicken und das lässt die Vorfreude steigen. Vierte Liga, Vorort von Lüttich. Da denkt man sich nichts bei. Doch der RFC Tilleur und seine Spielstätte, wäre allein einen Besuch in der Wallonie wert! Allein die Aussicht über den Ort und das stählerne Eisenbahnviadukt hinter der Gegengerade – wow! An zwei völlig verschiedenen, übertrieben-große Tribünen bleiben die Blicke hängen. Und dann ist da noch die brachliegende, steile und total verwitterte Hintertorseite. Die ganze Anlage wirkt einfach nur total ursprünglich, authentisch, cool, verschlafen, abgefahren, lässig. Das absolute Gegenteil von den minimalistischen Sportplätzen, die heutzutage überall gebaut werden. Das ist einfach Amateurfußball mit Herz und Historie – und keine gnadenlose Effizienz in jeder Betonritze. Ob man in Tilleur irgendwann mal höherklassig gespielt hat, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Aber ein paar Aufkleber im Stadion zeugen schon davon, dass hier hin und wieder auch mal supportet wird und immerhin ist man auf der vierten Liga-Ebene ja gar nicht so weit vom professionellen Sport entfernt.
Es sind auch die kleinen Details, mit denen der Ort punktet. Angefangen von uralten Urinal-Anlagen bis hin zu achtlos weggeworfenen Zigarrenstummeln. Aber selbst wenn man alles aufzählt, die Stimmung, die das „Stade du Buraufosse“ transportiert, kann man nicht vollends einfangen. Die andere Hintertorseite wurde zu einer Art „Lounge“ ausgebaut. Dort gibt es verglaste Sicht auf das Spielgeschehen und reichlich Getränke. In das Haus darf jeder Besucher rein, auf einem der Stühle Platz nehmen und bei angenehmen Temperaturen das Spiel verfolgen. Einen Aufpreis muss man dafür nicht zahlen und auch diese Räumlichkeiten haben schon einige Jahre auf dem Buckel. Für mich kommt das natürlich nicht in Frage. Den ersten Abschnitt sehe ich ganz entspannt von der Sitzplatztribüne. Nachdem die Akteure mit Dutzenden aufgeregten Kindern einmarschieren, geht es auf dem Rasen gleich zur Sache. Tilleur führt nach einem platzierten Schuss von der Strafraumgrenze etwas überraschend mit 1:0. Meux ist Tabellenzweiter, der Gastgeber im „unteren Niemandsland“ der Tabelle unterwegs. Wenig später gleichen die Gäste in ihren giftgrünen Trikots den Spielstand aus. Das Tor – fast eine Dublette von der Gegenseite. Als der Pausenpfiff ertönt, liegt Meux dann sogar in Front. Mit fortlaufender Spieldauer konnte man mehr und mehr die Kontrolle über die Begegnung gewinnen. Die Partie sprüht vor Spielwitz und tödlichen Pässen. Chancenwucher und Torwartparaden hüben wie drüben. Ein hervorragendes Spiel in der vierten Liga.
Das Publikum wirkt eher gesetzt, aber es sind zahlreiche Kinder im Stadion, die zwischen den Sitzreihen herumtollen. Ich hab’s mir auf dem hinteren Teil der Tribüne gemütlich gemacht, wo sich fast keine Menschenseele verirrt. Außer der Dorftrottel, der mit einer Buddel Wein in der Hand Selbstgespräche führt und immer wieder laute Rülpsgeräusche von sich gibt, mich aber in Ruhe lässt. Vielleicht schauen sich 250 bis 300 Zuschauer mit mir zusammen das Spiel an. Schwierig zu beurteilen, da das Stadion einfach überdimensioniert ist und sich einige Leute bei den niedrigen Temperaturen ins Häuschen verkrochen haben. Der überzogene Eintrittspreis von 12 Euro, mag auch etwas abschrecken. Doch mit der Akustik unter dem Blechdach der großen Sitzplatztribüne, können selbst 200 Fans ein bisschen Stimmung machen.
In der Pause gibt es – standesgemäß – eine große Portion Fritten, von der ich bis zum Abend werde zehren können. Ich bestelle mir mein Essen auf Französisch und bin auch ein bisschen stolz darauf, dass niemandem bei der Bestellung auffällt, dass ich offensichtlich fremd hier bin. Der schnauzbärtige Imbisswirt gibt sich wirklich Mühe, die Bestellungen rasch abzuarbeiten, trotzdem muss ich fast 10 Minuten warten. Als die Spieler einlaufen, habe ich meinen Snack endlich in der Hand und wandere in der zweiten Halbzeit auf die Gegengerade, die über einen Gästekäfig verfügt und sonst nur Stufen zum Stehen anbietet. Auf der Tribüne, wo vielleicht einige Tausend Leute raufpassen, stehen wir gerade mal zu dritt. Nach anfänglicher Überlegenheit der Gäste, kontert sich Tilleur ins Spiel zurück und erzielt nach schnellem Spiel den Ausgleich. Anschließend vergibt man sogar noch Siegchancen, aber auch Meux hat den Dreier einige Male auf dem Fuß. An der Seitenlinie pöbelt es das ein oder andere Mal auf Französisch und auch die zwei wackeren Senioren neben mir auf der Tribüne, legen sich mächtig ins Zeug. Beide Trainer werden schließlich ermahnt – doch auf dem Platz bleibt es bei dem gerechten Remis. Amateurfußball in Wallonien – Magnifique!
