SV Todesfelde – 1. FC Phönix Lübeck – 3:1

SV Todesfelde – 1. FC Phönix Lübeck – 3:1

08.09.2019

Schleswig-Holstien-Liga/7. Spieltag

JODA-Sportpark

Zuschauer: 376

„EINE MENGE HOLZ“

TODESFELDE – So viel Gutes hatte man über Todesfelde im Vorfeld nicht gehört. Der Verein nennt sich selbst scherzhaft „Deathfield“, der Spitzname ließ auch nicht viel Spielraum für Positives zu. Irgendwie liegt Todesfelde auch im Hamburger Speckgürtel, aber man fährt dann doch eine gute Stunde über Stock und Stein durch den Kreis Segeberg. Immerhin: Die SVT-Mannschaft ist ein Versprechen für das Hier und Jetzt und letztes Jahr als Dritter der Schleswig-Holstein-Liga eingelaufen. Mit viel VfB-Lübeck-Lokalkolorit und einem Gönner im Hintergrund, der auch auf der Lohmühle ein paar Euros springen lässt. Was die vielen Verbindungen zwischen den Vereinen erklärt.

Trotzdem konnte ich diesen Gang nicht mit irgendeinem Kirmesspiel antreten – es musste schon richtig was her. Der heißeste Shit aus der Schleswig-Holstein-Liga war gerade gut genug: Der 1.FC Phönix Lübeck hat sich als Oberliga-Aufsteiger sehr viel Tradition auf die Fahnen geschrieben und doch funkeln auch hier die Euros in den Augen. Phönix ist der Grund, warum SH-Meister Strand 08 so abgestürzt ist. Denn Mäzen Frank Salomon engagiert sich neuerdings beim Tradtitionsverein vom „Flugplatz“ und nicht mehr bei den „Strandpiraten“ aus Timmendorf. Nach einer starken Rückrunde unter gütiger Mithilfe vom Neu-Mäzen, schaffte man den Sprung in die Oberliga und gilt dort als Mitfavorit.

Der Sportplatz liegt am Rande von dem 1000-Einwohner-Dorf und sieht von außen eher unscheinbar aus. Das ändert sich, wenn man ihn einmal betreten hat. Entweder geht es an einem schönen, alten Platz vorbei, der vor der großen Zeit von „JODA Holz“ mal der Hauptplatz war, durch ein paar schöne Details glänzt und auf dem immer noch die zweite Mannschaft kickt. Oder man schlendert durch das Vereinsheim, nebst großer Turnhalle, Richtung Schleswig-Holstein-Liga und stellt fest, dass sich der Sponsor nicht hat lumpen lassen, großzügig in den Breitensport zu investieren. Die Handball-Mannschaft wirft sich die Bälle ebenfalls in der Oberliga zu. Man kann sein Geld auch in rote Sportautos investieren oder dafür sorgen, dass knapper Wohnraum noch teurer wird. Von daher sehe ich Investitionen auf diesem Level als Gewinn an.

Ein großes hölzernes Konstrukt hat der Sportplatz-Besucher anschließend zu passieren, auf dem der stolze Name „JODA Sportpark“ prangt und der erahnen lässt, womit der Todesfelde-Finanzier seine Kohle macht: Holz. Ebenfalls aus diesem Werkstoff hat man eine Tribüne auf der Längsseite mit handgezählten 128 Plätzen errichtet. Für die ganz harten Fans gibt es an der Ecke einer Hintertorseite noch einen Unterstand, der wie eine übergroße, alte Bushaltestelle wirkt. Natürlich aus Holz. Ein paar nette Details – wie eine riesige, alte Eiche neben dem Unterstand – runden die Anlage ab. Die Verpflegung macht richtig was her. Ein halbes Dutzend gut gelaunte Servicekräfte fertigt den Konsumenten flott und routiniert ab. Es gibt kaum Wartezeit, dafür aber Torte und Fassbier. Nachdem kurz hinter Lübeck ein brachiales Gewitter zum Langsamfahren auf der Autobahn zwang, präsentiert sich der Spätsommer nun von seiner besten Seite. Das einzige, was hier nicht gut ist, ist der Handy-Empfang.

Das Spiel reiht sich harmonisch in die Liste dieser positiven Eindrücke ein. Es geht hoch und runter, beide Teams wollen das 1:0 erzielen, verzichten dabei aber nicht auf den gepflegten Ball. Nach einer ausgeglichenen Anfangsphase kommt der Dorfverein immer besser in Gang, vergibt aber eine Torchance nach der nächsten. Torschützenkönig Morten Liebert wirkt, als wenn er in den Zaubertrank gefallen wäre. Aber seine hünenhafte Statur hilft ihm vor dem Tor heute auch nicht weiter. Die plattdeutsche Herrenriege hinter mir und alle anderen Tribünengäste raufen sich die Haare. Auch der Typ einen Sitz weiter, den ich erst für einen Groundhopper halte, der sich dann aber als Trainer vom Landesligisten TSV Travemünde entpuppt: Axel Junker. In der Halbzeit läuft mir VfB-Lübeck-Spieler Marvin Thiel in die Arme. Wir begrüßen uns per Handschlag.

In der zweiten Hälfte ergibt sich zur Unterhaltung aller neutralen Gäste ein komplett anderes Bild: Phönix kommt wie verwandelt aus der Kabine und drückt auf die Führung. 75 Minuten passiert gar nichts, dann geht der Gast nach einem feinen Schuss in Front. Das hatte sich abgezeichnet – meinen Platz hinter dem SVT-Tor hatte ich nach der Pause also goldrichtig gewählt. Folgerichtig geht es nun auf die andere Seite des Sportplatzes – und tatsächlich: Jokertor! Todesfelde gleicht direkt mit der nächstbesten Chance aus! Die letzten zehn Minuten schaue ich wieder komfortabel von der Tribüne auf’s Spielfeld. Und wieder ist es die richtige Entscheidung: Nochmal nimmt die Partie eine Wendung. Phönix ist fix und fertig, Todesfelde staubt in den letzten Minuten zum Sieg ab. Sogar Liebert trifft mit einem Tor noch zum Endstand. Heute passt einfach alles.

BSV Kickers Emden – FC Hagen/Uthlede – 4:1

BSV Kickers Emden – FC Hagen/Uthlede – 4:1

27.10.2019

Niedersachsenliga

Ostfriesland-Stadion

Zuschauer: ca. 600

„ICH BIN DOCH NICHT BLÖD!“

EMDEN – Die Stadt wirkt ein wenig wie eine Zeitreise. Nach unfreiwillig verlängerter Bahnfahrt, geht es an einem der letzten schönen Herbsttage zu Fuß direkt von der Delft – so nennen die Emder ihren Binnenhafen – zum Ostfriesland-Stadion. Vorbei an gut hundertjährigen Klinker-Siedlungen für die Hafenarbeiter, immer begleitet von stattlichem Wind. Unglaublich: Da fährt man fast fünf Stunden mit dem Zug durch’s Land und die Leute sprechen immer noch Plattdeutsch.