HAMBURG – Innerlich schon auf Weihnachten getrimmt, kam der Tag, an dem ich einfach mal zu Hause bleiben wollte. Ein Freitag im Dezember, das Quecksilber nähert sich dem Minusbereich und genussvoll registriere ich, wie ein Pokalspiel nach dem anderen in Hamburg abgesagt wird. Nur eine Begegnung ist standhaft: Harburg gegen Sasel. Bei dem Wetter würde die Partie eh auf der schmucklosen Anlage an der Baererstraße ausgetragen werden, wo ich vor kurzem unter der Woche ja sogar mal aufgeschlagen bin, so meine Vermutung. Aber nein, beim Veranstaltungsort beharrt der HSC auf den „Sportplatz Rabenstein“. Tatsächlich stelle ich Nachforschungen an. Wie gesagt, nicht mal ein Großfeuer würde mich heute aus dem Haus locken. Aber man kann ja mal schauen, wo der Fehler liegt. Der Fehler liegt eindeutig im System. Denn auf der Facebook-Seite vom HSC werde ich fündig. Dort wird das letzte Spiel auf Naturrasen in der historischen Sportstätte am Rabenstein angekündigt. Offiziell. Vom Verein! Auch am Hölscherweg wird man Matsch und Gras gegen Kunstrasen und Plastikgranulat tauschen. Für Puristen ein Graus. Also ab dafür!
Anschließend muss ich mich zu Hause erklären und es gibt wieder mal ein paar lange Gesichter. Aber nur kurz und nicht bei mir. Wenig später sitze in einem ziemlich alten, schwarzen Kombi deutschen Fabrikats und fahre einmal quer durch Hamburg-Harburg. Als ich die Anlage betrete, verschlägt es mir die Sprache. Ein richtig feines Teil, das ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. In den 70er-Jahren fusionierten die Traditionsvereine Rasensport Harburg und Borussia zum Harburger SC. Abgesehen von ein paar Spielzeiten in der höchsten HFV-Spielklasse in den ersten Jahren der Neugründung, muss man die sportlichen Erfolge nach dem Zusammenschluss eher mit der Lupe suchen. Die beste Zeit im Harburger Fußball repräsentierte der Vorgängerverein „Raspo“ in der damals zweitklassigen Regionalliga Nord in den 60er-Jahren. Und genau aus dieser Zeit zeugt der „Rabenstein“. Der ganze Platz wird im Oval von verwitterten Stufen umzogen. Alles schief und krumm, die Stufen teilweise mit Backsteinen verstärkt. Ein uralter Umlauf, ebenfalls mit ganz viel Patina. Highlight und Eyecatcher ist eine Kiefer, die in einer Kurve aus den Stufen emporschießt. Außerdem stehen überall vereinzelt Bänke auf den Ebenen und auf der Längsseite zwischen den Trainerbänken hat irgendjemand mal Sitzschalen auf Holzbretter geschraubt. Natürlich hat man das Flutlicht angeknipst. Bei diesem Anblick hätte ich es wirklich sehr bereut, wenn ich in meinem warmen Zuhause in den Ofen geschaut und mit meiner Frau gemeinsam auf dem Sofa einen gemütlichen Abend verlebt hätte. Oder irgendwie so.
Immerhin: Zum Anpfiff regnet es nicht. Der Platz ist natürlich gut im Eimer. Aber egal, wird ja eh nächstes Jahr ausgekoffert. Bespielbar ist das Geläuf trotzdem. Der HSC aus der Bezirksliga hat es mit diesem Spiel – guck an – in das Achtelfinale des Landespokals geschafft und empfängt heute den TSV Sasel aus der höchsten Verbandsspielklasse. Die Ost-Hamburger kicken seit dem Aufstieg in die Oberliga in selbiger auch in schöner Regelmäßigkeit um die Spitze mit und überzeugen Jahr für Jahr mit einer griffigen, flinken, willigen Mannschaft. So naiv, von einer Pokalüberraschung am Rabenstein zu träumen, ist hier heute keiner. Nicht mal der Blick in das romantische Rund stachelt zu derartigen Gedankengängen an. Wenigstens hält der Außenseiter ganz gut dagegen und bewahrt rund 20 Minuten eine weiße Weste. Sasel dominiert das Geschehen, spielt seine Vorteile aber auch nicht brutal aus. In der zweiten Hälfte purzeln dann doch noch einige Tore. Auch zwei, drei sehr sehenswerte Treffer sind zu bestaunen, unter anderem eine Direktabnahme in Form einer Bogenlampe gut 25 Meter vor dem Tor.