Die Behausung der Kickers steht dem ersten Eindruck der Stadt in nichts nach: Das sieht nach vorkommerzialisiertem Fußball aus! Dafür muss man heutzutage nicht nur sinngemäß an den Rand der Republik fahren. Tatsächlich waren die Kickers vor 10 Jahren bekanntlich im Konzert der „Großen“ dabei – Gründungsmitglied der 3. Liga. Am Ostfriesland-Stadion hat man selbst für die damalige Zeit wenig getan. Eine alte, irgendwie schiefe Tribüne, rundherum angegraute Betonstufen – und fertig ist das Profi-Stadion. Nichts mit Business-Seats oder so. Am 23. Mai 2009 fand hier das letzte Spiel unter professionellen Bedingungen statt. Unglaublich aber wahr: Der heutige Bundesligist Union Berlin wurde mit 3:2 aus dem Stadion geschossen. Kann man sich zehn Jahre später kaum vorstellen. Alles wirkt so nah, unaufgeregt und dabei ein bisschen provinziell.

Alles was den Kickers aus Drittliga-Zeiten geblieben ist, sitzt auf der Trainerbank und hört auf den Namen: Stefan Emmerling. Kein Scherz. Damals gegen Union, saß der ehemalige Bundesliga-Spieler auch schon an der Seitenlinie. Freilich hat Emmerling nicht die vollen zehn Jahre zwischen diesen beiden Spielen gestern und heute im Verein verbracht. Nach finanziellen Problemen und einem Durchmarsch bis in die Niederungen der Landesliga, spielen die Emder seit dieser Saison wieder fröhlich in der höchsten Verbandsspielklasse Niedersachsens mit und positionieren sich dort im sicheren Mittelfeld.

Das Spiel beginnt mit einem Paukenschlag: In der 3. Minute fliegt der Ball in meine Richtung. Ich stehe auf und köpfe die Kugel intuitiv ins Spiel zurück. Ich kann nicht anders. Ich bin Fußballer. Und mir ist natürlich die Legende von dem berühmten englischen Groundhopper bekannt, der die Plätze nur zählt, wenn er einen Ball zurückgeköpft hat. Also zurücklehnen – Soll erfüllt. Kurz nach meiner Kopfballszene fällt nach einem Torwartfehler auch gleich das überraschende 0:1. Die Gäste aus dem Landkreis Cuxhaven, die letztes Jahr in die Niedersachsenliga aufgestiegen sind, bereichern die Liga mit einem sehr guten Zuschauerschnitt und sind auch am Dollart mit überraschend vielen Leuten aufgekreuzt. Ein paar ältere Hagener sitzen vor uns und mit ihnen und einigen alteingesessenen Ostfriesen gibt es harte, aber witzige Wortgeplänkel. Nach meiner Kopfball-Aktion bekomme ich eine Rüge von einem Gast: „Was soll der Blödsinn?“. Dabei hat die ganze Tribüne nach dem gelungenen Kopfball applaudiert.

Noch vor der Pause schafft Emden sehenswert per Distanzschuss den Ausgleich. Bei Hagen/Uthlede fällt ein Zweimeter-Stürmer auf. Die Kickers spielen behände, der Gast kommt eher über die körperliche Komponente. In der Halbzeit gibt es „die besten Krabbenbrötchen“, wie der Stadionsprecher nicht müde wird zu betonen. 4,50 € für ein Krabbenbrötchen beim Fußball, das ist auf jeden Fall ein sehr fairer Preis. Dafür kriegt man in der Bundesliga noch nicht mal ein kleines Bier. Das beste Krabbenbrötchen, naja, zumindest hat es geschmeckt wie ein Krabbenbrötchen und sah so aus.

Auch Emden hat einige „Trommelleute“ älteren Semesters im Publikum verteilt. Zudem gibt es auf einer Hintertorseite eine kleine Support-Area, die heute allerdings nicht gut aufgelegt ist, wenig Leute zählt und mit einem Spruchband gegen irgendetwas Vereinsinternes demonstriert („Gäste im eigenen Stadion – wollt ihr das?“). Die Stimmung wird auf der Tribüne erzeugt und die reagiert spielbezogen. Das ist genau die richtige Methode und passt wunderbar zu den Bedingungen im Ostfriesland-Stadion, mit seinem tiefen Boden und der steifen Brise. Die Kickers spielen auf Sieg und Hagen gehen allmählich die Ideen aus. Die Führung ist nur eine Frage der Zeit und kurz nach der Pause macht die Heimelf per Doppelschlag kurzen Prozess.

Der FCHU spielt die zweite Hälfte gefällig runter, hat dem Gegner aber nichts mehr zuzusetzen. Nach einem Konter fällt eine Viertelstunde vor Schluss der Endstand. Das bringt letztlich selbst die Dame aus Hagen zum Schweigen, die mich nach dem Kopfball ausgeschimpft hat. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.

FC Voran Ohe – SC Condor Hamburg – 6:1

FC Voran Ohe – SC Condor Hamburg – 6:1

01.11.2019

Landesliga Hansa

Hans-Heinrich-Hackmack-Stadion

Zuschauer: ca. 100

„WOHLFÜHLVEREIN AUF SOLIDEM TRINKERNIVEAU“

REINBEK – Die Szenerie könnte zunächst trister nicht sein. Der erste November-Tag, schon seit den Morgenstunden regnet es in Hamburg und Umgebung Bindfäden. Nebelschwaden hängen an Häuserecken fest und ich wandere durch eine dunkle und etwas spießige Vorort-Siedlung eines Hamburger Vororts. Ohe, ein abgelegener Stadtteil von Reinbek. Der Ground liegt auch noch am Waldrand. Düster. Wenn es etwas früher so stark angefangen hätte zu regnen, das Spiel wäre nicht angepfiffen worden, wie mir eine Schiedsrichter-Beobachterin anvertraut. Doch nun stehe ich hier im Hans-Heinrich-Hackmack-Stadion und alle sind gekommen. Vor mir glänzt ein funkelneuer Ford „Ranger“ im gleißenden Flutlicht. Selbst in diesem Vorort-Vorort verschont die Marketing-Maschine den Fußball nicht. Ein örtlicher Autohändler hat seine Schmuckstücke ins Ohe-Tal gekarrt und versucht unter den vielleicht 100 Zuschauern neue Käuferschichten zu erschließen. Bizarr. Aber auch irgendwie putzig. So hat das in der Bundesliga auch mal angefangen.