Vor dem Anpfiff treffe ich mal wieder Niels vom SV Altengamme. Ich glaube, das dritte Mal hintereinander in Hamburg. Diesmal verquatschen wir fast das ganze Spiel, das allerdings – wie erwähnt – keine großen Überraschungen parat hält. Die größte HSC-Chance kreiert der Außenseiter in der Nachspielzeit, als Stürmerstar Mümin Mus alleine auf den TSV-Keeper zuläuft und vergibt. Niels und ich raufen uns die Haare. Die Begegnung auf und außerhalb des Platzes ist ein Gewinn. Nach dem Abpfiff wärmen wir uns in der gleichnamigen Absturzkneipe „Rabenstein“ auf, in der völlig überdrehte Musik aus einer Stereo-Anlage die Gäste beschallt und das tätowierte Service-Personal hinter’m Tresen seine mitgebrachten Hunde betütert. Ohne Mampf, kein Kampf – ich muss dringend mal was futtern: Pferde-Bockwurst passt irgendwie zu dem rustikalen Platz und der Kneipe. Als ich im Auto sitze und Niels sogar noch nach Hause fahre, rieseln die ersten Schneeflocken des Winters herab und zumindest im Amateurfußball ist jetzt tatsächlich erstmal alles auf Weihnachten getrimmt.
NEETZE – Mal wieder ein Spiel beim Lüneburger SK – mal wieder ein neuer Platz. Immer der historischen „Alten Salzstraße“ entlang, geht es diesmal von Schleswig-Holstein nach Neetze. Ein ziemlich großes Heidedorf, bekannt für seinen Spargel und passenderweise Teil der „Samtgemeinde“ Ostheide – wie es in Niedersachsen immer so schön heißt. Regionalliga auf dem Lande, da wird gerne mit den Augen gerollt. In Neetze ist das aber anders. Fast könnte man beim LSK schon von einer „SG Lüneburger Heide“ sprechen. Oder: Endlich mal wieder was los auf’m Dorf! Da wo der TuS Neetze letztes Jahr noch in der Kreisliga kickte, hat man die Dorfsportanlage regionalligatauglich hergerichtet. Ein Sportplatz mit Potential – und das hat man erkannt: Hanglage, alte und neue Stufenplätze, Vereinsheim mit Blick auf’s Spielfeld, Kioske und erstklassige Versorgung. Regionalliga in Neetze macht Spaß! Auch wenn das Dorf etwa 15km von Lüneburg entfernt liegt. Der LSK konnte seine Zuschauerzahlen dennoch um gut 25% steigern und „auffällig viele Autos mit Uelzener Kennzeichen oder aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg“ seien auf den Parkplätzen rund um das Jahnstadion anzutreffen, wie an diesem Sonntag vor dem Spiel die „Landeszeitung Lüneburg“ zu berichten weiß. Heute strömen über Tausend Zuschauer in das kleine Behelfsstadion am Rande des Spargelfeldes. Das liegt natürlich ebenso an dem guten Saisonstart der Lüneburger. Und am Gegner vom anderen Ende der historischen Salzstraße: VfB Lübeck.
Während die Heidestädter mit altem Trainersgespann in neuer Rollenverteilung – Trainerfuchs und Chefcoach Rainer Zobel rückte für den 40 Jahre jüngeren Qendrim Xhafolli auf den Posten des „Teamchefs“ zurück – und einem historisch-guten Saisonstart ausnahmsweise mal vor einer sorgenfreien Weihnachtsfeier stehen, ist die Lage beim selbsterklärten Meisterschaftsfavoriten aus Lübeck schon etwas verzwickter: Trotz sehr guter Punktausbeute verspielten die Mannen um Rolf Martin Landerl zuletzt einen passablen Vorsprung auf den ärgsten Verfolger aus Wolfsburg, der nach einer Siegesserie mittlerweile die Tabellenspitze übernommen hat. Vor dem ausgefallenen Heimspiel gegen Altona 93 eine Woche zuvor, überrumpelte VfB-Sportdirektor Stefan Schnoor den Trave-Klub mit einem spontanen Rücktritt, nachdem man in einer internen Sitzung zu der Auffassung gekommen war „verschiedene Ansichten über die sportliche Ausrichtung des Vereins zu vertreten“. Unter dem ehemaligen Bundesliga-Spieler hatte man mühelos den endgültigen Sprung in die Riege der Top-Vereine der Liga geschafft, Schnoor verhalf der Truppe mit seinen Personalentscheidungen zu einer Struktur, die sie heute auszeichnet. Und um weiter mit der Junioren-Abteilung der „Wölfe“ Schritt halten und möglicherweise einem Aufstieg ins Auge fassen zu können, benötigt man heute in der Lüneburger Heide unbedingt drei Punkte. Schöne Bescherung.