Das war’s dann allerdings auch mit den, nun ja, etwas sonderbaren Winkelzügen. Der abgelegene Ort steht ansonsten eindeutig für Landesliga-Fußball von echtem Schrot und Korn. Stammgäste, Fan-Gemeinde, Merchandise, Holzkohle und Bratwurst. Klappt man die erste Seite des Spielprogramms auf, so ist bald ein ausführlicher Bericht vom „Nettelnburger Haxenessen“ zu finden, das offenbar beim Coach der ersten Mannschaft stattgefunden hat und in dem geschildert wird, wann welche Spieler ihren höchsten Pegelstand am Abend erreicht haben. Frei nach Max Merkel, der mal die Alkoholiker im Training gegen die Nicht-Alkoholiker hat antreten lassen – das Resultat ist bekannt -, befinden sich die Reinbeker Kicker trotzdem im Höhenflug. Letztes Jahr lange um den Aufstieg in die Oberliga mitgespielt, dieses Jahr in der Verfolgertruppe dabei. Mit simplen Methoden, aber das ist ja irgendwie das, was dem Fußball abhanden gekommen ist: Einfachheit.

Das Spiel geht mit einem Donnerwetter los: Der FCVO führt nach weniger als fünfzehn Minuten mit drei Toren! Nach einer halben Stunde gar mit 4:0. Und alle Toren fallen in Folge von Ecken durch verschiedene Torschützen. Ohe – übrigens einer von gerade mal zwei Vereinen in Deutschland mit dem Titel „Voran“ – macht Kleinholz aus dem Oberliga-Absteiger, ist in jedem Zweikampf präsenter und weiß wie man die Kugel nach vorne spielt. Auf diesem Niveau habe ich selten so eine Demonstration gesehen. Und Condor ist nun wahrlich kein Fallobst. Dennoch sitzt kurz vor der Halbzeit die immerhin zweite Condor-Chance und der Ball zappelt wenigstens einmal im Netz der Reinbeker.

Ein Ehrentrefffer? Im Nachhinein schon, doch die Ost-Hamburger drängen auf das zweite Tor und es liegt sogar ein wenig Spannung in der diesigen November-Luft. Das Spiel ist allerdings nach einer Roten Karte für den Gast eine Viertelstunde vor Schluss entschieden. Und Ohe enttäuscht auch in der zweiten Halbzeit nicht. Konterchancen werden aufgezogen und mit einem Mann mehr auf dem Feld versüßt man den frierenden Anwesenden durch zwei weitere Tore zum Endstand den Brückentag. Auch mit dem Publikum komme ich ins Gespräch und neben mir steht ein Mann in meinem Alter, der sich als Kaderspieler der Oher entpuppt und von dem sich herausstellt, dass er das Fußballspielen teilweise von und mit den gleichen Trainern und Mitspielern erlernt hat wie ich. Der Gute erzählt mir alles über das spielende Personal der Oher und nebenbei bechert er ein paar „gute Tropfen“ weg.

In die Spitzengruppe der Landesliga hätte ich es als Aktiver wohl nicht geschafft. In Reinbek wäre ich sicher trotzdem willkommen. FC Voran Ohe – ein Wohlfühlverein auf solidem Trinkerniveau, der nicht aufzuhalten sein wird. Fußball ohne Maske. Und trotzdem erfolgreich. Der Ford-Händler ist mit seinem „Ranger“ am Spieltag darauf übrigens wieder verschwunden.

FC Remscheid – VfB Frohnhausen – 2:2

FC Remscheid – VfB Frohnhausen – 2:2

20.10.2019

Landesliga Niederrhein Gruppe I

Röntgen-Stadion

Zuschauer: ca. 200

„200 ZUSCHAUER UND ‚N PAAR FLASCHEN BIER“

LENNEP – Remscheid im Oktober: Den ganzen Tag schon regnet es Hunde und Katzen. Und die Angst, diesen historischen Ort wegen einer Spielabsage oder der berühmten Nebenplatzfalle zu verpassen, lässt mich den wackligen Knirps-Imitat-Schirm immer fester umklammern. Vom Bahnhof in Remscheid-Lennep geht es knappe 10 Minuten zu Fuß Richtung Stadion. Die Straße bergab ist ein einziger Rinnsal. Dann endlich erblickt man durch Herbstlaub die alte Tribüne und eine wuchtige Anzeigetafel. Fast noch schöner: Der unverkennliche Soundtrack von typischem Gebolze auf dem Rasen – denn das ehemalige Zweitliga-Stadion punktet mit erstklassigen Bodenverhältnissen, selbst bei Dauerregen. Hier denkt niemand an eine Spielabsage. In Schleswig-Holstein – wo ich herkomme – mit seinen tiefen Marschböden, geht das vielleicht auch schneller. Willkommen im Bergischen Land!

Der Ground ist einfach nur brutal. Ich kann mich noch genau an ein Mannschaftsfoto aus dem Kicker-Sonderheft zu glorreichen Zweitliga-Zeiten erinnern, als man in zeittypischer Mode vor einer Sponsorenwand in einer der Hintertor-Kurven posierte. Carsten Pröpper, Ingmar Putz und Sigitas Jakubauskas standen da in ihren weiß-blauen Trikots und grinsten in die Kamera. Um diese Kurve hat sich seitdem offensichtlich niemand mehr gekümmert. Laubbäume und Gebüsch bahnen sich ihren Weg durch die Ritzen. Und fast könnte man davon sprechen, die Zeit wäre hier stehengeblieben, wenn der Kapitalismus nicht direkt hinter der Kurve für ein amerikanisches Schnellrestaurant mit Gratis-Blick in das Röntgen-Stadion gesorgt hätte.

Alle anderen Bereiche des Stadions sind zugänglich und recht gut gepflegt. Auf ein paar Bänke der großen, überdachten Tribüne sind nachträglich mal blaue Sitzschalen montiert worden. Ansonsten hat sich hier seit der Stadion-Eröffnung 1981 nicht viel getan. Das Röntgen-Stadion ist ein schönes Beispiel dafür, wie einfach und schön ein Fußballbesuch vor 30 Jahren gewesen sein muss. Kurven, Stehplätze, eine überdachte Haupttribüne. Nur Flutlicht fehlt. Das Vereinsheim ist eine Bretterhütte. Eine freundliche Oma steht dort hinter einer gedeckten Kaffeetafel und verkauft Kuchen und Heißgetränke. Ich bin mir sicher, das war vor 30 Jahren schon aus der Zeit gefallen. Hier und da entdeckt man sogar noch den Schriftzug „BVL 08“, wie sich der Verein vor 1990 nannte (BV Lüttringhausen 08). Dann gab es eine Art Fusion mit dem VfB Marathon Remscheid. Es folgte der dritte Aufstieg in die 2. Bundesliga, ehe es steil bergab ging.

Schon seit Jahren soll das Röntgen-Stadion einem Designer-Outlet weichen. Die Verträge sind unterschrieben. Nebenan hat man bereits einen Grandplatz platt gemacht. Scheiß Kapitalismus. Als Ausgleich für das große Stadion, soll sich der FCR einen Kunstrasenplatz mit einem anderen Verein teilen. Was ich aber rausgekriegt habe: Der Verein wehrt sich dagegen und gespielt wird hier ja schließlich immer noch. Was für eine schrecklich zweckorientierte Stadt, könnte einem da in den Sinn kommen. Aber nächste Überraschung: Lennep, das ist die Geburtsstadt von Wilhelm Conrad Röntgen. Alles hört hier auf sein Kommando, sogar das Maskottchen der Remscheider heißt „Rudi Röntgen“. Die Altstadt von Lennep hat sich seit den Lebzeiten des großen Physikers nicht mehr wirklich verändert und ist ein echtes Schmuckstück, mit ihren schiefergedeckten Häusern und grünen Fensterläden. Würde es nicht regnen, könnte sich das grad auch wie ein Urlaub in der Eifel anfühlen.

Auf dem Rasen geht es in der Landesliga zur Sache. Zu Gast ist heute der Spitzenreiter aus Essen: VfB Frohnhausen. Auch der FCR hat nach zwei schlechten Platzierungen in dieser Liga Kontakt nach oben. Die letzten beiden Heimspiele hat man verloren, heute will man mit Punkten gegen den Tabellenführer die Wende herbeizaubern. Dieses Vorhaben geht zunächst mal grandios in die Hose: Nach ein paar Minuten zeigt der Schiedsrichter auf den ominösen Punkt und es gibt die Gästeführung on top. Die Essener sind physisch sehr stark und minimieren ihr Offensivspiel auf Konter. Remscheid spielt sehr emsig und unermüdlich, scheitert am Aluminium, hat aber auch ein bisschen Glück, dass Frohnhausen nicht noch ein Tor erzielt.

In der Halbzeit wechsel ich – wie fast immer – die Seite. Auf der großen Tribüne ist etwas mehr los. Remscheid kommt wieder sehr motiviert aus der Kabine. Was ich nicht wusste: Ich bin in einer kleinen Support-Area gelandet. Im ersten Abschnitt war es hier stumm geblieben. Nun peitschen ein paar alteingesessene Stadiongänger den ehemaligen Zweitligisten nach vorne – ich bin mittendrin. Und die Mannschaft hat richtig Bock auf Fußball! Ein Angriff nach dem nächsten wird aufgezogen. Man fragt sich, wie der Gast es an die Tabellenspitze geschafft hat. Die Heimtore sind nur eine Frage der Zeit und nach gut einer Stunde Spielzeit lochen die Röntgenstädter den Ball endlich ein und erlösen das Publikum mit dem Ausgleich. Vielleicht war das Abseits, aber einen Videobeweis gibt es hier zum Glück nicht. Die Show geht weiter, Frohnhausen ist platt. Vorläufiger Höhepunkt: Ein Remscheider drischt einen vermaledeiten Torwartabstoß volley Richtung Tor und trifft den Pfosten – bumm! Gerade mal 200 Zuschauer und ’n paar Flaschen Bier, aber das Röntgen-Stadion ist ein Tollhaus!

Der FCR lässt nicht locker: Nach einer Unaufmerksamkeit fällt der völlig verdiente Führungstreffer! Die jubelnden Spieler sprinten Richtung Zaun und Zuschauer. In der 2. Bundesliga kann das nicht besser gewesen sein. Aber Frohnhausen ist Tabellenführer. Und das eben doch nicht zu Unrecht. Ein paar Minuten verbleiben und plötzlich ist die Moral wieder auf Seiten der Gäste. Mit der einzigen Chance im zweiten Abschnitt, wuchtet ein Frohnhausener den Ball nach einer Ecke per Kopf ins Tor. Rückschläge gehören bei großen Fußballspielen dazu. Den letzten Sturmlauf der Gäste übersteht der FCR und nach dem Schlusspfiff gibt es fast minutenlangen Applaus von uns.

Im Vereinsheim ist man sichtlich stolz auf die Historie des Vereins, überall hängen Mannschaftsfotos und Plakate aus großen Tagen. Das Bier ist zehn Minuten nach dem Abpfiff ausverkauft, aber in der Bretterbude liegen noch ein paar ältere Exemplare der Vereinschronik herum. Nachdem ich irgendwie als „Durchreisender“ enttarnt werde, darf ich mir eine Chronik als Geschenk einpacken. Ich bekomme sogar noch einen kleinen Wimpel mit, die Oma hinter der Kaffeetafel sagt: „Der ist mal in der Waschmaschine gelandet, aber noch gut“. Stimmt. Sonstige Fanartikel sucht man beim einstigen Zweitligisten vergeblich. Trotzdem war das heute einer der besten Groundhopping-Moves, die ich jemals gemacht hab.

Roter Stern Lübeck – SV Viktoria 08 Lübeck II – 2:3

Roter Stern Lübeck – SV Viktoria 08 Lübeck II – 2:3

15.08.2019

Kreisklasse B Lübeck/1. Spieltag

Stadion Buniamshof – Kunstrasenplatz

Zuschauer: ca. 45

„DER KACKGROUND DES JAHRES – ODER: EINFACH NUR BOCK AUF FUẞBALL!“

LÜBECK – Der letzte von drei Vereinen, der seine Spiele vollmundig auf dem „Buniamshof“ – dem zweitgrößten Stadion Lübecks – ankündigt, sollte an diesem Donnerstag meine Aufmerksamkeit verdienen. Dass es um diese schöne Anlage herum so leer geworden ist, war mir bis dato nicht bewusst. Trug doch die U23-Elf des VfB Lübeck in der letzten Rückrunde einige Spiele auf dem „Buni“ aus und fungierte das Stadion auch als Heimat der DJK Lübeck. Geblieben ist einzig und allein Roter Stern. Der VfB ist zum Nebenplatz auf die Lohmühle zurückgekehrt, DJK hat aktuell keine Mannschaft gemeldet.

Der Ground liegt sehr stadtnah, direkt an der Trave, neben der Altstadtinsel und im Schatten des Doms. Eine Tribüne mit gezacktem Dach fällt ins Auge und viele alte Treppen und Stufen. Im Hintergrund die Kirchtürme der Stadt – das Stadion ist ein unterschätzter Hingucker. Bei der Lage des „Buni“ schlägt man in Verwaltung und Exekutive jedoch mehr und mehr die Hände über den Kopf zusammen. Na klar: Was vor 100 Jahren kein Problem war – Massenveranstaltungen vor Tausenden Zuschauern – könnte heutzutage auf so engem Raum das Jüngste Gericht auf den Plan rufen. Und so finden in dem Stadion höchstens unbeachete Leichtathletik-Events statt. Und halt so ein Kreisliga-Käse.