Für knisternde Vor-Adventsstimmung scheint also gesorgt. Und dann? Nichts. Nach fünfundvierzig Minuten delegiert der Pfeifenmann Akteure und Zuschauer in die Pause. Höchstens die letzten Minuten vor der Halbzeit versprachen Spannung, in denen der VfB eine und der LSK zwei sehr gute Chancen vergaben. Das ändert sich nach dem Kabinengang. Und zwar drastisch. Nur ein paar Augenblicke nach Wiederanpfiff und die Hausherren nutzen per Super-Pass in den freien Raum einen vom Schiedsrichter gewährten Vorteil. Fabio Istefo in der Mitte muss nur noch seinen Schlappen hinhalten. Keine zwei Minuten sind da gespielt. Der VfB ist wütend und wer sonst als der ehemalige Bundesliga-Spieler Ahmet Arslan ist in der Lage für den Ausgleich zu sorgen? Der letztjährige Königstransfer von Stefan Schnoor sorgt mit einem wunderbaren Solo für das postwendende 1:1. Manchmal ist ein Spiel nach so einer kurzen Folge von Höhepunkten schnell beendet. In Neetze fängt der Spaß erst richtig an. Zunächst stößt der Lübecker Yannick Deichmann einen Gegenspieler etwas unnötig hinter der Torauslinie zu Boden – Tumulte bei den Gastgebern. Genau vor den Gästefans. Rudelbildung auf dem Platz, Rudelbildung im Block. Der pickepackevolle Auswärtsblock lässt es sich dabei nicht nehmen, ein Zaunelement zum Einsturz zu bringen. Nichts Neues in den neu errichteten „Gäste-Gefängnissen“ der norddeutschen Regionalliga-Republik. Bereits in Hannover und bei Altona 93 spielten sich ähnliche Szenen im Lübecker Bereich ab. Ein bisschen Rütteln und schon findet man Formulierungen wie diese auf den Websites der Regionalligisten: „Überhitzte Fans stiegen auf die Umzäunung, ein großes Zaunteil wurde herausgerissen. Minutenlange Unterbrechung. Die zahlreich vertretene Polizei in Alarmstimmung“ (Lüneburger SK). Nun ja, die VfB-Fans richten die flattrigen Absperrung von ganz alleine wieder auf. Es postieren sich fortan ein paar Beamte vor dem Block. Regionalliga auf dem Dorf.
Wegen so einem Baumarktzaun im Gästeblock beim Hannoverschen SC, verdonnerte ein NFV-Gericht die Lübecker übrigens zu einem „Seminar zur Gewaltprävention an dem man mit zwei Personen teilzunehmen hat“. Der VfB lehnte ab und muss nun 700 Euro Strafe zahlen. Andere Sache. Die Geschichte des Spiels jedenfalls, ist noch nicht vorbei. Nächstes Kapitel: Elfmeter für die Gäste! Spiel gedreht? Mitnichten. Diesmal ist Arslan der tragische Held und verschießt den Strafstoß – LSK-Keeper Ole Springer kratzt die Kugel mit den Fingerkuppen aus dem rechten, unteren Eck. Doch der VfB-Auftritt nach dem Rückstand hat gesessen. Gäste-Trainer Landerl stellt die Mannschaft auf 3-5-2 um und die Elf zieht Angriffe wie eine spanische Spitzenmannschaft auf: Ständig zirkuliert der Ball in den eigenen Reihen. Trotzdem muss ein wirklich hässliches Tor in Folge einer Ecke für die Führung herhalten. Der Kopfball von Patrick Hobsch – übrigens der Sohnemann vom Deutschen Meister Bernd Hobsch – wird vermutlich kurz hinter der Linie von einem Lüneburger geklärt. Das „Hawk-Eye“ sucht man in dieser Spielklasse vergebens. Und bei dem trüben Wetter nützen auch die besten Adleraugen nichts. Lübeck dreht die Partie – diesmal benehmen sich die Heimfans daneben und bewerfen den Linienrichter mit einem Bierbecher. Der kleine Haufen LSK-Fans erweckt auch sonst eher den Eindruck, als wenn er in seiner Freizeit arglose Personen mit alkoholischen Getränken bewirft. In der Nachspielzeit krönt der starke Deichmann seine Leistung und erzielt mit einem abgefälschten Schuss das Endergebnis. Das Spiel trudelt sich aus. Abpfiff: Die Zuschauer strömen zurück in den Ort aus dem sie gekommen sind oder auf die Kuhweide, wo die auswärtigen Autos parken. Der düstere November-Tag ist mit Einsetzen der Dämmerung abrupt beendet. Für heute hat das Dorf genug gesehen.
PAMPOW – Da man wohl nur nach Pampow fährt, wenn man einen Besuch in der „Gartenwegarena“ plant, wollte ich unbedingt ein Freitagsspiel in dem Schweriner Vorort sehen. Freitagabend ist der Tag schon gelaufen und es kann nur besser werden. Außerdem gibt es im Schweriner Süden eh nicht viel zu gucken, also ab zum Fußball! Zu Gast an diesem diesigen Novembertag die TSG Neustrelitz und somit wartete ein Landesduell in der Oberliga NOFV-Nord auf mich. Wie begeisterungsfähig die Pampower bei solchen Landesduellen sein können, zeigte sich einige Wochen zuvor, als die Zweitvertretung von Hansa Rostock über 1000 Zuschauer in den Gartenweg lockte. Zuletzt verloren sich nur noch 200 bis 300 Seelen auf dem Komplex im Industriegebiet.
Neustrelitz liegt auch noch gute 2 Autostunden von der Landeshauptstadt entfernt. Umso überraschter bin ich, als zehn Minuten vor dem Anpfiff alle Plätze belegt sind. Nicht nur die kleine Tribüne ist ausverkauft, auch an den Umlauf drängen sich die Leute wie die Hühner auf der Stange. In der ersten Halbzeit postiere ich mich daher mit den Händen in der Hosentasche lässig an einer Eckfahne. Das Spiel ist intensiv, Pampow als Aufsteiger überlässt dem ehemaligen Regionalligisten das Feld. Die Hausherren haben aber verdammt schnelle Sturmspitzen in ihren Reihen und spielen sehr körperbetont auf Konter. Der Respekt ist auf beiden Seiten zunächst recht groß, weshalb keine Mannschaft so richtig aus ihrer Deckung will. Kurz vor Ende der Halbzeit schlender ich Richtung Tribüne, ich stehe schon hinter dem Pampower Tor, da gibt es Freistoß für Neustrelitz. Ich bleibe stehen und sehe wie Djibril N’Diaye den Ball irgendwie ins Tor reinwurschtelt. Proteste bei Pampow, aber jetzt kann das Spiel endlich beginnen.