Für ein Spiel in der Kreisklasse – um korrekt zu bleiben – gibt es ausreichend Parkplätze direkt neben der Tribüne. Sensibilisiert von der Panikmache rund um die Platzknappheit in der Altstadt, suche ich mir vorher aber zu Unrecht lieber ein Parkplätzchen in einem nahen Parkhaus. Das kostet mich ein paar Euro, allerdings erhebt Roter Stern für diesen Kreisklasse-Schmankerl auch keinen Eintritt. Also, geschenkt. Es dauert, bis ich den Eingang zum Rund finde und auf dem Platz erspähe ich nur Läufer. „Fußball findet da hinten statt“, rufen die mir hinterher. Na, das war ja klar. Kreisklasse auf dem Nebenplatz. Herzlich willkommen auf dem Kackground des Jahres: Kunstrasen mit gelben Linien für den Fußball und weißen Markierungen für American Football. Der Platz sieht aus wie ein Schlangennest. Es sind über den Toren auch Field Goals aufgestellt. Roter Stern teilt sich den Platz mit den „Lübeck Cougars“. Und damit nicht genug: Direkt hinter dem Tor hat der „Kanu Club Lübeck“ seine Zelte aufgeschlagen und macht das in großen Lettern überdeutlich kenntlich. Fußball, Kanu, Football. Selten so einen beschissenen Platz gesehen. Fast schon wieder geil, wenn da nicht nebenan das Stadion sein Leichtathletik-Dasein fristen würde.

Bevor ich allerdings den American-Football-Kanu-Platz erreiche, verkrieche ich mich doch noch schnell im eigentlichen Stadion auf den überdachten Trainerbänken – der Himmel hat nämlich seine Schleusen geöffnet und es regnet in Strömen. Der Anpfiff rückt immer näher, aber da ich meinen Regenschirm vergessen habe, würde ich lieber die ersten Minuten verpassen, statt pudelnass zu werden. Über Ausbau geschweige denn Überdachung verfügt der Kunstrasenplatz selbstredend nicht. Die Regenhusche ist dann doch so schnell vorbei, dass es sogar noch für eine Bockwurst mit Ketchup vor dem Spiel reicht – Senf ist dem tapferen, aber schweigsamen Kiosk-Betreiber ausgegangen. Immerhin gibt es neben überteuertem Roter-Stern-Merch auch kaltes Bier und ein paar Schokoriegel.

Tapfer, weil sich zunächst natürlich kaum eine Menschenseele zu diesem Kick verirrt. Nach und nach werden es aber mehr Zuschauer. Und auf den zweiten Blick kristallisiert sich echtes Qualitätspublikum unter den Zuguckern heraus: Zahnlose Typen, Pils-Legenden und lustige Deutsch-Türken. In der zweiten Halbzeit verlasse ich meinen eigenbrötlerischen Platz fernab der Zivilisation und rücke immer näher an den Mob heran. Irgendwann zähle ich immerhin rund 50 Leute auf der Anlage. Das Spielgeschehen ist lange trostlos. Keiner hat eine rechte Idee, aber jeder kloppt gerne den Ball in den Abendhimmel. Als ein Mann eingewechselt wird, der vorher einsam seine Runden auf dem Grandplatz nebenan gedreht hat, kommt etwas Spielkultur auf die Plastikhalme. Und siehe da: Nach einer sehenswerten Aktion steht es irgendwann 1:0 durch den einsamen Läufer. Roter Stern erhöht sogar noch auf 2:0 und einem gelungenen ersten Heimspiel der Saison, steht nicht mehr viel im Wege.

Der Mob kommt auch immer besser in Fahrt. Es gibt einen echten Publikumsliebling bei den Roten: Hassan. Ein kleiner, wendiger Stürmer, dem fast jeder Ball vom Fuß springt. Nachdem Hassan ausgewechselt wird kommen die Jungs so richtig in Fahrt. „Wir wollen (den) Hassan sehen!“ krakeelt es in kunterbunten Tonfolgen immer wieder aus geölten Kehlen. Da der Chor trotz Countdown immer wieder etwas misslingt, sorgt die Forderung nicht nur bei mir für Heiterkeit. Die ganze Szene ist so lustig, dass ich mich am Ende sogar in der Laola-Welle für Hassan entdecke.

Irgendwann werde ich gefragt, warum hier bin, doch mir wird die Antwort schon vorweg genommen: „Weil du einfach Bock auf Fußball hast, oder?“. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Da ändern auch die drei Viktoria-Tore in den letzten Minuten nichts dran. Erst sehenswert in den Winkel geschlenzt, das Siegtor dann aber über die Linie gestochert. Egal. Das Ergebnis ist nur Nebensache auf dem Nebenplatz. Und nach Field Goals hat Roter Stern das Ding immerhin mit 20:3 gewonnen.

SC Cambuur-Leeuwarden – FC Den Bosch – 3:2

SC Cambuur-Leeuwarden – FC Den Bosch – 3:2

30.08.2019

Keuken Kampioen Divisie/4. Spieltag

Cambuurstadion

Zuschauer: 7242

„FLOODLIGHT-FRIDAY. GEIL!“

LEEUWARDEN – An meinem Geburtstag wollte ich mir mal was gönnen und bastelte mir einen Kurztrip ins geliebte Nachbarland zusammen. Da ich Freitag-Abend gerne ein Spiel sehen wollte und vor 14 Uhr kein Loskommen möglich war, hielt sich die Auswahl in Grenzen. Holland/Friesland war ein guter Kompromiss. Trotzdem war das Vorhaben gut auf Kante genäht, denn unter Zeitdruck die Großstädte Hamburg, Bremen und Groningen auf dem Verkehrsweg an einem Freitag-Nachmittag zu passieren, kann schon mal in einem Himmelfahrtskommando enden. Die Befürchtungen sollten sich teilweise bewahrheiten und so verbrachte ich stabile fünfeinhalb Stunden meines Geburtstages in einer Blechkapsel auf der Autobahn. Zeitweise schweigsame Stimmung im Auto, denn die Ankunftszeit pendelte sich zwischendurch bei einer Viertelstunde vor Anpfiff ein.

Nachdem sich ein Stau um Groningen dann aber zur Real-Zeit aufgelöst hatte, beruhigte sich die Lage und gut 40 Minuten vor dem Anpfiff konnte man mich erfolgreich auf dem „Cambuurplein“ vor die Autotür setzen. Wenn man sich erst noch den Ticketschalter suchen muss und nicht weiß, wie groß der Andrang und wie gut die Organisation ist, kann man da schon mal ins Schwitzen geraten. In Frankreich habe ich mich mal eine Stunde vor Spielbeginn in die Kassenschlange gestellt und war erst 10 Minuten nach dem Anpfiff im Stadion. Bezüglich Leeuwarden kann ich aber beruhigen: Einmal kurz nachgefragt, sofort als Groundhopper entlarvt, und schon entdecke ich den Ticketschalter. Vier verschiedene Fenster für vier verschiedene Tribünen. Bei der Gegentribüne, die ich mir vorab als Ort ausgesucht hatte, steht nur eine Person an. Ich frage auf Englisch, ob ich hier richtig bin für einen Platz auf der ausgewählten Tribüne und mir wird in bekannter Mundart entgegengeschmettert: „Sprichst du auch Deutsch?“.

Beim Eingang stehen ein paar lustlose Ordner mit QR-Scannern, der Andrang hält sich in Grenzen. Ohne Anstehen kommt man ins Innere, obgleich das Stadion zu drei Vierteln belegt ist. Zum Stadion muss ich sagen, wenn „De Adelaarshorst“ von den Go Ahead Eagles aus Deventer als das Groundhopping-Stadion schlechthin in Hollands Unterklasse besungen wird, steht das „Cambuurstadion“ der Behausung der Eagles in nichts nach. Das Stadion ist fast genauso aufgebaut. Vier verschiedene Tribünen, unnachahmliche Stahlrohr-Flutlichter, neue Haupttribüne. Bringt Spaß, ist nah dran. Zudem ein begeisterungsfähiges Publikum und eine Mannschaft mit Ambitionen. Floodlight-Friday. Geil! Vor der Gegentribüne gibt es Live-Musik, der Getränkeausschank nennt sich „Biergarten“. Typisch Holland ist aber auch, dass in der Haupttribüne ein „Aldi“ integriert ist. Die Kleinstadt-Jugend vertreibt sich mit billigem Dosenbier aus dem Discounter die Zeit bis zum Anpfiff. Ich gönne mir jeweils ein großes Pils im Stadion, das in der 1. Halbzeit 4,50€ kostet und in der 2. Halbzeit nur noch 3,50€. Ich vermute einen Fehler des Personals, vielleicht aber auch ein anonymer Geburtstags-Bonus.

Die Begegnung ist nicht das grad Schlechteste, was die „Keuken Kampioen Divisie“ zu bieten hat. Beide Teams letztes Jahr in oberen Gefilden unterwegs, Den Bosch in der Rückrunde teilweise sogar Tabellenführer. Cambuur hat nur wenige Spielzeiten in der Eredivisie verbracht, am ganzen Stadion hängen großformatig-nostalgische Bilder von Erstliga-Spielen gegen Ajax‘ Goldene Generation. Dennoch sind beide Teams mäßig in die Saison gestartet. Die Friesländer jedoch zuletzt in guter Form und einem 5:0 gegen besagte Eagles. Cambuur macht sofort Druck und auch das Publikum ist zur Stelle. Schon nach ein paar Minuten klingelt es im Tor der Gäste. Aus der Kategorie „Scheißtor des Monats“: Abgefälscht und reingestoplert, aber Führung ist Führung. Das Heimteam kann den Schwung in die erste Hälfte der ersten Hälfte mitnehmen, erreicht aber nichts Zählbares. Nachdem Den Bosch mit der ersten guten Aktion nach einer runden halben Stunde fast den Ausgleich markiert, ist Leeuwarden plötzlich total von der Rolle. Die taktische Ordnung geht flöten und ein Gästespieler drückt eine Direktabnahme am Mittelpunkt sehenswert zum Ausgleich über die Linie. Die rund 200 Gästefans machen sich erstmalig bemerkbar.

Im zweiten Abschnitt müht sich Cambuur in Ballbesitz, findet aber immer besser in die Partie. Für die erneute Führung sorgt allerdings ein Elfmeter. Das Publikum ist euphorisiert und peitscht das Team weiter nach vorne. Hinter dem Tor befindet sich ein Stimmungsblock, der ganz gut Krach macht. Das Stadion ist so kompakt, dass die Begeisterung schnell überschwappt. Nur ein paar Minuten später trifft Doppeltorschütze Robert Mühren mit einem Kontakt mühelos zur vermeintlichen Vorentscheidung. Nun ist Den Bosch wieder am Zug, denen man ansieht: Wenn sie kommen müssen, haben sie Qualität. Wiederum nur Minuten später steht es nach toller Einzelleistung nur noch 3:2. Im Nu hat man eine packende Schlussphase, in der Cambuur nach einem Konter in der Nachspielzeit unbedingt den Deckel hätte drauf machen müssen. Macht nichts, reicht am Ende trotzdem.

Nach Abpfiff stehen wieder mal alle Tore und Türen zum Ground auf und man kann mutterseelenallein in dem von Flutlichtern beleuchteten Stadion herumspazieren. Anschließend geht es per Fußmarsch die gut 30 Minuten zur Bleibe zurück. Einmal quer durch die Stadt. Natürlich wird noch noch einer anständigen Frituur in der Innenstadt Ausschau gehalten. Und als ich mit meiner „Frikandel Speciaal“ an diesem letzten schönen Sommerabend des Jahres auf einem Treppchen am Binnenhafen hocke, bilanziere ich, dass ich schon deutlich schlechtere Geburtstage erlebt habe.

Büchen-Siebeneichener SV – SV Grün-Weiß Siebenbäumen – 4:2

Büchen-Siebeneichener SV – SV Grün-Weiß Siebenbäumen – 4:2

08.08.2019

Landesliga Holstein/3.Spieltag

Waldstadion Büchen

Zuschauer: ca. 200

„EY SCHIRI, BIST DU BLIND ODER WAS!?“

BÜCHEN – Spiel zweier monströser Namenskonstrukte mit Besonderheiten: Eines von drei Lauenburger „Derbys“ in der diesjährigen Landesliga Holstein. Wobei letztes Jahr gar keine Lokalspiele stattfanden: Büchen stieg genauso wie der dritte Verein aus dem Herzogtum – der Breitenfelder SV – in die 6. Liga auf. Was als höchster BSSV-Erfolg seit Jahrzehnten gewertet werden kann. An einem Donnerstag sollte das erste Heimspiel nach dem Aufstieg im schönen Waldstadion ausgetragen werden. Was vielen Hoppern nicht unentdeckt blieb. Büchen deckt mit seinem Knotenpunkt-Bahnhof nicht nur den Schienenverkehr zwischen Ost und West ab, sondern nimmt mit seinem Büchen-Siebeneichener Sportverein (Siebeneichen ist ein kleines Dorf in unmittelbarer Nähe zum Elbe-Lübeck-Kanal) auch die Rolle als zentraler Sportverein zwischen Schwarzenbek und Lauenburg ein. 14 Mannschaften hat man aktuell im Spielbetrieb. Dabei wurde jetzt im Sommer sogar die dritte Mannschaft und zuvor die legendäre „Goldene IV. Herren“ abgemeldet.