Der Ground ist offenbar recht neu und modern. Bis auf die kleine, schöne Tribüne, die nach einer Apotheke benannt ist, gibt es allerdings irgendwie kaum was Erwähnenswertes. Eine Anzeigetafel, hübsche Imbisswagen. Joa. Der Ort des Geschehens hinterlässt einen guten Eindruck, vielleicht auch, weil die Veranstaltung gut organisiert ist. Mit wurde vorab die Diversität der Speisekarte am Imbisswagen ans Herz gelegt. Aber das stimmt nicht: Es gibt grad mal eine Sorte Wurst, klein und dick und vor dem Anpfiff noch nicht mal „gar“. Allerdings erstaunlich, dass eine Bude und ein Grillmeister es fertig bekommt, letztlich jedem der über 500 Gäste rechtzeitig eine Wurst zu auszuhändigen.
Weiter geht’s mit der zweiten Halbzeit. Und die entwickelt sich genau so, wie ich es mir erhofft habe. Ein trübes Freitagsspiel, Flutlichter, zwei Mannschaften auf Augenhöhe. Pampow mit der Aufstiegs-Euphorie, Neustrelitz der Aufstiegsanwärter. In der Halbzeitpause konnte ich mir doch noch einen Platz an der Stange ergaurnern und stehe nun neben recht fachkundigen Leuten in der ersten Reihe. Der MSV kommt wie verwandelt aus der Kabine und übt Druck aus. Zunächst fällt nach einem überlegten Angriff auf der Gegenseite jedoch das schnelle 0:2. Ein Einwechselspieler mit dem Namen Schnabl reißt das Ruder jedoch schnell um und hebt mit seinen Dribblings das Publikum aus den Sitzen. Seinem Einsatz ist eine Ecke zu verdanken, die bei einem Spieler an der Strafraumgrenze landet und dessen Schuss der bullige Stürmer Johannes Ernst mit der Hacke ins Tor lenkt. Tosender Applaus! Wiederanpfiff. Wieder Dominic Schnabl. Flanke, Dias, Tor. Der Deutsch-Angolaner belohnt sich mit dem Ausgleich für eine blitzsaubere Partie. Fabio Manuel Dias, vor der Saison aus der Regionalliga West vom VfB Homberg gekommen. Den Namen sollte man sich merken.
Wie das immer so ist, Pampow agiert zwar weiter offensiv, aber der ganz große Dampf ist abgelassen. Dennoch vergibt man Siegchancen und das Publikum raunt. Als die Uhr dem Ende entgegentickt, hat sich auch Neustrelitz von dem Schock erholt und versucht nochmal die Pferdchen nach vorne zu treiben. MSV-Keeper Ronny Losereit verdient sich beim Chancen-Vereiteln Bestnoten und wird sogar vom Stadionsprecher per Durchsage geadelt und geehrt. Am Ende steht ein gerechtes Unentschieden, das den jeweiligen Spielphilosophien und sportlichen Leitbildern sicher gerecht wird. Gar nicht vorbildlich, finde ich ja die Böhsen Onkelz. Jedem das Seine. Oder? Für mich heißt es dann jedoch schleunigst Abflug, als der Abend für die restlichen Pampower in der „Gartenwegarena“ mit den musikalischen Ergüssen der „Rockpop“-Band aus Frankfurt ausklingt.
BÖNNINGSTEDT – Nun war es also so weit, nachdem sich der SV Rugenbergen bereits im Vorjahr als einziger weißer Fleck auf meiner Oberliga-Hamburg-Karte hervortat und ein Besuch im Februar an der Witterung scheiterte, wurde nun schon in der Hinrunde Nägel mit Köpfen gemacht. Zuvor galt es noch drei von diesmal fünf Oberliga-Aufsteigern zu kreuzen, das gelang ziemlich mühelos und mit teilweise recht schrulligen Anekdoten. Das was an einem 7. September 2010 bei Victoria Hamburg seinen Anfang genommen hatte, stand heute an diesem sehr milden November-Tag – mehr als 9 Jahre später – vor der Vollendung. Von Rugenbergen – einer grauen Oberliga-Maus – hatte ich bis dahin keine große Meinung. Der Ortsteil von Bönningstedt, einer kleinen Stadt im Landkreis Pinneberg, liegt für mich äußerst ungünstig im Nordwesten der Hamburger Peripherie. Hier war eindeutig niemals der Weg das Ziel.
Umso überraschter bin ich, als ich das Werner-Bornholdt-Sportzentrum betrete. Nach ein paar Minuten steht fest: Im nächsten Leben fahre ich als erstes zum SV Rugenbergen! In Sachen Versorgung: Unangefochtener Spitzenreiter der Oberliga Hamburg! Es gibt bunte Torten, regionales Feinschmecker-Bier vom Fass und natürlich einen Holzkohlegrill mit Bratwurst. Das ist eindeutig der perfekte Rahmen für eine Oberliga-Komplettierung! Das Herz der Anlage schält sich schnell heraus: Eine kleine Tribüne mit Kunstleder-Klappsitzen aus dem Stadion von Heracles Almelo. Das ist kein Scherz. Nico-Jan Hoogma – Sportdirektor bei den Holländern – hat zu HSV-Zeiten neben einem SVR-Funktionär gewohnt, aus dem Kontakt entstand eine Freundschaft. Mehrere Male fuhr die ganze Rugenbergener Mannschaft in die Provinz Overijssel zu Hoogma und Heracles. Als das Stadion des Ehrendivisonärs vor einigen Jahren umgebaut wurde, griff der alte HSV-Spieler zum Hörer und klingelte in Bönningstedt durch. Der SVR könne die luxuriösen, aber ausgedienten VIP-Sitze zum Nulltarif haben. Die rote Bestuhlung landete im Nu im Kreis Pinneberg. Fußball-Geschichten: Die Transportkosten teilte man sich mit dem Nachbarverein SV Halstenbek-Rellingen, der dafür die andere Hälfte der ausrangierten Sitze seinerseits im Jakob-Thode-Sportpark verbauen ließ.
Neben der äußerst komfortablen Sitztribüne fällt der Platz noch durch einige nette Details auf: Krummes Stankett, eine Anzeigetafel nebst Efeu-zugewucherter Remise mit Trecker und Walze, für die Pflege des Naturrasenplatzes. Auf der Längsseite gegenüber der Tribüne erstrecken sich noch ein paar Stufen, die heute – zur Feier des Tages – mit zwei Handvoll Auswärtsfans bestückt sind. Die dritte Mannschaft vom HSV ist dem e.V. untergeordnet und diente vor einigen Jahren als Fluchtpunkt der treuesten HSV-Fans, die nach der Umwandlung in eine AG ein neues zu Hause gesucht hatten und intern fündig wurden. Seitdem wird „Hamburg 3“ immer wieder tatkräftig unterstützt. Vor knapp zwei Jahren wurde ich dieser visuell untermalten Unterstützung bei einem Heimspiel gegen Teutonia gewahr, nach Rugenbergen hat es heute aber nur ein Bruchteil dieser Gruppe geschafft. Warum gerade mal so 100 Zuschauer den SVR Woche für Woche besuchen, bleibt übrigens ein Geheimnis. An den Umständen kann es nicht liegen. Eventuell eine scheiß Gesellschaft, in der wir leben?
Die Rothosen sind noch wegen einer anderen Personalie interessant: Marcell Jansen ist dort als Mittelstürmer mit von der Partie. Der jüngst gewählte Präsident des eingetragenen Vereins und ehemalige Bayern-Spieler hat den Fußball offenbar doch noch lieb. Dritte Mannschaft – unattraktiver Name, aber letztlich eine runde Sache. Gerüchten zu Folge soll HSV-Legende Piotr Trochowski demnächst als Spieler in der Oberliga-Mannschaft folgen. Genug Theorie, wichtig ist auf’m Platz: Dort begegnen sich zwei Mannschaften mit einer offensiven Spiel-Philosophie. Rugenbergen hat sich im Sommer neu aufgestellt: Trainerwechsel, Personal verjüngt, Ansprüche runtergefahren. Die Zeiten haben sich auch in der Oberliga geändert. Und wer was werden will, sucht sein Heil in der Offensive. Ich will der HSV-Truppe nicht zu Nahe treten, immerhin ist man im Sommer ja erneut in die höchste Verbandsspielklasse aufgestiegen. Aber so ein bisschen verbreitet die Truppe von Christian Rahn (auch ein ehemaliger Nationalspieler) den Eindruck einer „Fun-Truppe“. Tatkisch jedenfalls. An komplizierten Defensiv-Konzepten scheint man bei den Rothosen keine Gedanken zu verschwenden, das Auftreten der Mannschaft und die bisherigen Resultate sprechen diese Sprache.
Das Spiel beginnt natürlich mit einem schnellen Tor. 1:0 steht es für den Lokalmatador nach nicht mal zehn Minuten. Der HSV stark unter SVR-Druck, der so massiv ist, dass man sogar die möglichen Kontersituationen verstolpert. Als der Gastgeber immer stärker wird, findet allerdings doch mal eine fein herausgespielte Kombination, die bei Marcell Jansen ihren Ursprung hatte, den Weg ins SVR-Gehäuse. Dennoch geht Rugenbergen mit einem Vorsprung in die Pause und das hochverdient. Im zweiten Abschnitt ein ganz anderes Bild: Hamburg verteidigt das Leder mittels Ballbesitz und spielt sich diverse Chancen heraus. Ein trockener Schuss von der Strafraumgrenze bringt dem HSV den Ausgleich. Planlose Angriffe von Rugenbergen führen anschließend zu gefährlichen Konter-Situationen für die Drittvertretung. Erneut ein feiner Spielzug und diesmal ist tatsächlich Marcell Jansen der Abnehmer! Der Ex-Nationalspieler macht die Schleife drauf und freut sich über den Treffer wie einst in der Bundesliga. Kurz vor Schluss die Entscheidung durch einen Spieler, der durch Körperbemalung auffällt und dessen Verwandtschaft neben mir auf der Tribüne sitzt. Trotzdem kann es nur einen Gewinner heute geben: Der SV Rugenbergen und seine Anlage im Werner-Bornholdt-Sportzentrum an der Ortsgrenze zu Ellerbek.