Die Anlage verfügt über mehrere große Funktionsgebäude, einem Kunst- und einem Naturrasenplatz. Gespielt wird schleswig-holstein-like auf echtem Gras. Eine Tribüne bietet dabei Überdachung und befindet sich genau zwischen den beiden Plätzen, so dass für beide Beläge der Komfort nicht zu kurz kommt. Rundherum zieht sich idyllisch dichte Bewaldung um den Platz, hinter deren Wipfeln langsam die Sonne verschwindet. Kreisweit sicher einer der schönsten Anlagen. Rund 200 Zuschauer haben sich eingefunden um den Aufsteiger nach vorne zu peitschen. Es winkt die Tabellenführung, nach den ersten drei Punkten auf fremdem Platz, bei Mit-Aufsteiger Kisdorf am letzten Wochenende. Auch aus der anderen Ecke des Kreises sind einige grün-weiße Leute mitgereist, die den Pfiffen auf dem Platz 90 Minuten grundsätzlich konträr gegenüberstehen. Eigentlich nicht erwähnenswert, da sich das Rudel aber bei mir eingefunden hat, nervt es zusehends, was meinerseits nicht unkommentiert bleibt.

Auf dem Platz macht Büchen von Anfang an die Musik – und das 1:0 per sehenswertem Direktschuss durch den emsigen Marwin Schantz. Wendige, flinke, motivierte Truppe, die in dieser Verfassung nicht umsonst als Geheimtipp in der Liga gehandelt wird. Allerdings hat auch Siebenbäumen so seine Stärken: Gute Einzelspieler, robust und erfahren. Vor allem die Akteure: Paulsen, Fiedler und Todt fallen auf. Während Paulsen eine blitzsaubere Partie abliefert, treffen sowohl Fiedler zum Ausgleich, als auch Todt zur zwischenzeitlichen Führung. Maurice Fiedler, ein baumlanger, beweglicher Stürmer, keift später noch gut hörbar für alle Zuschauer den Mann in Schwarz an: „Ey Schiri, bist du blind oder was!?“. Rote Karte. Passt zum Gesamtbild der Grün-Weißen. Trotz Rückstand ist hier lange noch nicht Schluss. Büchen kämpft sich in die Partie zurück und erzielt folgerichtig noch drei verdiente Treffer per Weitschuss-, Traum- und Kontertor. Bevor die Mannschaft gleich ein gebührendes Tänzchen zur Tabellenführung auf dem schweren Geläuf zelebriert, führt ein Tempogegenstoß von einem Spieler mit amtlichem Landesliga-Bauch noch zum 4:2-Endstand – runde Sache.

SV Hamwarde – VfL Lohbrügge – 1:0

SV Hamwarde – VfL Lohbrügge – 1:0

30.07.2019

Landespokal Hamburg/2. Runde

Sportplatz an der Mühlenstraße

Zuschauer: ca. 125

„KREISLIGIST WIRFT BAYERN MÜNCHEN AUS DEM POKAL!“

HAMWARDE – Auftakt zu einer pickepackevollen Fußballwoche in der Provinz: Hamwarde, ein kleines Dorf hinter Schwarzenbek, in dem es auch schon mal, naja, nach Tieren riechen kann. Der Verein bietet „Fußball an der Mühle“ an und empfängt an diesem Dienstag-Abend den haushohen Favoriten vom VfL Lohbrügge zur zweiten Runde im Landespokal. Der VfL war erst im Relegationsspiel an Union Tornesch am Aufstieg in die Oberliga gescheitert. Hamwarde schlug in der ersten Runde den Lohbrügger Landesliga-Konkurrenten V/W Billstedt mit 1:0 und krebst sonst im Mittelfeld der Kreisliga herum.

Das Ergebnis aus der 1. Runde des Pokals lässt aufhorchen und pünktlich zum Feierabend blinzelt endlich wieder die Sonne durch das Wolkennest. Mit einem perlenden Alsterwasser in der Hand wird die Anlage in Augenschein genommen, die für einen Dorfsportplatz gute Argumente zu liefern weiß: Hanglage mit Stufenausbau und ein paar Parkbänke, auf die ich mich niederlasse. Altes, verranztes Vereinsheim mit historischen Mannschaftsfotos an den Wänden, neues Funktionsgebäude und ein paar nette Details, wie eine funktionstüchtige Turnhallen-Anzeigetafel und ein ausrangiertes Tor, das man mit Plane überzogen hat uns seitdem als „Westkurve Hamwarde“ fungiert. Die Westkurve bleibt unbesetzt, die Anlage füllt sich aber nach und nach mit den Dorfbewohnern. Unter ihnen eine bemerkenswert hohe Hübsche-Mädchen-Quote.

Lohbrügge punktet mit reichlich Ballbesitz und auffallend viele Spieler, deren Namen auf -ic enden, glänzen durch akurate Ballbehandlung. Im Begleitheft zum Spiel (einem Sonderheft der Bergedorfer Zeitung für die Mannschaften aus dem Osten Hamburgs) wird der VfL-Kader mit dem von Bayern München verglichen… Das Spiel ist eher ausgeglichen und arm an Torchancen. Die besseren Möglichkeiten hat Hamwarde. Für einen Fast-Oberligisten ist das schon sehr harmlos, was die Gäste anbieten. Es geht mit einem torlosen Unentschieden in die Pause. Ähnliches Bild im zweiten Durchgang. Der SVH spielt sehr aufgeweckt und irgendwann nutzt man tatsächlich die Chance zum 1:0, die durch einen schnell ausgeführten Einwurf zu Stande kommt und vom Außenbahnspieler aus spitzem Winkel ins Tor gejagt wird. Die Luft wird anschließend immer dünner für den Kreisligisten, Lohbrügge passt sich unaufhörlich den Ball zu. Abgesehen von einem Lattenschuss vor dem Rückstand, kommt es aber kaum mal zu einer gefährlichen Situation. Trotzdem ist die Spannung zum Greifen nah, wie man immer so schön sagt. Kompliment an die organisierte Leistung im Defensiv-Verbund der Lauenburger. Unglaublich, wie viele Bälle man in der Luft klärt. Selbst die berühmte Bierkiste hätte Hamwarde heute lässig aus dem Strafraum geköpft.

Sogar ein Platzverweis der Hausherren kann die Blamage für den Landesligisten nicht abwenden. Ein übles Foul wird erst mit der Gelben Karten geahndet. Als schon zwei Minuten vergangen sind und der Gästespieler den Freistoß kurz vor der Strafraumkante durchführen will, winkt der Schiri den SVH-Spieler nochmal zu sich, ich höre die Worte: „…ich hab’s mir nochmal anders überlegt“, dann gibt es doch noch den Roten Karton für den Kreisligaspieler. Die Stimmung in den letzten Minuten ist etwas aufgebracht, es gibt euphorische Anfeuerungsrufe (HAM-WAR-DE!) von den Rängen und großen Jubel, als der Schlusspfiff ertönt. Eine echte Überraschung! Jeder kennt hier jeden – kurze Zeit später vermischen sich die Akteure und Zuschauer zu einer Einheit. Während sich die hochgehandelten Landesliga-Spieler auf „Serbo-Kroatisch“ zanken oder hinter dem Funktionsgebäude rauchen.