BÖRNSEN – Zwei Mal ein 2:6-Auswärtssieg in einer Woche – damit können wohl die wenigsten prahlen. Nicht die einzige Parallele, die von diesem Spiel ausging. Bereits auf den Tag genau vor einem Jahr wollte ich dem Dorf am Rande Bergedorfs einen Pokal-Besuch abstatten. Auch damals war ein Oberligist zu Gast. Kein geringerer als die TuS Dassendorf, die übrigens gerade mal zwei Dörfer weiter ihre Heimspiele austrägt. Es schüttete wie aus Eimern, weshalb ich auf einen Besuch an der „Hamfieldroad“ verzichtete. „Dasse“ won 8:0. Ein Jahr war zwischen den beiden Pokal-Begegnungen vergangen, der Regen war geblieben. Doch der Unterschied zu 2018 lag darin, dass sich beim SV Börnsen für dieses Drittrundenspiel zarte Hoffnungen auf ein Weiterkommen entfalteten. Der Gast aus Bönningstedt – am komplett anderen Ende von Hamburg gelegen – krebst im Abstiegssumpf der Oberliga herum. Und Börnsen startete mit einem 18:0-Auswärtssieg bei der DJK Hamburg in diesen Wettbewerb. Diese Erstrunden-Partie um 10:00 Uhr morgens am Horner Kreisel war die torreichste Partie, der ich jemals beiwohnen durfte. So schließt sich der Kreis.
Der Ground bietet neben Flutlicht und Anzeigetafel ein paar Stufen auf der Längsseite und erhöhte Sicht von einem Plateau am Funktionsgebäude. Das Highlight am Vereinsheim ist sicherlich „Marinas Büdchen“, mit Naschi-Tüten und anderen Knabbereien, durch’s schmale Fenster gereicht von einer echten Vereinslegende – Marina. Nebenan sorgt der Grillmeister für krosse Fleischerzeugnisse. Die Currywurst lässt keine Wünsche übrig. Diese ganzen Fußnoten gepaart mit Naturrasen, ergeben definitiv einen recht charmanten Dorfsportplatz.
Noch etwas ist bemerkenswert: Auf der Längsseite sammeln sich nach und nach junge Männer in standesgemäßer Casual-Kleidung ein. Am Ende sind es gut ein Dutzend, irgendwann entrollen sie ein Plakat – und ich bin Augenzeuge der Geburtsstunde der „Börn Ultras“. Ich stehe in der ersten Halbzeit mehr als günstig zwischen den Ultras – die nach dem Wiederanpfiff noch eine Wunderkerzen-Choreo auspacken – und ein paar Edelfans vom SV Rugenbergen. In einem recht ausgeglichenen Spiel nutzt der SVR recht schnell seine individuelle Klasse zum 1:0. Danach lässt der Favorit aber die Zügel schleifen – der Bezirksligist kämpft sich in die Partie zurück! Und wird kurz vor der Halbzeit mit einem berechtigten Elfmeterpfiff belohnt. Nur Sekunden später steht es nach einem Kunstschuss 2:1 für Börnsen. Die „Ultras“ toben und der Außenseiter geht völlig überraschend mit einer Führung in die Kabine! Die Bönningstedter schwören sich bereits einige Minuten vor Wiederanpfiff im Spielerkreis auf die Wende ein – und nach ein paar Augenblicken fällt schon der Ausgleich. Rugenbergen lässt nicht locker und führt nach vermeidbaren Toren schnell mit 4:2. Dann jedoch die nächste vermeintlich spielentscheidende Szene in einem sehr hart geführten Spiel: Rote Karte für den Oberligisten! Ein bisschen Rest-Spannung verbleibt, ehe Bönningstedt in den letzten zehn Minuten die knappe Kiste doch noch in einen Kantersieg umwandelt.
Ein ausgewechselter SVR-Spieler legt sich noch wenig charmant mit dem Publikum an – wie ein Vierbeiner, den man von der Leine gelassen hat. Zweikämpfe mit der Kreissäge, Wunderkerzen, Kettenhunde, Holsten Edel aus der Handgranate – das ist keine Champions League, aber das ist der Fußball den wir lieben.
TODESFELDE – So viel Gutes hatte man über Todesfelde im Vorfeld nicht gehört. Der Verein nennt sich selbst scherzhaft „Deathfield“, der Spitzname ließ auch nicht viel Spielraum für Positives zu. Irgendwie liegt Todesfelde auch im Hamburger Speckgürtel, aber man fährt dann doch eine gute Stunde über Stock und Stein durch den Kreis Segeberg. Immerhin: Die SVT-Mannschaft ist ein Versprechen für das Hier und Jetzt und letztes Jahr als Dritter der Schleswig-Holstein-Liga eingelaufen. Mit viel VfB-Lübeck-Lokalkolorit und einem Gönner im Hintergrund, der auch auf der Lohmühle ein paar Euros springen lässt. Was die vielen Verbindungen zwischen den Vereinen erklärt.
Trotzdem konnte ich diesen Gang nicht mit irgendeinem Kirmesspiel antreten – es musste schon richtig was her. Der heißeste Shit aus der Schleswig-Holstein-Liga war gerade gut genug: Der 1.FC Phönix Lübeck hat sich als Oberliga-Aufsteiger sehr viel Tradition auf die Fahnen geschrieben und doch funkeln auch hier die Euros in den Augen. Phönix ist der Grund, warum SH-Meister Strand 08 so abgestürzt ist. Denn Mäzen Frank Salomon engagiert sich neuerdings beim Tradtitionsverein vom „Flugplatz“ und nicht mehr bei den „Strandpiraten“ aus Timmendorf. Nach einer starken Rückrunde unter gütiger Mithilfe vom Neu-Mäzen, schaffte man den Sprung in die Oberliga und gilt dort als Mitfavorit.
Der Sportplatz liegt am Rande von dem 1000-Einwohner-Dorf und sieht von außen eher unscheinbar aus. Das ändert sich, wenn man ihn einmal betreten hat. Entweder geht es an einem schönen, alten Platz vorbei, der vor der großen Zeit von „JODA Holz“ mal der Hauptplatz war, durch ein paar schöne Details glänzt und auf dem immer noch die zweite Mannschaft kickt. Oder man schlendert durch das Vereinsheim, nebst großer Turnhalle, Richtung Schleswig-Holstein-Liga und stellt fest, dass sich der Sponsor nicht hat lumpen lassen, großzügig in den Breitensport zu investieren. Die Handball-Mannschaft wirft sich die Bälle ebenfalls in der Oberliga zu. Man kann sein Geld auch in rote Sportautos investieren oder dafür sorgen, dass knapper Wohnraum noch teurer wird. Von daher sehe ich Investitionen auf diesem Level als Gewinn an.
Ein großes hölzernes Konstrukt hat der Sportplatz-Besucher anschließend zu passieren, auf dem der stolze Name „JODA Sportpark“ prangt und der erahnen lässt, womit der Todesfelde-Finanzier seine Kohle macht: Holz. Ebenfalls aus diesem Werkstoff hat man eine Tribüne auf der Längsseite mit handgezählten 128 Plätzen errichtet. Für die ganz harten Fans gibt es an der Ecke einer Hintertorseite noch einen Unterstand, der wie eine übergroße, alte Bushaltestelle wirkt. Natürlich aus Holz. Ein paar nette Details – wie eine riesige, alte Eiche neben dem Unterstand – runden die Anlage ab. Die Verpflegung macht richtig was her. Ein halbes Dutzend gut gelaunte Servicekräfte fertigt den Konsumenten flott und routiniert ab. Es gibt kaum Wartezeit, dafür aber Torte und Fassbier. Nachdem kurz hinter Lübeck ein brachiales Gewitter zum Langsamfahren auf der Autobahn zwang, präsentiert sich der Spätsommer nun von seiner besten Seite. Das einzige, was hier nicht gut ist, ist der Handy-Empfang.
Das Spiel reiht sich harmonisch in die Liste dieser positiven Eindrücke ein. Es geht hoch und runter, beide Teams wollen das 1:0 erzielen, verzichten dabei aber nicht auf den gepflegten Ball. Nach einer ausgeglichenen Anfangsphase kommt der Dorfverein immer besser in Gang, vergibt aber eine Torchance nach der nächsten. Torschützenkönig Morten Liebert wirkt, als wenn er in den Zaubertrank gefallen wäre. Aber seine hünenhafte Statur hilft ihm vor dem Tor heute auch nicht weiter. Die plattdeutsche Herrenriege hinter mir und alle anderen Tribünengäste raufen sich die Haare. Auch der Typ einen Sitz weiter, den ich erst für einen Groundhopper halte, der sich dann aber als Trainer vom Landesligisten TSV Travemünde entpuppt: Axel Junker. In der Halbzeit läuft mir VfB-Lübeck-Spieler Marvin Thiel in die Arme. Wir begrüßen uns per Handschlag.
In der zweiten Hälfte ergibt sich zur Unterhaltung aller neutralen Gäste ein komplett anderes Bild: Phönix kommt wie verwandelt aus der Kabine und drückt auf die Führung. 75 Minuten passiert gar nichts, dann geht der Gast nach einem feinen Schuss in Front. Das hatte sich abgezeichnet – meinen Platz hinter dem SVT-Tor hatte ich nach der Pause also goldrichtig gewählt. Folgerichtig geht es nun auf die andere Seite des Sportplatzes – und tatsächlich: Jokertor! Todesfelde gleicht direkt mit der nächstbesten Chance aus! Die letzten zehn Minuten schaue ich wieder komfortabel von der Tribüne auf’s Spielfeld. Und wieder ist es die richtige Entscheidung: Nochmal nimmt die Partie eine Wendung. Phönix ist fix und fertig, Todesfelde staubt in den letzten Minuten zum Sieg ab. Sogar Liebert trifft mit einem Tor noch zum Endstand. Heute passt einfach alles.