Ein paar Tage später fegt der VfL im Liga-Betrieb den TuS Berne standesgemäß mit 7:0 vom Platz und Hamwarde verliert das nächste Spiel zu Hause gegen den SC Wentorf II mit 1:2. Manchmal ist man halt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. In der dritten Runde hat der SVH übrigens ein Freilos gezogen. Ein weiterer Schritt Richtung Europapokal.

Heider SV – Bremer SV – 1:1

Heider SV – Bremer SV – 1:1

29.05.2019

Aufstiegsrunde um die Regionalliga Nord 2019/20

Stadion an der Meldorfer Straße

Zuschauer: 3087

„DER HSV IST WELTMEISTER!“

HEIDE – Es gibt viele Faktoren, die einem den Stadionbesuch verhageln können. Meine Losung an diesem Mittwoch vor Himmelfahrt lautet: Stau, Parkplatz, Ticket. In dieser Reihenfolge. An Zeitpuffer nur mit dem Nötigsten ausgestattet, doch die ersten beiden Hindernisse anschließend erstaunlich gut meisternd. Der übliche Stadtverkehr in Hamburg zwar nervig, aber nicht existenzbedrohend. Rasch ein perfekter Parkplatz beim Nachbarverein MTV Heide gefunden, das kann ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Und da war sie, die 200-Meter-Schlange vor dem ehrwürdigen Stadion an der Meldorfer Straße. Ein einziger Rentner auf einer Bierzeltgarnitur fertigt über 3000 Zuschauer ab und händigt Tickets im Schneckentempo aus. Preis‘ den Herrn, alles hat seine Richtigkeit!

Glück gehabt, dass das entscheidende Spiel um den Regionalliga-Aufstieg in Heide stattfindet und nicht in Bremen. Denn südlich von Hamburg stapeln sich die Autos und auch der harte Kern der BSV-Fans trudelt erst kurz vor der Halbzeit ein. Der Elbtunnel – heute ein härterer Gegner als der HSV? Im Fanblock der Bremer sind alle blau: Fahnen, Spruchbänder, Undercut, Alkohol und Altona 93. Der BSV kann sich über Unterstützung aus Hamburg freuen – an den rund 100 Fans wird es heute gewiss nicht liegen. Trotz Verspätung. Ich nehme meinen Platz eine Minute vor dem offiziellen Anpfiff ein. Organisatorisch läuft heute wie gedacht nicht alles rund und der erste Pfiff verspätet sich nochmal um rund 10 Minuten. Wozu also all die Aufregung? Der Sieger des Spiels steigt in die Regionalliga auf. Lang ersehnt, wie im Falle der Bremer. Oder überraschend, wie im Falle der Heider. Letztere gehen zudem mit dem Vorteil ins Spiel, dass ein Unentschieden zum Upgrade reicht. Und das obwohl sie in der vergangenen Saison nicht über Platz 4 in der Schleswig-Holstein-Liga hinaus gekommen sind.

Das „Stadion an der Meldorfer Straße“ ist die „Perle der Westküste“ und eines der ganz wenigen Groundhopper-Ziele im nördlichsten Bundesland der Republik, das sich über stetige Beleibtheit erfreut. Der kleine HSV verfügt über eine große Vergangenheit: Nach dem Krieg wurde hier erstklassig in der Oberliga Nord gekickt, sogar bis in die 60er-Jahre. Hannover 96, Werder Bremen und auch der große HSV bezogen an der Meldorfer Straße das ein oder andere Mal Haue. Und unter Sepp Herberger stellten die Dithmarscher sogar Nationalspieler im Kader der Auswahlmannschaft. Lange vorbei – aber aus dieser Zeit stammt das kleine Stadion der Heider, das als reines Fußballstadion punktet und über ganzseitigen Stufenausbau verfügt. Als das überragende Element der Anlage und sofortiger Blickfang wird eine Sitzplatz-Tribüne in Trapezform ausgemacht, an der unübersehbar der Zahn der Zeit nagt und die immer mehr liebevolle Details offenbart, je näher man ihr kommt.

Die Tribüne ist ausverkauft und auch sonst ist Fußball vor einer vierstelligen Kulisse hier ein ganz großer Geheimtipp. Der HSV trägt an diesem Tag sein größtes Spiel seit 1997 aus, als man gegen Arminia Hannover in einem ähnlichen Aufstiegsspiel zu Hause mit 0:4 unter die Räder geriet. Damals kamen sogar weit über 5000 Zuschauer. Das größte Spiel des Jahrtausends also. Das sieht man den Heimkickern an, die das Spiel kontrollieren wollen, ihre Nervosität allerdings nicht verbergen können. Bremen kommt immer besser ins Spiel und ein verunglückter Befreiungsschlag landet Mitte der ersten Halbzeit vor den Füßen des BSV-Zehners, der sich nicht bitten lässt und locker unten links einschiebt.

Auch das Publikum ist etwas nervös und irritiert. 2500 von ihnen sind bestimmt schon sehr lange nicht im Stadion gewesen. Ich muss einigen Besuchern die Aufstiegsregeln erklären. Als Heide Ende der Halbzeit dann aber ein bisschen besser ins Spiel kommt, gerät nun endlich das Publikum in Wallung und das Vereinskürzel „HSV“ ist ein praktischer Anfeuerungsruf. Nun werden auch die Trommelstöcke im Bereich des HSV-Supports auf der Gegengerade geschwungen, der sich „Schwarzhosen-Block“ nennt. Der BSV zuletzt drei Mal in dieser Aufstiegsrunde gescheitert, drängt auf’s zweite Tor und ist spielerisch überlegen. Es fehlt das zwingende Element vor dem Tor. Und dann ist es so weit: Nach rund einer Stunde nutzt Heide die bis dahin fast einzige Chance, die noch dazu eigentlich gar keine ist: Ein Freistoß aus 25 Metern touchiert die Unterkante der Latte und zappelt im Netz. Der frenetische Jubel wird von rund 100 Personen flankiert, darunter viele Kinder, die quer über’s Spielfeld zur Spielertraube laufen. Der Schiedsrichter droht mit Spielabbruch.

Ein großer Moment. Der prognostizierte Jahrhundert-Moment. Denn spätestens danach ist das Ding irgendwie gelaufen. Jeder hat die letzten Bremer Ergebnisse der Aufstiegsrunden im Hinterkopf, die Trainerbank ist bedächtig ruhig. Und auch wenn die Blauen Druck machen, den Ball so einige Male hinter die Abwehr schlagen – die Spannung ist nur pro forma. Die Nerven bei den Gästen liegen blank: Ein Bremer Anhänger zettelt Streit auf der Tribüne an. Die Polizei kommt. Und nächste Saison kommen dann sicher Zäune für den Gästeblock… In der Nachspielzeit gibt es diesen Messi-Moment aus dem WM-Finale: Der flattrige Heider Torwart irrlichtert durch den Strafraum, aus dem Gewühl kann ein BSV-Akteur auf’s leere Tor schießen und zielt ein paar Meter drüber. Danach weiß jeder im Stadion: Wir sind Weltmeister.